Gastbeitrag von Klaus Mindrup MdB zu Klimaschutz und CO2-Preisen

Rolle des CO2 Preises und nötige Veränderungen der Abgaben und Umlagen

Bei allen Debatten um den sog. „CO2-Preis“ muss man sich vergegenwärtigen, dass das Ziel einer Regulierung die schnelle und deutliche Reduzierung der Emissionen aller klimaschädlichen Gase sein muss. Am Ende dieses Prozesses muss dies wahrscheinlich auch durch ordnungsrechtliche Verbote flankiert werden. Neben CO2 dürfen dabei die anderen klimaschädlichen Gase nicht vergessen werden, z.B. auch Narkosegase, die man inzwischen auffangen und aufbereiten kann. Hier muss deutlich schneller wirksames Ordnungsrecht wirken.

In der Übergangszeit bis zur völligen Durchsetzung klimafreundlicher Alternativen geht es darum, die externen Kosten der CO2-Emissionen Schritt für Schritt wirksam werden zu lassen, um damit klimafreundlichen Techniken bessere Marktchancen einzuräumen.

Das Ziel darf dabei nicht sein, möglichst hohe Einnahmen aus CO2-Bepreisungs-Systemen zu erhalten, sondern diese Einnahmen möglichst schnell auf Null zu führen, indem sich klimafreundliche Techniken durchsetzen. Deswegen ist es auch sinnvoll, dass die Einnahmen aus den CO2-Bepreisungssystemen (Europäischer Emissionshandel und Nationaler Brennstoff-Emissionshandel) nicht in den allgemeinen Haushalt fließen. Sie gehen im Augenblick in den Energie- und Klimafonds und fließen über Förderprogramme, Reduzierung der EEG Umlage sowie Entlastungen für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen zurück. Diesen Ansatz teile ich voll.

Zwischen der COVID-Pandemie und der Klimakrise gibt es zahlreiche Parallelen,  der größte Unterschied ist der zeitliche Verlauf.  Die  Klimakrise läuft im Vergleich zur Pandemie in Zeitlupe ab, mit der Gefahr, dass irreversible Kipppunkte nicht wahrgenommen werden. Die Parallelität besteht darin, dass wir inzwischen durch Innovationen in der Lage sind, auf beide Krisen angemessen zu reagieren und dies weltweit.

Was die Impfstoffe zur Bekämpfung der Pandemie sind, sind die Erneuerbaren Energien PV und Wind sowie eine ökologische Kreislaufwirtschaft für eine klimafreundliche Wirtschaft.

Wind und PV werden Jahr für Jahr effektiver und damit kostengünstiger. Es stimmt auch nicht, dass wir in der EU und Deutschland nicht genügend Potentiale haben, um uns selbst mit Energie zu versorgen. Wichtig ist, dass man erkennt, dass es nicht bloß darum geht, fossile Kraftwerke im Stromsektor durch Erneuerbare zu ersetzen. Elektrisch angetriebene Prozesse werden stark zunehmen und somit der Stromverbrauch steigen. Durch die größere Effizienz elektrisch anstatt thermisch angetriebener Prozesse wird parallel der Endenergieverbrauch sinken. Dies wird man ganz deutlich im Bereich der Elektromobilität sehen. Der Energieverbrauch von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen liegt ungefähr bei einem Drittel eines Verbrenners. Weiterhin ist die Technik eines batterieelektrischen Autos deutlich einfacher als die eines fossilen Verbrenners. Mit sinkenden Kosten der Batterien und steigenden Effizienzen in der Serienfertigung ist klar, dass in wenigen Jahren batterieelektrische Fahrzeuge in Anschaffung und Betrieb kostengünstiger als die fossilen Alternativen sein werden. Eine ähnlich dynamische Entwicklung sehen wir gerade bei den Wärmepumpen, die immer effizienter und günstiger werden. In der chemischen Industrie laufen gerade die Planungen für die Umstellung von Hochtemperaturprozessen von Gas auf Strom an. Auch in der Wasserstoff-Wirtschaft wird es in den nächsten Jahren große Fortschritte geben. Im Energiesystem werden die Anwendungen stark in Richtung Strom (Elektronen) verschoben werden, aber auch auf Moleküle wie Wasserstoff wird man nicht verzichten können.

Wegen der deutlich höheren Effizienz von PV (ca. Faktor 50)  gegenüber Energiepflanzen macht es Sinn, diese Anwendung massiv zu fördern, da sie auch für den Boden- und Artenschutz erhebliche Vorteile hat (von Haaren 2021).

Bedingt durch den deutlich höheren Einsatz von Strom in den Sektoren Verkehr und Wärme muss das Energiesystem der Zukunft anders als heute ganzheitlich geplant werden. Zwingend ist ein dezentraler, zellulärer Ansatz, auch für die Vermarktung von Strom aus Erneuerbaren Energien.

Dieser Ansatz muss um eine ökologische Kreislaufwirtschaft ergänzt werden. Gemeinsam mit Polina Gordienko habe ich am 01.09.2020 veröffentlicht, warum wir neue Regeln brauchen.

Warum wir die Doppelte Klimabuchführung brauchen – Tagesspiegel Background

„Die Klimaschutzpolitik – national wie international – ist geprägt vom Quellprinzip, was bedeutet, dass die Treibhausgasemissionen jeweils dem Sektor zugeordnet werden, in dem sie physisch in die Atmosphäre entweichen. Dieses System hat allerdings große Schwächen und muss mit dem Verursacherprinzip und klaren Kriterien zum Schutz der biologischen Vielfalt und der Kreislaufwirtschaft verbunden werden.
….,
Ähnlich wie in der Betriebswirtschaft nur die doppelte Buchführung zu guten Ergebnissen führt, sollte man auch in der Klimapolitik eine Berichterstattung aus unterschiedlichen Perspektiven implementieren.

Wenn man nur das Quellprinzip isoliert anwendet, scheint beispielsweise im Gebäudesektor die Schwerpunktsetzung auf die Gebäudedämmung die wichtigste Maßnahme zu sein. Wenn man aber das Verursacherprinzip anwendet, dann wird klar, dass auch der „ökologische Rucksack“ der Baumaterialien betrachtet werden muss und dass ab einer bestimmten Dämmstärke – je nach Material – die Klimabilanz der Dämmung über die Lebenszeit sogar negativ wird. Weiterhin sollte man analysieren, ob die eingesetzten Materialien die biologische Vielfalt bedrohen oder gegen Prinzipien der Kreislaufwirtschaft verstoßen.“

Die Initiative Bauhaus der Erde, die ich als Botschafter unterstütze, zeigt die Alternativen für eine umfassende Bauwende auf. Home | Bauhaus der Erde

Warum erwähne ich diese Beispiele in einem Artikel über CO2-Bepreisung? Ich möchte deutlich machen, dass die CO2-Bepreisung ein wichtiges Steuerungsinstrument ist, dass aber klug in einem Gesamtkonzept einer sozial-ökologischen Steuerreform eingesetzt werden muss, um möglichst kosteneffizient und sozialverträglich die notwendige Umstellung auf eine klimafreundliche Gesellschaft zu erreichen.

Jenseits der Frage der Exporte, wird der Einsatz von Bauholz in Deutschland mehrfach benachteiligt. Holz, das verbrannt wird, ist anders als Bauholz mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz begünstigt. Die Baustoffe, mit denen Holz konkurriert, sind zwar – vor allem im ETS – integriert, bekommen dort aber kostenlose Zuteilungen von CO2-Zertifikaten, da sie nicht nur in Konkurrenz zu Holz, sondern auch in Konkurrenz zu Importprodukten außerhalb des europäischen Wirtschaftsraumes stehen.

Im Bereich der Baustoffe werden wir unsere Klimaziele erst dann erreichen, wenn in der EU eine faire Bepreisung erfolgt und über den CO2-Grenzausgleich Umweltdumping durch Importe verhindert wird. Erst dann wird es in der EU eine faire „Materialkonkurrenz“ und Raum für Innovation in Richtung z.B. auf moderne Carbonfasern geben.

Im Bereich der Sektoren-Kopplung sieht es ähnlich aus. Die SPD hat gegen große Widerstände des Ministeriums für Wirtschaft und Energie durchgesetzt, Photovoltaik-Anlagen bis 30 Kilowatt und Speicher, wie durch EU-Recht vorgegeben, nicht mehr mit Abgaben und Umlagen zu belasten. Diese Lösung muss im nächsten Schritt auch auf Mehrfamilienhäuser, Gewerbetriebe, Quartiere und Dörfer übertragen werden. Dies würde die Energie-Revolution auslösen, die wir dringend brauchen. Verbunden werden muss dies mit der Möglichkeit der dezentralen Vermarktung von Strom aus Erneuerbaren Energien, die nur zu einem kleinen Teil an zentralen Plattformen vermarktet gehört.

Parallel muss die Diskrimierung von Großspeichern beendet werden, sie verschieben die Nutzung von Strom zeitlich und sind keine Verbraucher. Weiterhin sind sie notwendig, damit Strom aus PV und Wind terminmarktfähig wird. Volatile Erneuerbare brauchen die Speicher als Zwilling. Damit würde dieser Strom sofort konkurrenzfähig. Aktuell liegt der CO2 Preis im ETS bei ca. 50 €/t CO2. Der Terminmarktpreis für Strom liegt gerade für das Kalenderjahr 2022 bei knapp über 69 €/MWh. Allerdings ist bereits für das Kalenderjahr 2023 der Preis bei unter 63 €/MWh und für das Kalenderjahr 2024 bereits nur bei ca. 58 €/MWh. Das zeigt, dass hier im Jahr 2022 besondere Faktoren einspielen (u.a. Abschaltung von großen Kraftwerksblöcken) die allerdings nur temporären Einfluss auf den Terminmarktpreis haben sowie die Erwartungshaltung der Märkte, dass der Zubau erneuerbarer Kapazitäten zu einer Senkung der Strompreise führt.

Ein wichtiger erster Schritt ist deswegen die schnelle Abschaffung der EEG-Umlage, weil sie sofort einen Befreiungsschlag für die Sektoren-Kopplung auslösen würde, z.B. bei Großwärmepumpen und Stromanwendungen in der Industrie. Verbunden werden muss dies mit einem Zukunftspakt für die Energiewende mit Bund, Ländern und Kommunen, um endlich ambitionierte Ausbaupfade sowie Flächenzusagen zu vereinbaren, mit denen wir unsere Klimaziele wirklich erreichen können.

Dies sollte man koppeln an einen Mindestpreis für CO2 im ETS, wobei angesichts der Kostendegression bei PV und Wind und Speichern wahrscheinlich sogar 50 €/t CO2 verbunden mit der Abschaffung der EEG Umlage ausreichend sind.

Die Kosten der Erneuerbaren und der Speicher werden weiter sinken, dies gilt dann auch für die Wasserstoff-Erzeugung. Damit werden die klimafreundlichen Alternativen in fast allen Anwendungsgebieten deutlich unter einem CO2-Preis Emissionen 180 Euro2016 pro Tonne Kohlendioxid (t CO2), den das Umweltbundesamt als zentralen Kostenansatz für die Klimakosten ermittelt hat, kostengünstiger als die fossilen Alternativen. Wichtig ist es jetzt dezentrale Transformationsdialoge in den Städten und Gemeinden und mit den Unternehmen unter Einbezug der Tarifpartner zu organisieren, um konkrete Modellprojekte für 100% Klimaschutz umzusetzen und dazu in der Übergangsphase auch noch die Mittel aus dem Energie- und Klimafonds zu nutzen.

Parallel muss die  Abschaffung der EEG Umlage  mit einer  umfassenden sozial-ökologische Steuer-Reform verbunden werden, die konsequent auf den CO2-Ausstoß und eine ökologische Kreislaufwirtschaft ausgerichtet ist. Dann werden die klimafreundlichen Alternativen sich deutlich schneller durchsetzen, zugleich wird die Wertschöpfung in unserem Land gesteigert und die negativen Folgekosten gesenkt.

Klaus Mindrup, MdB (SPD)

Quelle: CO2 Kosten: Gesellschaftliche Kosten von Umweltbelastungen | Umweltbundesamt


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Gastbeitrag von Rüdiger Kruse MdB zu Klimaschutz und CO2-Preisen

Rolle der CO2-Bepreisung als Beitrag zum Klimaschutz im Unions-Wahlprogramm

In unserem Wahlprogramm bekennen wir uns ganz klar zu den Pariser Klimazielen als Grundlage für unsere internationale Verantwortung als Industrieland. Politik, Industrie und Gesellschaft müssen sich gemeinsam um beste Lösungen bemühen. Nicht umsonst wird von einer „Jahrhundert-Transformation“ im Wahlprogramm gesprochen. Unsere Verpflichtung, Deutschland bis 2045 zur Treibhausgasneutralität zu führen, bestätigen wir hier nochmals. Schon bis 2030 wollen wir Deutschlands Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 um 65% reduzieren, eine sehr ambitionierte Zielsetzung unseres Wahlprogramms. Ich bin überzeugt, dass wir dieses Ziel erreichen werden.

Weltweite CO2-Neutralität
Der nächste Schritt wird dann die Erreichung der 88% Minderung im Jahr 2040 sein, bevor wir 2045 das Endziel Treibhausgasneutralität für Deutschland erreicht haben. Doch der wirkliche Erfolg ist für mich erst da, wenn die weltweite CO2– Neutralität erreicht ist, in unserem Wahlprogramm als Ziel für 2050. Erfahrungsgemäß bieten marktwirtschaftliche Instrumente eine Garantie für wirtschaftlichen Erfolg. Eine starke Wirtschaft ist Grundlage unseres Wohlstands, den Beweis sehen wir gerade bei der Bewältigung der Pandemie-Folgen. Darum haben wir in unserem Wahlprogramm den europäischen Emissionshandel als wesentliches Instrument zur Erreichung der Klimaneutralität festgeschrieben. Der Aufwuchspfad der CO2-Bepreisung soll gestrafft werden und so einen schnellen Übergang zum Europäischen Emissionshandel für Mobilität und Wärme ermöglichen.

Rückgabe der Einnahmen aus dem Emissionshandel an Bürgerinnen und Bürger
Selbstverständlich ist für die CDU/CSU auch hier der Aspekt der Nachhaltigkeit, der Einklang von Ökonomie, Ökologie und Sozialem. Daher haben wir im Wahlprogramm die Rückgabe der Einnahmen in vollem Umfang aus dem Emissionshandel an die Bürgerinnen und Bürger und an die Betriebe zugesagt. Durch Abschaffung der EEG-Umlage wird es zu einer spürbaren Senkung der Stromkosten kommen. Weiterhin ist geplant, Investitionen in Klimatechnologien und Maßnahmen zur Energieeffizienz besser steuerlich absetzbar zu gestalten. Damit schaffen wir Anreize für Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger, ihren Beitrag zur Klimaeffizienz zu leisten. Schon die Transformation der Unternehmen zu mehr Klimaeffizienz stärkt unsere Wirtschaft und schafft und sichert Arbeitsplätze. Im internationalen Wettbewerb werden Unternehmen, die mit hoher Energieeffizienz produzieren, Vorteile genießen.

Verlagerung von Unternehmen in Drittstaaten verhindern
Bei allen Maßnahmen werden wir darauf achten, das Ziel der weltweiten CO2-Neutralität sicher zu erreichen. Klimaschutz endet nicht an den europäischen Außengrenzen.Darum haben wir in unserem Wahlprogramm verankert darauf zu achten, dass Produktionen nicht in Drittstaaten mit weniger strengen Klimaschutzstandards ausgelagert werden. Damit würden wir dem Klimaschutzziel einen völlig kontraproduktiven Dienst erweisen. Der Carbon-Leakage-Schutz hat oberste Priorität bei allen unseren Maßnahmen. Entsprechend unserem Wahlprogramm werden wir uns international für höhere Standards einsetzen und in internationalen Klimakooperationen diese Standards etablieren. Mit unseren erprobten Technologien können wir hier einen wesentlichen Beitrag leisten und sichern auch wieder Arbeitsplätze in Deutschland, aber auch in den entsprechenden Partnerländern, deren Wirtschaft mit den deutschen Technologien arbeiten kann und somit für Wohlstand in diesen Ländern sorgt. Und damit haben wir auch einen Beitrag zur Erreichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung geleistet.

Ein weiterer Punkt unseres Wahlprogramms ist, neben der Einbeziehung der Unternehmen, auch die Einbeziehung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Durch entsprechende Kennzeichnung soll jeder Konsument sofort erkennen, welche CO2-Bilanz das Produkt hat. Das Interesse der Bürgerinnen und Bürger an nachhaltiger Lebensführung und nachhaltigen Produkten nimmt in allen Altersgruppen zu. Die Sorge um unser Klima wächst.

Mit dem Wahlprogramm hat die CDU/CSU eine Antwort auf diese Fragen entworfen. Es sind die Fragen der heutigen und der künftigen Generationen. Unser Wahlprogramm ist ein Programm für eine bessere und lebenswerte Zukunft. Die Union will die Transformation unseres Landes zur Nachhaltigkeit bewerkstelligen, Deutschland soll klimaneutral werden und wirtschaftlich stark bleiben.

Deutschland nachhaltig machen. Jetzt!

Rüdiger Kruse, MdB (CDU)


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Gastbeitrag von Dr. forest Christoph Hoffmann MdB zu Klimaschutz und CO2-Preisen

„Liberaler Klimaschutz: hart – klar – machbar!“

Die FDP hat die Chance genutzt. Sie stellt sich mit ihrem öko-liberalen Konzept an die Spitze der Troubleshooter der Klimakrise. Ihr Klimaschutzprogramm greift das Alarmsignal des IPCC Berichtes auf und zeigt Lösungswege zur Umsetzung der erforderlichen Reduktion der Treibhausgasemissionen. Dabei wird der EU-Emissionshandel durch die Bepreisung von CO2, ausgedehnt auf die Sektoren Gebäude und Mobilität, als zentrales Steuerungsinstrument zur Erreichung der ambitionierten Klimaziele erkannt.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass die Folgen des durch den Menschen gemachten Klimawandels nur durch entschlossenes und schnelles Handeln gemildert werden können. Statt jedoch die Wirtschaft mit immer neuen staatlichen Ge- und Verboten zu gängeln, will die liberale Klimaschutzpolitik durch Anwendung des Verursacherprinzips mit flexiblen marktwirtschaftlichen Instrumenten technologieoffene und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen schaffen. Nur so lassen sich die anspruchsvollen Umweltziele konsequent und kostenoptimal erreichen.

Der Umbau unserer bisher vorrangig nuklear-fossilen Energiewirtschaft zu einer Low Carbon Economy ist ein Jahrhundert-Investitionsprojekt und soll nach den Vorstellungen der Liberalen in enger Kooperation von privaten und staatlichen Investitionen vorangebracht werden. Insbesondere der Mittelstand kann über Jahrzehnte davon profitieren, indem er schnell und innovativ die sich bietenden Chancen nutzt. Dazu sollen schnellstmöglich staatliche planerische Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.

Zum Ausgleich unvermeidbarer Emissionen will die FDP weltweit verstärkt den Wald nutzen, um mit der Fotosynthese zusätzlich gepflanzter Bäume CO2 zu binden und mit entwicklungspolitischen Initiativen die bisherige Waldzerstörung deutlich zu vermindern.

10-Punkte-Plan zur Operationalisierung der Liberalen Klimapolitik

Der Aktionsplan zum Klimaschutz zeigt, wie die Freien Demokraten die oben beschriebenen Leitlinien ihrer Klimaschutzpolitik konkretisieren und operationalisieren. Er zeigt in aller Schärfe das klimapolitische Profil der Liberalen und stellt heraus, dass wirksamer Klimaschutz ohne Gängelung und Verbote möglich ist. Damit grenzen sich die Freien Demokraten in diesem zentralen, für unsere Gesellschaft so wichtigen Politikfeld gegen das autoritative Gesellschaftsverständnis der Grünen und ihrer Vorfeldorganisationen ab.

Im Einzelnen liegt der Fokus der liberalen Klimaschutzpolitik auf folgenden Maßnahmenpaketen:

1. Den Emissionshandel schrittweise globalisieren:
Ein umfassendes Emissionshandelssystem, das den globalen CO2-Ausstoß auf ein festgesetztes Limit begrenzt und über einen einheitlichen CO2-Preis Investitionen in die Verringerung der Emissionen anreizt, ist das sinnvollste Klimaschutzinstrument. Damit hält Deutschland nicht nur zuverlässig seine Klimaschutzverpflichtungen ein, sondern erzeugt auch einen Wettbewerbsdruck an den Märkten, der Innovationskräfte für die CO2-sparsamste Technologie freisetzt. Zusätzlich zum Ziel, das EU-ETS auf alle Sektoren auszuweiten, wollen wir Liberalen auch die geographische Erweiterung des Systems vorantreiben. Weltweit existieren bereits mehr als 60 Emissionshandelssysteme; rund ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in einer Region, in der Emissionsrechte gehandelt werden. Ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem globalen ETS wäre daher eine Verknüpfung bestehender Systeme durch die gegenseitige Anerkennung von Zertifikaten.

2. CO2-Kreislaufwirtschaft durch Marktanreize für die Treibhausgasbindung schaffen:
Es gibt viele Möglichkeiten, CO2 aus Industrieprozessen als Rohstoff zu nutzen (Carbon Capture and Utilization, CCU) – beispielsweise in der chemischen Industrie als Ersatz für Erdöl in der Kunststoff-produktion. So entsteht eine CO2-Kreislaufwirtschaft, die industrielle Prozesse klimafreundlich macht. Enormes Potential haben außerdem CCU-Verfahren im Bereich „Power-to-X“, in denen aus erneuerbarem Strom und CO2synthetisches Gas, Wasserstoff oder auch Kraftstoffe (E-Fuels) erzeugt werden. Wer künftig CO2 aus der Atmosphäre entfernt und in irgendeiner Form bindet – sei es organisch oder in der Herstellung neuer Produkte (CCU) – könnte davon finanziell durch den Erhalt von ETS-Zertifikaten profitieren, die frei am Markt verkäuflich sind. Das wäre auch ein immenser Schub für die Aufforstung von Wäldern weltweit. Eine ergänzende Forschungsförderung und der Abbau regulatorischer Hürden können helfen derartige Technologien zur Marktreife zu bringen.

3. Klimaneutrale Mobilität mit synthetischen Kraftstoffen:
Nicht nur die Elektromobilität, sondern alle technologischen Möglichkeiten für einen klimafreundlichen Verkehr sollen genutzt werden. Über den Antriebsmix der Zukunft soll der Wettbewerb, nicht die Politik entscheiden. Neben grünem Wasserstoff können auch aus erneuerbarem Strom und CO2 synthetisierte Kraftstoffe wichtige Bausteine sein. E-Fuels geben dem bewährten Verbrennungsmotor eine klimaneutrale Zukunft. Um große Mengen zu produzieren, sind massive Investitionen in Forschung und Entwicklung notwendig. Hier müssen regulatorische Hürden abgebaut werden. Die Befreiung von netzseitigen Umlagen und Entgelten ist zu prüfen, denn die hohen Belastungen des Strompreises im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen machen E-Fuels unrentabel. Das klimapolitisch kontraproduktive EEG erweist sich hier als besondere Innovationsbremse. Außerdem sollte die Nutzung von E-Fuels ähnlich wie Elektroautos auf die EU-Flottengrenzwerte angerechnet werden. Für die Produktion größerer Mengen E-Fuels bieten sich die sonnen- und windreichsten Regionen der Erde an. Damit präsentieren sich den bereits heute im Bereich der Elektrolyse-Technik tätigen deutschen Unternehmen exzellente Exportmöglichkeiten.

4. Technologiefeindliche Rechtslage ändern, um Carbon Capture and Storage (CCS) in Deutschland zu ermöglichen:
Weder vermeidbares noch nutzbares CO2 muss zwingend in die Atmosphäre gelangen. Es ist technisch möglich, CO2 aus Abgasen abzuscheiden und anschließend geologisch zu speichern. Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, so der Sonderbericht des Weltklimarats IPCC von Oktober 2018, ist ohne CCS praktisch nicht erreichbar. Deutschland hat sich durch erfolgreiche Modellprojekte in der Lausitz eine führende Position im Bereich der CCS-Technologie erarbeitet. CCS ist aus sicherheitstechnischer Perspektive unbedenklich, wie u.a. der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einer im Sommer 2018 erstellten Studie bestätigt. Trotzdem ist die Skepsis in der Bevölkerung gegenüber dieser Technologie ernst zu nehmen, um eine gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Ein Rechtsrahmen für den sicheren Einsatz von CCS und mehr Forschung und Entwicklung ist unbedingt erforderlich. Finanzielle Anreize würden sich für die Industrie durch die Befreiung von der Zertifikatspflicht im EU-ETS ergeben.

5. Mit Geo-Engineering klimafreundliche Chancen für strukturschwache Regionen schaffen:
Maßnahmen, die unter den weiten Begriff Geo-Engineering fallen, unterliegen in Deutschland einer strengen, teils technologiefeindlichen Regulierung. Der jüngste Bericht des Weltklimarats IPCC hat verdeutlicht, wie wichtig der Entzug von CO2 aus der Atmosphäre für die Erreichbarkeit der Klimaziele des Pariser Abkommens ist. Gerade die organische CO2-Speicherung hat ein großes Potenzial, etwa die schnelle Aufzucht großer Mengen Algen durch Düngung. Algen sind sehr potente CO2-Speicher, die als Biomasse zur Energiegewinnung beitragen oder zu Karbonfasern verarbeitet und dauerhaft eingelagert werden können. Solche Geo-Engineering-Maßnahmen wollen wir ermöglichen und fördern, insbesondere dort, wo der klimapolitische Strukturwandel stattfindet.

6. Innovative Methoden für die Landwirtschaft:
Innovative Methoden in der Landwirtschaft können einen wichtigen Klimaschutzbeitrag bei gleichzeitiger Sicherung der Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung leisten. Beispiele hierfür sind die Grüne Gentechnik, die klimaschonende Anbaumethoden erleichtert und die Anpassungsfähigkeit der Landwirtschaft an den Klimawandel erhöht. Die Klimabelastung des steigenden Fleischkonsums lässt sich durch Herstellung von In-Vitro-Fleisch reduzieren. Verbraucher müssen die Wahl haben – aber die Forschung, Entwicklung und Markteinführung von Gentechnik und innovativen Lebensmitteltechnologien dürfen kein Tabu mehr sein.

7. Technologietransfer und marktwirtschaftliche Entwicklungspolitik:
Klimaschutz muss künftig eine größere Rolle in der Entwicklungspolitik spielen. Durch Technologietransfer können deutsche Unternehmen neue Märkte erschließen, einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten und klimafreundliches Wachstum ermöglichen. Außerdem müssen weltweit Abkommen etwa zum Schutz des Regenwalds oder zur Aufforstung geschlossen werden.

8. Durchsetzung der internationalen Ächtung negativer Waldbilanzen (staatlich gebilligte Waldvernichtung) vor den Vereinten Nationen.

9. Aufbau eines multilateralen Fonds für die Aufforstung durch Waldbauern und dörfliche Gemeinschaften mit direkter Vergütung durch eine auf einer Smartphone-Oberfläche installierten App.

10. Einführung eines vereinfachten REDD+ zur Finanzierung der Aufforstungen unter einem Mandat der Vereinten Nationen.

Das liberale Klimaschutzprogramm setzt der derzeitigen, von dystopisch-pessimistischen, fortschritts- und wachstumsfeindlichen Weltbildern geprägten Debatte eine optimistische Vision entgegen, die den Klimaschutz durch Kreativität, Fortschritt und moderne Technologien mit steigendem Wohlstand in Einklang bringt und das wirtschaftliche Wachstum vom CO2-Ausstoß entkoppelt. Sein zentrales Ziel ist eine wirksame Begrenzung von Emissionen und ein einheitlicher CO2-Preis mittels eines globalen Emissionshandelssystems (ETS). Auf dem Weg dorthin soll kurz- bis mittelfristig eine Ausweitung des EU-Emissionshandels (EU-ETS) zunächst auf nationaler und schnellstmöglich auch auf europäischer Ebene etabliert werden. Mit kreativen Ideen für einen innovativen Klimaschutz wollen wir den Weg zu diesem Ziel gestalten.

Dr. forest Christoph Hoffmann, MdB (FDP), Schliengen, den 07.06.2021


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Gastbeitrag von Lisa Badum MdB zu Klimaschutz und CO2-Preisen

Mehr Klimaschutz wagen

Ein Preis, der die ökologische Wahrheit sagt, der mehr soziale Gerechtigkeit schafft und der klimaneutrales Wirtschaften von morgen ermöglicht

Das Karlsruher Klimaschutzurteil hat uns einen klaren klimapolitischen Auftrag gegeben und ist gleichzeitig ein Appell. Klimaschutz schafft Freiheit und sorgt für Generationsgerechtigkeit – doch das ist kein Selbstläufer. Darum bedarf es eines durchdachten und konsequenten Instrumentenmix, der bereits heute Wirkung entfaltet, um das Morgen zu schützen. Dafür braucht es einen Dreiklang aus gezielter Förderung, Ordnungsrecht, das die notwendigen Standards setzt, und einem Preissignal, das Klimaschutz finanziell lohnend macht.

Der CO2-Preis ist dabei ein zentraler Baustein, um auf den Pariser Klimaschutzpfad von 1,5 Grad Celsius zu kommen. Der Kampf gegen die Klimakrise wird ohne steigende Preise für fossile Energien nicht funktionieren. Zugleich ist der Status Quo sozial ungerecht. Fossile Subvention in Milliardenhöhe steht einer umfassenden ökologisch-sozialen Transformation entgegen. Zeitgleich werden Klimaschäden vergesellschaftet und unter den Folgen der Klimakrise leiden bereits heute vor allem die Schwächsten unserer Gesellschaft. Zuschauen ist keine Option. Nicht für uns Grüne. Unser Konzept heißt mehr Klimaschutz wagen.

Den Status Quo gestalten, statt verwalten

Seit dem 1. Januar 2021 gilt das nationale Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) im Bereich Wärme, Verkehr und in jenen Teilen der Industrie, die nicht dem EU-Emissionshandel unterliegen. Zugegeben, das BEHG in dieser Form war nicht unsere erste Wahl. Aber angesichts der fortschreitenden Klimakrise ist es wichtig, dass jetzt schnell ein wirksamer CO2-Preis für alle fossilen Brennstoffe in Kraft getreten ist. Nun gilt es, in der nächsten Wahlperiode die ökologische Lenkungswirkung des CO2-Preis zu stärken und gleichzeitig diesen sozial gerecht auszugestalten.

Dem CO2 einen Preis geben – für mehr soziale Gerechtigkeit und ein klimafreundliches Wachstum.

Jeden Euro der eingenommen wird, wollen wir direkt an die Menschen zurückverteilt – auf vielfache Weise. Wir schlagen vor, die Erhöhung des CO2-Preises auf 60 Euro auf das Jahr 2023 vorzuziehen. Danach soll der CO2-Preis so ansteigen, dass er im Konzert mit den Fördermaßnahmen und ordnungsrechtlichen Vorgaben die Erfüllung des neuen Klimaziels 2030 absichert. Damit die Erhöhung des nationalen CO2-Preises auch sozial gerecht wirkt, müssen die Einnahmen aus dem CO2-Preis direkt an die Menschen zurückgegeben werden. Das Energiegeld in Höhe von anfänglich 75 Euro pro Kopf wird den Bürgerinnen und Bürgern zu Jahresbeginn ausgezahlt. So geht der Staat in Vorleistung und die Auszahlung kann zum Beispiel über eine Verknüpfung mit der Steuer-ID erfolgen.

Auf diese Weise wird klimafreundliches Verhalten belohnt und es findet ein sozialer Ausgleich im System statt. Gerade Haushalte mit höheren Einkommen haben im Schnitt einen größeren CO2-Fußabdruck durch mehr Wohnraum, der zu heizen ist, oder PS-stärkere Autos. Sie zahlen also mehr. Viele Studien, zum Beispiel von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, zeigen, dass ein CO2-Preis mit einem fairen Ausgleich wie dem Energiegeld sozial gerecht wirkt. Unterm Strich werden damit vor allem Geringverdiener*innen und Familien entlastet. Bezieher*innen von Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe profitieren ebenfalls, da das Energiegeld nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden soll. Zusätzlich legen wir für besonders Betroffene einen Klimabonus-Fonds auf, der mit großzügigen Hilfen unterstützt, z.B. beim Kauf eines emissionsfreien Fahrzeugs.

Wichtig ist auch, dass im Zuge der Einführung des BEHG jetzt die Stromrechnung sinkt. Die Senkung der EEG-Umlage sorgt für einen fairen Ausgleich der zusätzlichen CO2-Kosten in Form sinkender Preise für Strom, der heute schon zu deutlich über 50 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammt. Die Senkung der Strompreise ist gerade für kleine und mittelständische Unternehmen ein wichtiges Entlastungssignal und schafft die Grundlage für eine Stärkung der Sektorkopplung.

Mieter-Vermieter Dilemma – die Lösung liegt auf dem Tisch

Wir denken den CO2 Preis ganzheitlich. Darum machen wir uns dafür stark, dass Mieter*innen nicht im Regen stehen gelassen werden, so wie es jetzt die Bundesregierung getan hat. Die SPD konnte sich nicht gegen die Union durchsetzen mit ihrer Forderung, den CO2– Aufpreis im Wärmebereich zu 50 Prozent von Vermieter*innen zahlen zu lassen. Nun tragen aktuell die Mieter*innen die kompletten CO2 Kosten, ohne den Energieträger beeinflussen zu können bzw. den Zustand des Gebäudes. Das ist sozial ungerecht, verantwortungslos und löst keine Investitionsimpulse im Gebäudebestand aus. Durch den CO2-Preis im Wärmebereich soll aber gerade eine Lenkungswirkung erzielt werden, die Klimaschutzanreize auslösen und die Umstellung auf erneuerbare Energien vorantreiben. Daher sind die Kosten gemäß dem Verursacher-Prinzip vollständig durch die Vermietenden zu übernehmen. Flankiert durch unser 9 Mrd. Euro Faire-Wärme-Programm schaffen wir so gerechten Klimaschutz in die vier Wände zu holen.

Die CO2-Bepreisung als Anreiz für klimafreundliche Alternativen und Verhalten

Ein kurzer Blick zurück. Verkündete der Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministerium Andreas Feicht noch Anfang 2019 auf dem Neujahrsempfang des Bundesverbandes Erneuerbare Energie, dass es diese Wahlperiode keinen CO2 Preis mehr geben würde – müssen wir feststellen: Das war eine völlige Fehleinschätzung. Dank der Klimagerechtigkeitsbewegung und vielen gesellschaftlichen Akteuren, die für mehr Klimaschutz auf die Straße gingen, ist das Thema nicht mehr aus der öffentlichen Debatte wegzudenken.

Längst hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass mit dem Klima nicht zu verhandeln ist und gleichzeitig eine große Chance in einer zukunftsgewandten Klimapolitik liegt. Viele Unternehmen und Betriebe haben das bereits erkannt und sind oftmals viel weiter als ihre Branchenverbände und die Regierungspolitik. Diese Innovations- und Entwicklungskraft müssen und wollen wir Grüne nutzen und stärken. Ein wirksamer CO2-Preis sorgt dafür, dass Klimaschutzinvestitionen nicht erst in ein paar Jahren, sondern schon heute voll rentabel werden. Gleichzeitig gehen Innovation und Klimaschutz Hand in Hand. Aus diesem Grund wollen wir ein Investitions- und Transformationsprogramm für die nächste Dekade auflegen, das 500 Milliarden Euro umfasst und damit die Basis für eine grundlegende Modernisierung des Standorts Deutschland legt. Dieses umfasst Investitionen in Bildung, Digitalisierung, Gesundheit und Pflege, Wohnen, Forschung und Innovation, Klimaschutz und Nachhaltigkeit und ermöglicht verlässliche Finanzzusagen für die Planungssicherheit der Wirtschaft.

Der CO2 Preis alleine ist keine Klimaschutz-Wunderwaffe und er wird auch keine ordentliche Sozialpolitik ersetzen können. Dennoch wird es unsere Aufgabe sein, den CO2 Preis in ein Gesamtkonzept der sozial-ökologischen Transformation zu integrieren und dem Klimaschutz zum Chancentreiber der Zukunft zu gestalten. Die Zeit ist jetzt gekommen – mehr Klimaschutz zu wagen.

Lisa Badum, MdB (Bündnis 90/Die Grünen)


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Wie weiter mit dem Europäischen Emissionshandel?

Im Juli will die Europäische Kommission mit dem „ Fit for 55“-Paket ihre Vorschläge zum Green Deal unterbreiten. Eine zentrale Rolle nimmt dabei die Weiterentwicklung des bestehenden Emissionshandels für Energieerzeugung und Teile der Industrie und seine Ausweitung auf die Sektoren Gebäude und Mobilität ein. Die EU Kommission hat mittlerweile angedeutet, dass sie ein separates System für ein vielversprechende Option hält. Wie dies umgesetzt werden könnte haben das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Brüsseler Think Bruegel im Kontext des Kopernikus-Projekts Ariadne in einer neuen Studie untersucht.

Kommt die Ausweitung des EU-Emissionshandels zu spät für das Erreichen der Klimaziele?

Doch was genau wäre dafür an regulatorischen Änderungen erforderlich und welche Chancen und Risiken bestehen insgesamt? Was bedeutet das für die deutsche Industrie, den nationalen Brennstoffemissionshandel und die nationalen Klimaschutzziele? Wie kann das heutige, von Ausnahmen geprägte Handelssystem bereits kurzfristig zu mehr Wirksamkeit in Sachen Klimaschutz führen? Und welche konkreten Schritte sind im Einzelnen in den 27 Mitgliedsstaaten der EU notwendig, die verschiedenen Sektoren tatsächlich zu einem System zu verschmelzen?

Digitales parlamentarisches Frühstück vom 19. Mai zum Thema wie weiter mit dem EU-Emissionshandel?

Am 19. Mai diskutierten unter der Schirmherrschaft von Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU), Klaus Mindrup (SPD), Dr. Christoph Hoffmann (FDP) und Lisa Badum (Bündnis 90/Die Grünen), welche nächsten Schritte erforderlich sind, den Emissionshandel weiterzuentwickeln. Ulf Sieberg, Leiter des Berliner Büros des CO2 Abgabe e.V. plädierte dabei zunächst für einen CO2-Mindestpreis im bestehenden EU-Emissionshandel, die Weiterentwicklung der Marktstabilitätsreserve und eine CO2-basierte Reform der Energiebesteuerungsrichtlinie, um zu zügigen Treibhausgasreduktionen zu gelangen. Sieberg betonte zudem die zahlreichen offenen Fragen und Risiken, die mit einer Ausweitung des EU-Emissionshandels auf Wärme und Verkehr verbunden seinen, die politisch schwer umsetzbar sei und sehr viel Zeit in Anspruche nehmen könne. Zeit, die es angesichts der Klimakrise nicht gebe.

Separater Emissionshandel für Heizen und Verkehr erfordert Preiskorridor ohne feste Cap

Dr. Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) skizzierte anschließend, wie der weitere Weg hin zu einem sektorübergreifenden EU-Emissionshandel aussehen könnte. Dabei wurde deutlich, dass es keine Blaupause geben wird. Vielmehr beürfe es einzelner Reformschritte, die über den Zeitverlauf erst zu einem separaten und dann zu einem übergreifenden Emissionshandel führen könnten. Wann es soweit sei, sagte Pahle nicht. Dies hängt vom politischen Willen und Pfadabhängigkeiten der Mitgliedsstaaten genauso wie von der Lastenteilung ab.

Die Einführung eines separaten Emissionshandels für Heizen und Verkehr erfordere zunächst einen Preiskorridor mit Mindest- und Höchstpreis. Allerdings kann es in einem solchen System keine feste Begrenzung der Verschmutzungsrechte (Cap) geben – eigentlich die Stärke eines Handelssystems. Wird nämlich der Höchstpreis erreicht, müssen zusätzliche Zertifikate (über die Cap hinaus) ausgegeben werden. Damit garantiert ein solcher Emissionshandel nicht mehr, dass das Klimaziel erreicht wird. Einen Höchstpreis braucht es aber, um eine vorgezogene Preisintegration zu verhindern. Ansonsten drohen z.B. Hausbesitzende zulasten von Pendelnden die Zertifikate wegzukaufen. Oder bei einem sektorübergreifendem Emissionshandelssystem beide Gruppen zulasten der Industrie. Und das nicht nur in Deutschland selbst, sondern vor allem bei einem EU-Emissionshandel zwischen den unterschiedlichen Mitgliedsstaaten mit ihren unterschiedlichsten Preiselastizitäten. Zahlreiche Fragen sind hier ungeklärt, die Risiken nicht unerheblich.

Emissionshandel und CO2-basierte Energiesteuer nähern sich an

Löst man das Problem durch eine graduelle Anpassung des Höchstpreises nach oben, dann muss die Politik auch hier wie bei einer CO2-basierten Energiesteuer nachsteuern. Dann aber greift das Primat der Politik, nämlich nachzusteuern, auch noch auf dem Weg zu einem rein marktgetriebenen Handelssystem. Die Logik, das Handelssystem bedürfe keiner Nachsteuerung, gilt damit genauso wenig wie bei einer CO2-basierten Energiesteuer. Und es bräuchte auch weiterhin zusätzliche ordnunsgrechtliche Maßnahmen und Förderung, mit denen die klimapolitischen Ziele erreicht werden, eben auch weil es keine festeCap gibt.

Ausweitung des Emissionshandels kostet Zeit – die niemand hat

Die Ausweitung des Emissionshandes kostet damit Zeit, die angesichts der Klimakrise niemand hat. Und spätestens mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sollte deutlich geworden sein, dass es auf die Treibhausgasreduktion der nächsten Jahre ankommt. Ohne schnell wirksamere Maßnahmen sind alle Ziele nichts. Die CO2-Bepreisung ist dabei die wichtigste ökonomische Grundlage. Aber nicht die „eierlegende Wollmilchsau“, für die sie so mancher verkaufen will. All das gilt es sich ehrlich vor Augen zu halten gerade auch im Hinblick auf die Bundestagswahl und die nächste Legislaturperiode.

Zu den Vortragsfolien hier

Positionspapier Treiber für mehr Klimaschutz und gleiche Wettbewerbsbedingungen in Europa (06/2020)

Diskussionspapier Grenzausgleich: Von Ausnahmen zu verursacher- und klimagerechten Produktpreisen (10/2020)

Was CO2-Preise leisten können – und was nicht

CO2-Preise werden als „eierlegende Wollmilchsau“ und Allzweckwaffe im Kampf gegen die Klimakrise gesehen. Keine Partei und Bewegung, die im Superwahljahr 2021 nicht auf sie setzen würde. Doch was können sie leisten? Und was nicht? Von Ulf Sieberg

Exponentielles Wachstum ist tückisch. Das zeigt sich gerade in der Corona-Pandemie. Die Zahl der Infizierten bringt das Gesundheitssystem schnell ans Limit. Das Tückische: Die Verdoppelung der Fallzahlen. War die Lage gerade noch unter Kontrolle, kann sie innerhalb kurzer Zeit wegen des exponentiellen Wachstums entgleiten.

CO2-Konzentration wächst exponentiell

Erstmals lag im Jahr 2019 der Wert der CO2-Konzentration in der Geschichte der Menschheit bei 415 Parts per Million (ppm). Zwar bedeutet der Anstieg nicht automatisch auch einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur. Noch nicht. Aber wehe, die CO2-Konzentration steigt in immer kürzerer Zeit exponentiell! Denn dann ist es in der Klimakrise, anders als bei Corona, zu spät. Die CO2-Uhr tickt und der Zeitraum der Verdopplung schrumpft. Aktuell stößt die Menschheit jährlich fast 45 Mrd. Tonnen aus. Und das Pariser Abkommen lässt offen, wer und wie dieses reduziert werden soll. Bisher folgt das Paris-Abkommen dem „Klingelbeutelprinzip“. Jeder tut, was er will. Der jüngste Bericht des UN-Klimasekretariats meldet deshalb „Alarmstufe Rot“. Denn die Beiträge der Länder reichen hinten und vorne nicht aus.

Disruptive Veränderungen durch Politik ­ oder Naturgewalt?

So oder so stehen der Menschheit disruptive Veränderungen bevor. Nicht erst, seit die scheidende Bundeskanzlerin im Sommer 2019 in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ankündigte, mit dem „Pille Palle“ müsse es in der Klimapolitik vorbei sein. Denn die Emissionsminderungskurven müssen steil nach unten zeigen, sollen die beschlossenen Klimaziele erreicht werden. Dabei schließt sich das Zeitfenster politischer Handlungsfreiheit. Wer nicht entschlossener handelt, der wird von disruptiven (Natur-)Gewalten überrollt.

Die Erzählung von der „grünen Transformation“

Mit der Erzählung vom „grünen Wachstum“ wollen die Parteien die Gesellschaft im Bundestagswahlkampf und im 20. Deutschen Bundestag mit auf den Weg der Transformation nehmen. Doch wer glaubt, die Wohnfläche darf weiter steigen, das Mobilitätsverhalten gleichbleiben, aktuelle Ernährungstrends sich fortsetzen und die Industrie auf Wasserstoff umstellen, der irrt. Der Sozialismus scheiterte an der Mangelwirtschaft. Drohen Menschheit und Kapitalismus am Ressourcenverbrauch zu scheitern? Echten Veränderungen steht Soziologen nach unsere habitualisierte Lebensweise entgegen. Denn die bisherigen „Erfolge“ stellen in Krisen eine Falle da. Die Autoindustrie steht dafür exemplarisch. Und auch ein exponentielles Wirtschaftswachstum.

Kann es der CO2-Preis allein richten?

Da scheint der CO2-Preis den Weg aus dem Dilemma zu weisen. Von CDU und CSU bis zur Linken, von Industrie bis Mittelstand, von Wirtschaftsverbänden über Zivilgesellschaft und Future-Bewegungen, alle wollen mit einem CO2-Preis die Klimakrise lösen. Doch wie realistisch ist das? Und ist es auch sinnvoll?

  1. CO2-Preise sollen vor allem beim Produzenten wirken.

Für viele in der Politik sollen CO2-Preise das Verhalten von Verbrauchern ändern. Die Verantwortung zur Bekämpfung der Klimakrise wird dabei von großen Teilen der Politik auf die Nachfrageseite abgewälzt. Nach dem Motto: Leute, konsumiert endlich nachhaltig. Dabei haben Unternehmen Einfluss auf 77 Prozent der CO2-Emissionen! Kommen CO2-Preise bei Unternehmen an, haben Produzenten Anreize, klimafreundlicher zu wirtschaften. Dann können Konsumenten beim Griff ins Regal nicht mehr daneben liegen. CO2-Emissionen werden so Teil der Betriebskosten, denn wer klimaschädlich produziert und ebensolche Produkte herstellt, zahlt. Auch dann, wenn Teile der Unternehmen CO2-Preise weitergeben. Weil klimaschädliche Produkte weniger konkurrenzfähig sind. Zudem beeinflussen CO2-Preise die Investitionsplanung von Unternehmen. Insbesondere, wenn sie planbar ansteigen. Es ist an der Politik, ein entsprechendes Level-Playing-Field zu schaffen. Dann erst haben Konsumenten im großen Stil wirklich eine nachhaltige Wahl.

  1. Einheitliche, sektorübergreifende Preise sind wichtiger als ein hoher CO2-Preis.

Viele glauben, CO2-Preise seien besonders wirksam, wenn sie möglichst hoch sind. Zudem würden gerade in Bereichen wie beim Heizen oder im Verkehr nur hohe Preise etwas ausrichten. Das ist nicht falsch. Verkannt wird dabei aber häufig, dass auch höhere Preise allein die Deckungslücke zwischen verfügbarem Investitionskapital und CO2-Vermeidungskosten nicht schließen. Auch ebnen allein höhere CO2-Preise unterschiedlich Kosten für Vermeidungsmaßnahmen nicht ein. Eine Wärmedämmung am Gebäude wird immer teurer sein als der Umstieg auf erneuerbare Energie. Das gleiche gilt für den Einsatz von Wasserstoff im Vergleich zu Stromanwendungen. Daher sind einheitliche Preise im Strom-, Wärme- und Verkehrssektor so wichtig. Sie begünstigen zunehmend kostengünstigen erneuerbaren Strom und schieben ihn in den Wärme- und Verkehrssektor. Einheitliche CO2-Mindestpreise im EU-Emissionshandel und für fossile Brenn- und Kraftstoffe stellen das sicher. Steigen die Preise sanft an, können sich Unternehmen auf den Weg in die Transformation machen.

  1. Erst eine CO2-basierte Energiesteuerreform und Bürokratieabbau ermöglichen und beschleunigen Investitionen in erneuerbare Energien und damit die Energiewende.

Welch ein Irrsinn ist das Brennstoffemissionshandelsgesetz. Mit vielen Seiten Text und 13 Rechtsverordnungen wird ein Bürokratiemonster geschaffen. Dabei hätte alles so einfach sein können. Mit einer CO2-basierten Steuerreform des geltenden Energierechts, wie es sie bereits in zwölf EU-Mitgliedsstaaten gibt. Doch die Unionsparteien wollten es anders. Der Einstieg in die Absenkung der EEG-Umlage lässt dagegen hoffen. Würde die Einnahmebasis des CO2-Preises mit einem Mindestpreis im EU-ETS und BEHG verbreitert, könnten nicht nur die EEG-Umlage, sondern weitere Energiesteuern und Umlagen auf null gesenkt werden. Die Folge: Bürokratieabbau im großen Umfang. Denn damit würden zahlreiche Ausnahmetatbestände und Meldepflichten entfallen. Investoren würden so leichter erneuerbare Energien unterstützen und die Energiewende beschleunigen. Positiver Nebeneffekt: Einkommensschwache Haushalte profitieren besonders. Ganz ohne „Klimadividende“. Und mittelständische Unternehmen auch.

  1. Das aktuelle Strommarktdesign behindert die Wirksamkeit von CO2-Preisen.

CO2-Preise können nur dann wirken, wenn alle Energieträger am Markt den gleichen Wettbewerbsbedingungen unterliegen. Doch dies ist mit Nichten der Fall. Nicht nur sind die (indirekten) Steuern und Umlagen auf erneuerbare Energien am höchsten. Die gegenwärtigen Marktregeln gewährleisten erneuerbaren Energien auch keinen Vorrang und belohnen stattdessen Flexibilität von Grundlasten und Speichern nicht. Anders als in skandinavischen Ländern verhindert in Deutschland auch die einheitliche Strompreiszone effiziente Lösungen. Das begünstigt Partikularinteressen und Pfadabhängigkeiten bestimmter Verbände und Unternehmen. Und mit den planwirtschaftlichen Ausschreibungen der Unionsparteien (!) werden Marktentscheidungen sogar noch zusätzlich behindert.

  1. Ausnahmen sind ungerecht, Innovationskiller und überflüssig

Ausnahmen für Unternehmen schaden der Wettbewerbsfähigkeit. Denn wer keine Anreize hat, seine Geschäftsmodelle auf Klimaschutz auszurichten, bewegt sich weniger und verliert den Anschluss. Abwanderung verhindert die Politik daher nicht durch Ausnahmen, sondern durch verursacher- und klimagerechte Preise sowie gezielter finanzieller Unterstützung zur Deckung hoher CO2-Vermeidungskosten. Dazu gehört auch ein Grenzausgleich.

Fazit

Ohne schnell wirksamere Maßnahmen inklusive CO2-Bepreisung und einen beschleunigten ökologischen und sozialen Umbau der Industriegesellschaft wird sie auf Dauer in der Klimakrise nicht überlebensfähig sein. Die Bundestagswahl stellt die Weichen. Mehr Klimaschutz und wirksamere Preise auf CO2 sind wählbar2021.de.

Wie kommen wir aus der Komplexitätsfalle CO2-Preis?

Ein Beitrag von Dr. Jörg Lange für den Klima-Chancen-Blog

Bereits 2007 stellte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble fest: „Wir leben in einer ziemlich komplexen Wirklichkeit. Man könnte fast sagen, dass wir irgendwie in einer vollendeten Komplexitätsfalle sitzen – wohin man auch sieht, erblickt man schwer durchschaubare, widerstreitende Interessen und Zusammenhänge“. Er mahnte „Wir müssen unseren Bestand an Regeln und Verwaltungsvorschriften sukzessive und systematisch durchforsten. Das nennt man Rechtsbereinigung – ein leidiges Unterfangen, aber man kommt nicht darum herum.“

Das gilt insbesondere für die mit unzähligen Ausnahmetatbeständen und durch Lobbyisten durchgesetzten Sonderregelungen im Energie-, Energiesteuer- und Umweltrecht. Die Stiftung Umweltenergierecht entwickelt bis zum Herbst 2021 Vorschläge, wie das Energierecht entbürokratisiert und wieder besser steuerbar gemacht werden kann. Damit soll die Politik ermutigt werden, die Neuordnung in der nächsten Legislaturperiode anzugehen. Zur Neuordnung gehört u.a. die Ausrichtung unserer Steuern und Umlagen an den Notwendigkeiten des Klimaschutzes.

Wahre Preise

Hinter der Idee der „wahren sozialökologischen Preise“ steht das Prinzip, nicht die Allgemeinheit oder Dritte mit den verbundenen Schadenskosten zu belasten, sondern die Verursacher (Produzenten) und/oder Verbraucher (Konsumenten). Für viele negative Klima-, Umwelt- und Gesundheitsfolgen, die sich aus der Produktion ergeben (externe Kosten), kommen aktuell weder die Produzenten noch die Konsumenten auf. Hier handelt es sich um eine Form von Marktversagen, der mit geeigneten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen begegnet werden kann. Der Gewinn einer wirksamen CO2-Bepreisung besteht in einem beschleunigten ökologischen und sozialen Umbau der Industriegesellschaft, ohne den sie auf Dauer nicht überlebensfähig ist.

Perspektivisch ist für alle Wirtschaftsbereiche nicht nur ein ambitionierter und insbesondere für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, möglichst einheitlicher weltweiter CO2-Preis anzustreben, sondern auch die Angleichung bzw. Neuausrichtung am Klimaschutz aller staatlich induzierter Preisbestandteile an den Energiekosten in möglichst vielen Ländern (vgl. IMF 2019). Die konsequente Umsetzung des Prinzips der Internalisierung der externen Kosten setzt voraus, dass die Preissignale sowohl beim Verursacher als auch beim Verbraucher ankommen und diese handeln können, um wirksam zu werden. Produzenten können dann Ihre Produktionsweise z.B. auf Erneuerbare Energien umstellen, wenn sie die Kosten auf ihre Produkte umlegen können und dafür Ausgaben im Zusammenhang mit dem CO2-Preis einsparen. Und Verbraucher können sich ggf. für eine weniger treibhausgasintensive Alternative (z.B. Holz statt Stahl, Bahn statt eigenem Auto) entscheiden. Gleichzeitig kann man durch geeignete Maßnahmen unerwünschte Nebenwirkungen wie soziale Härten und/oder die Verlagerung der Umweltschäden (z.B. Carbon Leakage) vermeiden (Energiewendekommission 2021, S. 46 ff. und S. 279 ff.).

Der Emissionshandel ist dabei kein Allerheilmittel

Viele Vorteile, die dem theoretischen Instrument Emissionshandel (EU-ETS, Cap & Trade) zugeschrieben wurden, halten einer Analyse des realexistierenden Emissionshandels nicht stand. Das zentrale Argument vieler Befürworter des EU-ETS ist, dass er automatisch die Emissionen da einspart, wo sie am günstigsten einzusparen sind. Das Kriterium der Kosteneffizienz kann aber heute allein schon deshalb kein entscheidendes mehr sein, weil wir inzwischen gut beraten sind, in allen Bereichen zeitgleich und so schnell als möglich Emissionen einzusparen, um die vereinbarten Klimaziele noch erreichbar zu halten. Der EU-ETS wird von vielen anderen Umweltpolitiken überlagert, wie z.B. dem Erneuerbaren Energien-Gesetz (EEG), der EU-Ökodesignrichtlinie oder (bis zum Brexit) dem CO2-Mindestpreis, einer CO2-Steuer, die das Vereinigte Königreich zusätzlich zum EU-ETS Preis (Carbon Price Floor) erhoben hat (Edenhofer et al. 2021co2abgabe 2020co2abgabe 2019co2abgabe 2018).

Die Wirkung (Einsparung von Treibhausgasemissionen) der einzelnen Instrumente ist somit schwer quantitativ zuzuordnen. Und die Kosten für die Vermeidung von Treibhausgasen sind bei verschiedenen Maßnahmen eben sehr unterschiedlich. Zudem gibt es auch ordnungspolitische Maßnahmen wie z.B. ein Tempolimit, das im motorisierten Personenverkehr Treibhausgasemissionen deutlich kostengünstiger einspart als es ein Cap & Trade-Mechanismus wie der EU-ETS kann (UBA 2020). Besonders wirksam sind CO2-Preise dann, wenn sie nicht durch andere klimaschädliche Fehlanreize (Subventionen, Ausnahmetatbestände usw.) hintertrieben werden (FÖS 2020Bundesregierung 2020BMF 2020BMWI 2020).

Folgende Maßnahmen zur besseren Wirksamkeit von Preisen auf Treibhausgase (CO2e) sollten gesetzlich verankert werden:

1. Energiewirtschaft: Reform des EU-Emissionshandels mit Mindestpreisen zur besseren Planbarkeit und Änderung des Strommarktdesigns

Im Rahmen des EU Green Deal wird beschlossen die Reduktion der Treibhausgase um mindestens 55% bis 2030 (zu 1990) statt bisher 40 (EU 2020EU-2020-1EU-2020-2) zu reduzieren. Damit wird auch der EU-ETS reformiert werden. Ein Mindestpreis könnte die Preissignale planbarer gestalten und mit einer Änderung des Strommarktdesigns könnten die Preissignale auch beim Verbraucher Wirkung zeigen. Eine Änderung des Strommarktdesigns könnte dies im Fall der Energiewirtschaft ändern. Mit regional dynamisierten Strompreisen, die die Auslastung des Stromnetzes und den regionalen (physikalischen) Anteil an erneuerbarer Erzeugung anzeigen, würden stromabnehmende Unternehmen in die Lage versetzt, bedarfsgerecht in entsprechende Maßnahmen zu investieren, die den Strombezug aus dem Netz genau dann vermeiden, wenn er einen besonders hohen fossil erzeugen Anteil aufweist. Erst das Zusammenspiel zwischen wirksamen CO2-Preisen, einer Reform des Strommarktes sowie das klare Signal z.B. im Grundgesetz an Investoren, dass spätestens ab 2040 Geschäftsmodelle mit fossilen Energieträger in Deutschland ein Ende finden, schaffen die notwendigen ökonomischen Signale, um in den Ausbau der Erneuerbaren Energien und flexible Residuallastkraftwerke, Lastmanagement u.v.m. zunehmend auch ohne Förderung durch EEG und Kraft-Wärmekopplungsgesetz (KWK-G) investieren zu können.

2. Industrie: Reform des europäischen Emissionshandels mit Mindestpreisen (planbar), Grenzausgleich und Differenzverträge

Energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, kann man durch eine Kombination aus Grenzausgleich als Endproduktabgabe und Ausgleichsverträgen (Carbon Contract of difference) davor schützen, auf höheren CO2– und Energiepreisen sitzen zu bleiben. Damit wird das Carbon Leakage-Risiko vermieden und die Unternehmen werden in die Lage versetzt, in eine weitgehend treibhausgasfreie Produktion zu investieren (vgl. co2abgabe 2020). Für Energie und Industrieanlagen, die nicht im EU-ETS veranlagt sind, sind CO2-Preise in der Höhe der Mindestpreise im EU-ETS über die EU-Energiebesteuerungsrichtlinie bzw. eine Energiesteuer gesetzlich zu verankern.

3. Gebäude: CO2-Preise verursachergerecht und wirksam gestalten

Insbesondere bei einer Fernwärmeversorgung aus Anlagen, die im EU-ETS veranlagt sind, entstehen Wettbewerbsverzerrungen, wenn die staatlich veranlassten Preisbestandteile wie CO2-Preise auf Energie sich nicht am Preisniveau des EU-ETS orientieren. Das Preisniveau des EU-ETS wird noch längere Zeit nicht ausreichen, um bei CO2-Vermeidungskosten von weit mehr als 200 € pro Tonne allein genug Anreize für eine umfassende energetische Gebäudesanierung zu setzen. Es bietet sich daher an, über Ordnungsrecht, parallel einen Pfad für steigende verpflichtende Anteile an Erneuerbaren Energien gesetzlich zu regeln. KfW- und Bafa-Förderungen sind konsequent an der Minderung der Treibhausgase auszurichten und die verbleibenden Kosten sind verursachergerecht und sozialverträglich auf Nutzer und Investoren zu verteilen (Mieter-Vermieter Dilemma). Verpflichtende Energieleitpläne auf Quartierseben unterstützen dabei, um die jeweils geeignete Lösung vor Ort zu finden.

4. Personenverkehr: CO2e-Bepreisung im Rahmen einer fahrleistungsabhängigen PKW Maut, die alle Externalitäten (Luftverschmutzung, Unfälle, Staus, Gesundheit etc.) internalisiert

Wir brauchen eine Maut für alle“, forderte bereits Roger Kehle 2019 in der Welt, Präsident des Gemeindetags Baden-Württemberg und Vizepräsident des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, zur Finanzierung der Verkehrswende. Der Umbau zu einer klimaschonenderen Verkehrsinfrastruktur ist seit Jahren unterfinanziert. Trotz steigender Verkehrsleistung und wachsendem PKW-Bestand stagniert das Aufkommen der verkehrsbezogenen Steuern und Abgaben. Die Einnahmen aus Energiesteuer, KFZ-Steuer und LKW-Maut betrugen im Jahr 2020 etwa 50 Mrd. € (2019 etwa 53 Mrd. €) und decken damit bei weitem nicht die externen Kosten. Die größte Einnahmequelle sind die Steuern auf Benzin und Diesel (ca. 33 Mrd. € 2020). Elektroautos sind sowohl von der Energiesteuer wie auch der KFZ-Steuer befreit. Mit steigendem Anteil an Elektrofahrzeugen bedarf es daher ohnehin eines Ausgleichs der sinkenden Einnahmen aus der Benzin und Dieselsteuer.

Um die notwendige Infrastruktur in eine klimaverträgliche Verkehrswende zu steuern, braucht es Instrumente, die einfach, transparent, lenkend, zügig und wirksam die Verkehrswende einleiten, beschleunigen und finanzieren. Bei einem Vergleich der verkehrsbezogenen Abgaben für PKW auf Erwerb (Umsatzsteuer, Zulassungssteuer, Zulassungsgebühren), Besitz (Kraftfahrzeugsteuer, Versicherungssteuer) und Nutzung (Energiesteuer und Umsatzsteuer) mit anderen Ländern in Europa liegt Deutschland im unteren Drittel [DIW 2018]. Autobesitzen und Autofahren sind in Deutschland zu billig. Die Kosten für Lebenshaltung und öffentliche Verkehrsdienstleistungen (ÖPNV +79%, Bahntickets +57%) sind zwischen 2000 und 2018 deutlich stärker gestiegen als die Kosten für ein eigenes Auto (+36%). Preise für Benzin und Diesel sind zwischen 2010 und 2017 absolut sogar gesunken [BMVI 2018a]. Je stärker der fossil motorisierte Individualverkehr (MIV) subventioniert wird, umso höher müssen umweltfreundlichere Verkehrsmittel bezuschusst werden, um für einen Umstieg attraktiv zu sein. Die Steuerzahlenden werden damit nicht nur verursacherungerecht, sondern doppelt belastet. Die gesamten externen Kosten des Verkehrs belaufen sich in Deutschland, berechnet für das Jahr 2017, auf rund 149 Mrd. Euro, davon 94,5% (141 Mrd. €) für den Straßenverkehr. (Allianz pro Schiene 2019). Im Personenverkehr verursachen mit 104 Mrd. Euro die PKW die höchsten Kosten. So verursachen PKW-Nutzer pro Kilometer mit rund elf Cent mehr als dreimal so hohe externe Kosten wie Bahnfahrer. Eine fahrleistungsbezogene Maut in entsprechender Höhe der externen Kosten würde jeden auf dem Straßennetz zurückgelegten Kilometer verursachergerecht mit einer Gebühr belegen. Mit den Einnahmen einer fahrleistungsabhängigen PKW Maut kann die Verkehrswende finanziert werden.

5. Güterverkehr: Speditionsabgabe auf Transportemissionen bis zum Endprodukt

Der Anteil der gesamten Logistik an den THG-Emissionen liegt weltweit bei etwa 5,5% (von gesamt 38 GT 2019 CO2e). Durch den hohen Anteil Deutschlands am Welthandel (Import und Export) dürfte auch der Anteil Deutschlands an den Emissionen des Transports und der Logistik entsprechend überproportional hoch gegenüber der Einwohnerzahl sein. Die bisherige LKW-Maut bepreist bisher nicht den Ausstoß von Treibhausgasen, sondern ist eine öffentlich-rechtliche Infrastrukturgebühr (Einnahmen 7,2 Mrd. € pro Jahr) zur Finanzierung der Straßen. Eine zusätzliche Speditionsabgabe auf die Transportemissionen von Endprodukte könnte für Waren die in Deutschland oder Europa an Letztverbraucher abgegeben werden (Höhe z.B. 180 € pro Tonne CO2e) und ähnlich dem Umsatzsteuerprinzip auf nationaler oder europäischer Ebene mit geringem Mehraufwand zügig eingeführt werden. Die Methodik zur Berechnung von Treibhausgasemissionen in Spedition und Logistik ist sehr gut ausgearbeitet (UBA 2012DSLV 2013Climate & Clean Air Coalition 2017). Frankreich schreibt bereits seit dem 1.10.2013 vor, dass die CO2-Emissionen kommerzieller Personen-und Gütertransporte, die einen Start-oder Zielpunkt in Frankreich haben, gegenüber dem Kunden einer Transportdienstleistung ausgewiesen werden müssen. Der Aufwand für die Berechnung der Transportemissionen einzelner Güter ist damit überschaubar. Eine spezifische Transportabgabe für die mit dem Transport verbundenen THG-Emissionen eines Konsumproduktes ließe sich damit erheben und ein Stück des wahren Preises würde beim Konsumenten deklarierbar ankommen. Die Bilanzierung der Transportemissionen wäre der geeignete Einstieg in die Bilanzierung aller mit einem Produkt verbundenen Treibhausgasemissionen z.B. über das Lieferkettengesetz. Einnahmen aus der Transportabgabe sollten national und unternational dazu verwendet werden, um die Emissionen des Transportes zu mindern.

6. Kombinierte Tierwohl- (gelb) und Treibhausgasabgabe (blau) als Endproduktabgabe auf tierische Produkte

Besonders weit entfernt von den wahren Preisen sind wir im Bereich der Lebensmittel. Die Art unserer Ernährung und die mit ihr verbundenen globalen Lieferketten sind ein weitere Hauptverursacher für zusätzliche Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre (Chatham House 2021Dasgupta Review 2021). Eine Minderung der direkten THG-Emissionen der Landwirtschaft um mehr als 50% im Vergleich zu heute ist nach Ausschöpfung aller Potenziale zur Effizienzsteigerung und Emissionsvermeidung nur durch Einschränkung der Tierproduktion und damit verbunden des Fleischkonsums in Deutschland zu erreichen. Erst eine Reduktion der Tierproduktion und auch des inländischen Fleischkonsums ermöglicht in Deutschland eine Bioökonomie, die einen erheblichen Teil der stofflichen Nutzung fossiler Energieträger ersetzen kann. Die Einführung einer kombinierten Tierwohl- und Emissionsabgabe setzt die notwendigen finanziellen Anreize, um den Konsum tierischer Produkte zu reduzieren (FÖS 2020). Die Einnahmen fließen in einen Fonds, aus der dem die Umstellungsmaßnahmen in der Landwirtschaft getragen werden. Um den Konsumenten den Ernährungsumstieg zu erleichtern, ist die Abgabe durch eine entsprechende Kommunikation über Wirkungen und Notwendigkeiten im Sinne des Tierwohls und des Klimaschutzes zu begleiten. Eine entsprechende Abgabe ist sozialverträglich umsetzbar, weil eine Ernährung, die stärker auf pflanzliche Lebensmittel setzt, ohne finanziellen Mehraufwand möglich ist und weder mit Mangelernährung noch andere negativen Gesundheitseffekten zu rechnen ist.

Klimaschutz – kein „nice to have“, aber #waehlbar2021

-Ein Beitrag von Jörg Lange, CO2 Abgabe e.V.

Bei der nächsten Bundestagswahl geht es darum, die Kandidat:innen für unsere Volksvertretung mit ökologischen Mindestanforderungen für zukünftige Geschäftsmodelle zu konfrontieren und glaubwürdig dafür zu gewinnen, diese zu vertreten, um #wählbar2021 zu sein. Im Falle der Klimakrise sind alle Kandidat:innen aufgerufen, sich nicht hinter den Positionen ihrer Parteien, Wahlprogramme oder Fachpolitikern zu verstecken, sondern sich selbst eine Meinung zu bilden und zu vertreten. Denn sie sind nach Art 38 (1) Grundgesetz „…nur ihrem Gewissen unterworfen „ und als zukünftiger Teil des Gesetzgebers nach GG Art. 20a verpflichtet, „…auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen…“ zu schützen.
Klimaschutz und die konsequente Umsetzung der völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen von Paris sind kein „nice to have“, sondern eine partei- und akteursübergreifende Verpflichtung, die keinen weiteren Aufschub mehr duldet. Doch worauf genau müssen wir unsere Schwerpunkte legen?

Mehr als die Hälfte der Emissionen an Treibhausgasen, für die die Menschheit verantwortlich ist, wurden in den vergangenen dreißig Jahren ausgestoßen. Seit mehr als dreißig Jahren wissen wir aber auch, welche Auswirkungen das haben kann und was zu tun ist. Wir sind also spät dran.

Die guten Nachrichten

  1. Wir haben sowohl das Geld als auch das Know-how für wirksamen Klimaschutz und ständig kommen neue Lösungsoptionen hinzu.
  2. Bei der Umsetzung fallen jede Menge Arbeit und Jobs an.
  3. Je schneller wir handeln, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, den Wettlauf mit der Erwärmung zu unseren Gunsten zu entscheiden.

Die Handlungsnotwendigkeiten sind klar
Selbstverständlich müssen der Fleischkonsum und Tierbestand in Deutschland infrage gestellt und Flugverkehr und Schiffsreisen auch nach Corona reduziert bleiben. Und auch die von einigen propagierte Hoffnung, man könne weiter so viele Autos produzieren und fahren wie bisher, nur eben elektrisch, kann die Klimakrise nicht ausreichend entschärfen. Unsere aktuelle Lebensweise halten wir zudem auf Kosten anderer aufrecht, indem wir beispielsweise den Verbrauch von Rohstoffen und Land sowie die Entsorgung von Abfällen teilweise in andere Länder auslagern. Klimaschutz bedeutet daher auch die Verantwortung für all die Emissionen zu übernehmen, die wir auch außerhalb von Deutschland verursachen.

Bei einem Anteil der Energiewinnung von Sonne (484 PJ) und Wind (215 PJ) am Primärenergieverbrauch 2020 in Deutschland (11691 PJ) von rund 6 % werden weder synthetische Kraftstoffe noch E-Mobilität unseren motorisierten Individualverkehr im bisherigen Ausmaß ermöglichen (Daten AGEB 2021).

Die jüngst erschienenen Szenarien des Wuppertal Institut oder der gemeinsamen Studie von Agora, Ökoinstitut, Wuppertalinstitut, Prognos und Stiftung Klimaneutralität wiederholen die Grundaussagen vieler Studien der letzten 30-40 Jahre: Eine sozialökologische Transformation wird nicht an wirtschaftlichen oder technischen Möglichkeiten scheitern. Und in jedem Fall ist es preiswerter, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten, als sie zu ruinieren.

Selbstverständlich geht es um größere Veränderungen und es wird nicht ausreichen, wenn sich nur der freie Konsument ändert oder anders entscheidet. Es geht um die Durchsetzung geeigneter Rahmenbedingungen für Alle ohne Ausnahmen.

Notwendigkeiten erfahren zunehmend Zustimmung
Eine weitere gute Nachricht ist, dass Notwendigkeiten zunehmend überzeugen und mehrheitlich Zustimmung erfahren, seien es ehrgeizige Klimaschutzziele, ein Tempolimit oder der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die Aufgabe und Kunst von Politik ist es, den regelnden Rahmen und Grenzen so zu gestalten, dass die Menschen, Unternehmen und Kommunen ins Handeln kommen, ohne überfordert zu sein.

Das Beispiel der neuseeländischen Ministerpräsidentin Jacinda Ardern gibt Hoffnung, dass ein innovatives Wissensmanagement (Lebenslanges Lernen) mit Empathie vorgetragen, dazu beitragen kann, für Handlungsnotwendigkeiten und den dafür notwendigen Regelungsrahmen auch politische Mehrheiten zu bekommen.

Bisher machen wir uns das Handeln unnötig schwer
Für erneuerbaren Strom, der unmittelbar vor Ort erzeugt oder gespeichert werden könnte, muss man jede Menge Abgaben bezahlen, komplexe Messtechnik einbauen und viel Bürokratie in Kauf nehmen. Das muss nicht so sein, wenn die zukünftig Verantwortlichen erkennen, dass eine dezentralere flexiblere Abdeckung der nachgefragten elektrischen Leistung (Last) mit immer höheren Anteilen erneuerbaren Stroms, vergleichbar ist zu einer Energieeinsparung. Sie führt volkswirtschaftlich zu geringeren Kosten und handlungsbereiteren Unternehmen, Kommunen und Bürgern.

Der Philosoph Bernward Gesang spitzt es in seinem Kommentar in der Taz vom 4.1.2021 zum Konsumverzicht zu: „ Genieße deine Spaßfahrt im SUV und tue gleichzeitig alles, damit die Politik allen Akteuren, also auch dir, solche Spaßfahrten verbietet.

Das klingt widersprüchlich und ist es auch, aber es nimmt menschliches Verhalten ernst und fordert auf von der Politik an Notwendigkeiten angepasste gesellschaftliche Regeln einzufordern an die sich alle halten müssen oder sollten.

„Der wahre Preis“
Ein zentraler Lösungsansatz ist, dass wir überall dort, wo und sobald wir es können, unseren Alltagsprodukten ihren „wahren Preis“ mitgeben. Das versetzt Konsument:innen in die Lage, die Alternativen zu erkennen, und Produzent:innen, in der Lieferkette Emissionen und ggf. Kosten einzusparen. Dazu braucht es unsere Fähigkeiten, soziale und ökologische Werte und Risiken der Geschäftsmodelle in der Unternehmensbilanz richtig zu bewerten, zu bilanzieren und in den Buchhaltungsprogrammen bis zum Endprodukt mitzuführen.

Grenzen setzen, wo wahre Preise nicht ausreichen
Ein zweiter Lösungsansatz ist es, Grenzen dann zu setzen, wenn die wahren Preise alleine nicht ausreichen. Dahinter steckt die Erfahrung erfolgreicher Umweltpolitik vergangener Tage, die vor allem durch die Verschärfung von Grenzwerten zum Erfolg führte, sei es bei der Gewässerverschmutzung durch den verpflichtenden Ausbau von Kläranlagen, dem „Waldsterben“ in den 70er Jahren durch Entschwefelung von Abgasen, oder dem Verbot von Substanzen, die die Ozonschicht schädigen.

Die Regelungen dienen im Kern dazu, Geschäftsmodelle der Vergangenheit, die auf der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen aufbauen (z.B. durch Verbrennung fossiler Energieträger) durch Geschäftsmodelle zu ersetzen, die unsere Lebensgrundlagen nicht nur erhalten, sondern Gemeinwohl für alle ermöglichen.

Der Wille der Menschen als transformatives Fundament
Ob wir diese Transformation schaffen, hängt nicht vom technischen oder ökonomischen Potential ab, sondern davon, ob Menschen, die bisher keine Notwendigkeiten sahen, diese nun erkennen und entsprechend zur Bundestagswahl 2021 Regeln einfordern, die ein schnelles Handeln ermöglichen. Wirksamer Klimaschutz wird nur mit neuen Regeln funktionieren, die als überwiegend vorteilhaft gleichermaßen von Unternehmen und Verbraucher:innen wahrgenommen werden.

Eine kürzlich vom Umweltbundesamtes veröffentlichte Studie (UBA 2020) zeigt eindrücklich wieviel Einfluss die Änderungen unseres Lebensstils einerseits und ressourceneffiziente Ansätze (Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie) andererseits auf die Treibhausgasemissionen und den Bedarf an Rohstoffen haben. So spart der ambitionierteste Transformationspfad gegenüber einem weniger ambitionierten Pfad bis 2050 insgesamt 4,8 Mrd. Tonnen CO2e bis 2050 und 5,7 Mrd. Tonnen Primärrohstoffe ein.

Um Menschen dafür zu gewinnen, ist ein riesiges generationenübergreifendes Motivations-, Aus- und Weiterbildungsprogramm, man könnte es auch Wissensmanagement nennen, notwendig. Es kann Menschen in die Lage versetzen, aus Arbeitsbereichen wie der Automobilindustrie in andere Bereiche wie Bioökonomie, Gebäudesanierung, Heizungsbau, Erneuerbare, Gesundheit/Pflege, Digitalisierung etc. zu wechseln. Bereiche, die Spekulation oder leistungslose Einkommen ermöglichen, müssen dazu begrenzt/besteuert werden, um Fehlanreize und Reboundeffekte abzubauen und die Transformation finanzieren zu können. Wie schnell die notwendige sozialökologische Transformation umgesetzt werden kann, hängt also im Wesentlichen am politischen Willen der Menschen, in notwendige Veränderungen persönlich und finanziell zu investieren.


Diese Zeilen sind ein Auszug aus dem Vorwort unseres Diskussionsvorschlages mit dem Arbeitstitel „Unternehmen Klima ohne wenn und aber“ von Dr. Jörg Lange, welches voraussichtlich im März auf dieser Website veröffentlicht wird. Er soll das Fundament unserer für dieses Jahr geplanten Wählbar-Kampagne bilden.

Lesen Sie hier weitere informative Blockbeiträge rund ums Klima: https://klimaschutz-im-bundestag.de/klima-chancen-blog/ oder unseren Oktober-Beitrag zum Thema „2035 oder 2050? Ohne schnell wirksamere Maßnahmen sind alle Ziele nichts

#Klimawahl: Wer und was ist #waehlbar2021

#Klimawahl: Wer und was ist #waehlbar2021?
Beitrag von Jörg Lange & Ulf Sieberg, CO2 Abgabe e.V.

Die Bundestagswahl wird zur #Klimawahl #waehlbar2021. Über die Parteigrenzen hinweg braucht es Parlamentarier*innen, die für wirksamen Klimaschutz eintreten, national wie international. Was bedeutet das und wie lässt sich die Wählbarkeit überprüfen?

Treibhausgase müssen in kommenden zehn Jahren schneller sinken als in 15 Jahren Merkel zuvor

Etwa die Hälfte der Emissionen an Treibhausgase für die Menschen weltweit verantwortlich sind, wurden in den vergangenen dreißig Jahren ausgestoßen. Zwar wird Deutschland sein Klimaziel einer Treibhausgasreduktion von 40 Prozent bis 2020 gegenüber 1990 wohl erreichen. Dies hat allerdings überwiegend zwei Gründe: Den Zusammenbruch der Industrie in der ehemaligen DDR und die Corona-Pandemie. In der Regierungszeit von Dr. Angela Merkel (CDU) seit 2005 sind die Treibhausgase nicht schnell genug gesunken. So müssen in den kommenden zehn Jahren mindestens dreimal so viele Treibhausgase eingespart werden wie in den 15 Jahren zuvor. In Deutschland und Europa haben wir allen Grund schneller als andere zu sein, da Deutschland historisch gesehen und auch pro Kopf (Abb. 1) mit die meisten Treibhausgase ausgestoßen hat.

Abb. 1: Top 10 der Länder mit den meisten kumulierten Emissionen bis 2018 pro Kopf
(Daten: https://ourworldindata.org/contributed-most-global-co2; Einwohnerzahlen von 2020 https://www.worldometers.info)

Konzentration an Treibhausgasen in der Atmosphäre steigt noch immer

Gleichzeitig ist klar, dass alle selbstgesteckten Ziele nicht ausreichend waren, denn die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre steigen nach wie vor und dass sogar schneller als vor 40 Jahren.

Abb. 2: Datenquelle bis 2019 UBA 2020

Die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre ist der verlässliche Parameter der den Erfolg von weltweiter Klimaschutzpolitik anzeigt. Im Sinne des Pariser Klimaschutzabkommens bedeutet Klimaneutralität die Treibhausgaskonzentrationen umgerechnet in CO2Äquivalente (CO2e) der Atmosphäre (ppm) auf ein Paris-Ziel kompatibles Niveau zu senken. So bleibt bei einer Reduzierung z.B. auf 450 (430-480) ppm CO2-Äquivalente CO2e bis 2100 die Temperaturerhöhung mit hoher Wahrscheinlichkeit unter 2°C (IPCC Synthesebericht 2014, Tabelle SPM.1 S 20). Zum Vergleich: Wir haben derzeit die Marke von 500 ppm CO2e bereits überschritten (Abb. 2). Das bedeutet wir müssen bis zum Ende des Jahrhunderts nicht nur möglichst schnell auf die Verbrennung fossiler Energieträger verzichten, sondern auch dafür sorgen, dass unsere natürlichen Senken wie Wälder, Moore und auch Grünland erhalten bleiben und wir zusätzlich CO2 der Atmosphäre wieder entziehen. Je schneller wir dabei sind, desto flacher gestalten wir die Anstiegskurve der Treibhausgaskonzentration und desto wahrscheinlicher wird es die Erdüberhitzung durchschnittlich deutlich unter 2°C zu halten.

Ohne wirksamere Maßnahmen sind alle Ziele nichts

Es zeigt sich, dass ohne weitere wirksamere Maßnahmen alle Zielverschärfungen zum Trotz die Anstrengungen bisher nicht ausgereicht haben, das Ruder herumzureißen. Spätestens seit Rio 1992 wissen wir eigentlich, was zu tun ist. Wir sind also spät dran. Die guten Nachrichten sind: Wir haben sowohl das Geld als auch das Know How für wirksamen Klimaschutz und ständig kommen neue Lösungen hinzu. Bei der Umsetzung fallen jede Menge Arbeit und Jobs an. Je schneller wir handeln, desto größer die Wahrscheinlichkeit den Wettlauf mit der Erdüberhitzung zu unseren Gunsten zu entscheiden.

Wer sollte im nächsten Deutschen Bundestag sitzen, und wer nicht

Die nächste Bundestagswahl wird daher zur Klimawahl. Denn in der nächsten Legislaturperiode entscheidet sich, ob wir mit einem Beschluss der notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz das Ruder zur Bewahrung unserer wichtigsten Lebensgrundlagen herumgerissen bekommen oder nicht. Es geht deshalb darum, die Wahlkreiskandidat*innen für die Bundestagswahl 2021 in den 299 Wahlkreisen mit den ökologischen Mindestanforderungen zu konfrontieren und darauf zu verpflichten, sich für diese glaubwürdig einzusetzen, um wählbar zu sein. Wir bereiten daher eine Kampagne mit dem Titel „#waehlbar2021“ vor. Dazu entwickeln wir emissionsscharfe Maßnahmenpakete, mit denen die Ziele erreichbar sind. Sie sollen genügend Flexibilität bieten, das Ziel auf verschiedenen Wegen zu erreichen, aber so verbindlich sein, dass mit ihnen die notwendigen Emissionsreduktionen auch tatsächlich erreicht werden. Allgemeinbekenntnisse zu weltweiten CO2-Preisen, wie ihn die CDU bereits für ihr Wahlprogramm vorbereitet, reichen dazu ganz sicher nicht aus. Im Falle der Klimakrise sind alle Kandidat*innen aufgerufen sich nicht hinter den Positionen ihrer Partei, dem Wahlprogramm oder den Fachpolitikern zu verstecken, sondern sich selbst eine Meinung zu bilden und diese zu vertreten. So, wie sie nach Artikel 38 Absatz 1 Grundgesetz „(…) nur ihrem Gewissen unterworfen (…)“ und als zukünftiger Teil des Gesetzgebers nach Art. 20a GG verpflichtet sind, „(…)auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere (…)“ zu schützen. Wer nicht bereit ist, die notwendigen Maßnahmen zu unterstützen, unsere Lebensgrundlagen zu bewahren, ist auch nicht wählbar. Die Kampagne soll mit der Unterstützung unserer Mitglieder und weiteren Akteuren wie den Future-Gruppen, der Klima-Allianz Deutschland und GermanZero in die Fläche getragen werden. Außerdem werden wir im Rahmen der #waehlbar2021 dank eines positiven Förderbescheids der Postcode-Lotterie das interaktive online-KurzspielSpielregeln für das Klima“ herausbringen, mit dem einer breiten Masse von Wählenden das Thema CO2-Preis im Kontext mit den o.g. Maßnahmenpaketen nähergebracht und direkter Einfluss auf die Wahlkreiskandidat*innen genommen werden soll.

Klimaschutz braucht parteiübergreifende Mehrheiten und neue Formen der Zusammenarbeit

Denn es geht um die Durchsetzung geeigneter Rahmenbedingungen für Alle ohne Ausnahmen: Wirksam, verursachergerecht, sozial gerecht, rechtssicher und mit breiter Akzeptanz, Unterstützung und politischer Mehrheit. Dazu ist ein neuer Aushandlungsprozess unserer Demokratie, ein „Good Governance“-Prozess notwendig. Koalitionsverhandlungen nach altem Muster hinter verschlossenen Türen, mit einem Koalitionsvertrag, der für vier Jahre gilt, nicht nachsteuert, Maßnahmen ausschließt und sich auf eine Mehrheit zweier Regierungsfraktionen allein stützt, darf es nicht geben. Wie in der Pandemie muss auch in der Klimakrise der maximale politische Handlungsspielraum stets voll ausschöpfbar werden. Dazu braucht es größtmögliche Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft. Und auch der Opposition. Klimaschutz erfordert fraktionsübergreifende Entscheidungen. Und kein Lagerdenken in Koalitionen oder unter Fraktionszwang. Wie in einer Minderheitsregierung muss das Nachsteuern beim Klimaschutz stets auf neue, notfalls wechselnde Mehrheit bauen können, ohne, dass deswegen die Regierung auseinanderbricht. Jede Regierungspartei konzentriert sich dabei nach dem „Österreichischen Modell“ auf ihre Kernanliegen ergänzt um eine Klausel im Koalitionsvertrag, die Mehrheiten für weitreichendere Maßnahmen auch außerhalb der Koalition ermöglicht. Utopisch? Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen und Vorgehensweisen. Und die Klimakrise ist eine solche, die ohne eine sozial-ökologischen Transformation unserer Lebens-, Arbeits und Wirtschaftsweise nicht auskommt.

Änderung unserer Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsweise

Die jüngst erschienene Studie von Agora, Öko-Institut, Wuppertal Institut, Prognos und Stiftung Klimaneutralität wiederholt die Grundaussage vieler Studien der letzten 40 Jahre: Eine sozial-ökologische Transformation wird nicht an der wirtschaftlichen oder technischen Machbarkeit scheitern. In jedem Fall ist es preiswerter, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten, als sie zu ruinieren. Anders als die Studie aber suggeriert, wird eine sozial-ökologische Transformation nicht ohne tiefgreifende Veränderung auskommen. Selbstverständlich muss der Fleischkonsum in Deutschland infrage gestellt, Flugverkehr und Schiffsreisen auch nach Corona drastisch reduziert bleiben. Und auch die von einigen propagierte Hoffnung, man könne weiter so viele Autos produzieren und fahren wie bisher, nur eben elektrisch, kann die Klimakrise nicht ausreichend entschärfen. Bei einem Anteil von Sonne und Wind am Primärenergieverbrauch 2019 in Deutschland von 6,5 % werden auch synthetische Kraftstoffe in Deutschland nicht oberste Priorität haben können. Klimaschutz bedeutet auch weniger auf Kosten anderer zu leben.

„Wohlstand für alle, mit begrenztem Güterwachstum“

Statt das bisherige Leben weiterzuführen, nur mit „grünem Konsum“, kann also nicht funktionieren. Das (exponentielles) Wachstum auf einem begrenzten Planeten keine Lösung sein kann, wie wir in der Pandemie gerade schmerzvoll erfahren. Das sollten gerade diejenigen wissen, die die Akzeptanz bemühen, um breite Schichten an Wählenden hinter sich zu bringen. Das wusste im Grunde auch schon Ludwig Ehrhard in seinem Buch „Wohlstand für alle“: „Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, daß zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer richtig und nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoller ist, unter Verzichtleistung auf diesen „Fortschritt“ mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.“

Denn statt Akzeptanz dadurch zu erreichen, am bisherigen Lebensstil festzuhalten, sollte vielmehr ein neues Narrativ entstehen, das die positiven Seiten eines veränderten Lebensstils nach einer Transformation ohne den Ressourcenverbrauch von heute sichtbar macht: Mit weniger Lärm, weniger Verschmutzung von Luft und Wasser mit Plastik und Schadstoffen, mehr Artenvielfalt, gesunden Lebensmitteln und mehr Zeit für Wesentliches, mehr Wahlfreiheit, mehr Gestaltungsfläche im öffentlichen Raum und zur Entfaltung, mehr Wertegemeinschaft und was die Gesellschaft sonst wirklich braucht. Die Zukunft ist nicht die Gegenwart in „Grün“. Sie wird besser.

2035 oder 2050? Ohne schnell wirksamere Maßnahmen sind alle Ziele nichts

Spaltet die Diskussion um das Klimaziel die Umweltbewegung? Was bedeutet es, die Erdüberhitzung auf 1,5°Celsius zu begrenzen? Reicht „grünes Wachstum“ allein aus? Wie lässt sich ein Klima-Lockdown noch verhindern? Wie kommen wir vom Wissen zum Handeln? Und was müssen Regierung und Gesellschaft beitragen?

Ein Beitrag von Ulf Sieberg

Zwei Studien kamen im Oktober heraus, die im Ziel unterschiedlicher nicht hätten sein können. Während die Fridays for Future mit einer Machbarkeitsstudie finanziert von der GLS Bank aufzeigten, dass Deutschland bereits bis 2035 klimaneutral werden kann, um die Chance einer Begrenzung der Erdüberhitzung auf 1,5° Celsius aufrecht zu erhalten, warben die Agora-Think Tanks und die Stiftung Klimaneutralität für ein klimaneutrales Deutschland bis 2050. Michael Bauchmüller beschrieb letztere Studie in der Süddeutschen Zeitung so: „Die Wohnfläche pro Kopf darf weiter steigen, die Mobilität ist nicht eingeschränkt, aktuelle Ernährungstrends werden fortgeschrieben & die Industrie bleibt im Land.“ Alles soll also so weitergehen wie bisher, nur in „Grün“. Verfolgte man die Pressekonferenz von Patrick Graichen, Christian Hochfeldt undRainer Baake in der staatstragenden Bundespressekonferenz, konnte man den Eindruck gewinnen, da laufen sich drei Herren für zukünftige Staatssekretärsposten in einer Schwarz-Grünen Koalition warm. Da will man niemandem wehtun: Weder der Sache, noch den Wählenden und erst recht nicht den möglichen Regierungsparteien. Aber ist das auch glaubwürdig? Eher nicht.

Exponentielles Wachstum stoppen und Trend umkehren

Denn trotz ALLER bisherigen Bemühungen der Klimakrise zu begegnen: Es herrscht exponentielles Wachstum. Nicht nur das Corona-Virus steigt exponentiell, auch die CO2-Konzentration in der Erdatmosphäre. Im Jahr 2019 lag der Wert erstmals in der Geschichte der Menschheit bei 415 Parts per Million (ppm). Zwar bedeutet der Anstieg nicht automatisch auch einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur. Noch nicht, denn wehe dem, wenn. Das Problem ist, wir könnten es erst kurz vor Einsetzen der Vollkatastrophe bemerken, weil dass das Wesen exponentieller Wachstumskurven ist (vgl. Christian Stöcker im Spiegel), wie wir an Corona gerade leidvoll erfahren. So oder so bewegt sich die Entwicklung aber schon jetzt nicht im verbleibenden CO2-Budget. Der Weltklimarat IPCC hat 2018 das verbleibende globale CO₂-Budget für unterschiedliche Klimaziele veröffentlicht. Wenn wir die Erdüberhitzung auf 1,5°C begrenzen wollen, dürfen wir nur noch knapp 500 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen. Aktuell stößt die Menschheit jährlich fast 45 Milliarden Tonnen aus. Wie diese verteilt werden, sagt das Paris-Abkommen nicht. Möglich wäre die Verteilung nach dem gleichen Emissionsrecht für jeden Menschen, nach der historischen Verantwortung, der gleichen prozentualen Minderung in allen Ländern oder nach dem Jeder-was-er-kann-Prinzip. Im Paris-Abkommen herrscht genau dieses „Klingelbeutelprinzip“. Am plausibelsten wären die beiden ersten Prinzipien. Wie Stefan Rahmsdorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zusammenfasst. (Weiterführende Quellen zu den Aussagen in den beiden Links)

Die Größe der Aufgabe: 10 Jahre Corona-Lockdown

Vor diesem Hintergrund reicht das Ziel des EU Green Deal von mindestens 55% Emissionsreduktion bis 2030 nicht aus. Deswegen sollte laut Studie der „Staatssekretärsanwärterrunde“ das Ziel auch auf mindestens 65% geschraubt werden. Zudem will die EU „negative Emissionen“ durch die Aufnahme von CO2 in Senken, d.h. in Wäldern, Mooren & Co. anrechnen. Diese aber, in diesem Jahr gut sichtbar, werden zunehmend durch von Hitzeperioden und Dürren ausgelösten Bränden zu CO2-Quellen. Wer zulange mit der Emissionsreduktion zaudert, weil er die Klimakrise verharmlost oder niemandem wehtun möchte, muss zu einem späteren Zeitpunkt noch disruptiver die Emissionen senken. Brigitte Knopf vom Mercator Research on Global Common and Climate Change beschrieb das auf einer Veranstaltung des CO2 Abgabe e.V. im Juni so: „Zehn Jahre Corona-Lockdown, und wir haben die Klimaziele erreicht.“ Andersherum kann, wer anfangs die Emissionen nicht gradlinig, sondern schneller reduziert, den Zeitpunkt der vollständigen Emissionsreduktion nach hinten schieben, zu dem netto null erreicht wird. [Wir hatten dazu im Juli 2019 auf dem Cover unserer CO2-Vermeidungsstudie die passende Graphik abgebildet, die von diversen Akteuren adaptiert wurde ( vgl. SRU 2020; PIK 2020; www.showyourbudgets.org)]. Ein erst schnelles und entschlossenes Handeln wäre allemal beruhigender, weil man dann wüsste, dass man sich auf dem richtigen Pfad befände, um dann den letzten Rest später zu schaffen. Und da kommen die Studien auch wieder zusammen und sagen, was alle schon wissen: Wir müssen schneller in der Emissionsreduktion werden, sonst verspielt die Politik ihr Zeitfenster zum Handeln und viele ihrer Handlungsmöglichkeiten! Die Folge: Die Natur würde uns durch die Kippelemente im Klimasystem einen Klima-Lockdown aufzwingen. Die Politik wäre nur noch Krisen-Reakteur.

Verhindert „grünes Wirtschaften“ den Klima-Lockdown?

Das Weiter-wie-bisher-nur-grün-Prinzip zeigte sich in der „Staatssektretärsanwärterrunde“ auch beim Wirtschaftswachstum. Satte 1,7 Prozent Wachstum soll die Klimaneutralität 2050 jährlich bringen. Angesichts der Corona-Krise ein goldenes, aber vergiftetes Versprechen. Denn auch exponentielles Wirtschaftswachstum gemessen mit dem Bruttoinlandsprodukt ­ sorgt dafür, dass sich die Größe einer Volkswirtschaft in zirka 40 Jahren verdoppelt. Doch selbst wenn sich mit einem Teil des Wachstums die CO2-Emissionen tatsächlich auf netto null drücken ließen, ginge damit ein exponentiell gestiegener Ressourcenverbrauch einher. Eine kluge Person hat einmal gesagt: „Der Sozialismus scheiterte an der Mangelwirtschaft, der Kapitalismus scheitert am Ressourcenverbrauch.“ Was die deutsche Ikone der Fridays-Bewegung Luisa Neubauer zu der Frage veranlasst, dass es noch etwas anderes geben müsse zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Die inhaltsfreie Werttheorie des Kapitalismus jedenfalls ist nicht in Stein gemeißelt. Waren und Dienstleistungen sind nicht per se gut. Preise dürfen nicht mit Werten gleichgesetzt werden. Auch wenn große Teile der Wirtschaft und der Politik, vor allem in der doch der „Schöpfung“ so am Herzen liegenden Unionsparteien, den Eindruck erwecken, Wirtschaftswachstum, BIP und Angebot und Nachfrage sind keine objektiven und schon gar keine verfassungsmäßigen Gesetzmäßigkeiten! Wirtschaft, die uns weiter in die Klima- und Artenkrise treibt, hat abgewirtschaftet.

Vom Wissen zum Handeln: Alles Psychologie?

Mit der Erzählung vom „grünen Wachstum“ soll die Gesellschaft mit auf den Weg der Transformation genommen werden. Denn „wir leben viel habitualisierter, als wir denken“ (Armin Nassehi, Soziologe). Wir wissen zwar viel, aber handeln nicht nach diesem Wissen. Die psychologischen Gründe sind vielfältig: Individuelle persönliche Erfahrungen, ihre Wertvorstellung, die (politische) Identität, persönliche Einschätzungen sowie die Wahrnehmung der Folgen des eigenen Handelns. Da ist es bequem, wenn uns jemand erzählt, es könne alles so bleiben, wie es ist. Wenn dann damit auch noch die Klimakrise gelöst wird, wunderbar. Zumindest sollte es den meisten Menschen leichter fallen, bei der Transformation mitzumachen. Doch ist dies vor dem Hintergrund der Größe der Aufgabe auch realistisch? In Zeiten, in denen „Kinder die neuen Realisten sind“ und „in Krisen Erfolg eine Falle ist“ (Harald Welzer, Soziologe), Erwachsene aber dem Alles-soll-so-bleiben-wie-es-ist-nur-in-Grün-anhängen, kann der Mut zur Veränderung gar nicht groß genug sein. Die Zukunft kommt schneller als mancher denkt. Wie sie aussieht, entscheiden wir. Bevor also ambitionierte Ziele aufgegeben werden, sollte erst einmal alles dafür getan werden, sie zu erreichen. Denn Ziele sind das eine, aber ohne schnell wirksamere Maßnahmen sind alle Ziele nichts. Spätestens nach der Bundestagswahl 2021 braucht es ein 100-Tage-Sofortprogramm mit Maßnahmen, die schnell wirken.

Weiterführende Informationen und Maßnahmen: