Wie gestalten wir die Energieversorgung von morgen?
Muss der kostenintensive Stromnetzausbau wie geplant vollzogen werden oder sollte man eher verstärkt Anreize setzen, die ein lokal orientiertes, selbstbestimmtes Energiemanagement der Haushalte und Unternehmen fördern?
Welche Rahmenbedingungen braucht es, um Unsere Anlagen zur Energieerzeugung und -verbrauch (wie z.B. PV, Wärme und Stromspeicher, KWK-Anlagen, Wärmepumpen) netz- und systemdienlich zu betreiben?
Wie sind zeitlich und räumlich differenzierte Preissignale auszugestalten, um einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Nutzen für das Gemeinwohl (Sparen von Netzausbau und Residuallastkraftwerken) und dem Nutzen zum Eigenwohl (Eigenstromnutzung und -erzeugung)?
Im Folgenden werden dazu die bisherigen Planungen der Politik den möglichen Entwicklungen in der Praxis stichwortartig gegenübergestellt?
Schreiben Sie uns Ihre Meinung an info@klimaschutz-im-bundestag.de.
Soll es bei den folgenden Planungen der Ampelkoalition bleiben?
- Strombedarf: Bis 2030 wird gegenüber 2023 (454 TWh) mit einem Mehrstrombedarf durch Wärmepumpen, Elektroautos und der Industrie von 50% (200-250 TWh) gerechnet. Zur Minderung von Treibhausgasen, muss dieser Mehrstrombedarf mindestens aus emissionsarmen besser aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden.
- Strommarkt: Deutschlands Politik hält bisher an einer einheitlichen nationalen Strompreiszone fest.
- Stromnetzausbau: Die Netzbetreiber schätzen den Investitionsbedarf bis 2033 auf 110 Mrd. € und bis 2045 auf mehr als 200 Mrd. Noch höhere Zahlen werden auf Grundlage des Netzentwicklungsplanes genannt (vgl. Drucksache 20/12078, IMK 2024). Hinzu kommen Investitionen in den Ausbau der Verteilnetze in ähnlicher Größenordnung.
- Netzentgelte: Die bereits heute mit mehr als 11 Cent/kWh hohen Netzentgelte könnten sich bis 2045 verdreifachen (Langfristszenarien 2024, S. 12, Ruhr GmbH 2024). Über eine Senkung der Netzentgelte, finanziert über den Steuerhaushalt wird bereits seitens der Politik nachgedacht.
- Kraftwerksstrategie – Abdeckung der Residuallast: Es wird festgehalten am geplanten Bau von großen Gaskraftwerken zur Abdeckung der Residuallast durch ein Kraftwerkssicherheitsgesetz und ab 2028 einem (kombinierten?) Kapazitätsmarkt mit zusätzlichen Kosten von etwa 1 Mrd. €/a und finanziert über eine neue Umlage.
- Erneuerbares Energiegesetz (EEG): Wie bisher erfolgt die Refinanzierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien durch Erlöse aus dem bestehenden Grenzkostenmarkt. Niedrige Strombörsenpreise führen zur Belastung des EEG-Kontos und müssen z.B. durch Einnahmen aus der CO2-Bepreisung gegenfinanziert werden.
- Wasserstoff: Das Wasserstoffkernnetz wird bis 2037 parallel zum Erdgasnetz mit angenommenen Kosten von 20 Mrd. € gebaut und soll vor allem in der Industrie Erdgas ersetzen.
- Heizungssanierung: Viele auch nicht gut gedämmte Gebäude (insbesondere Ein-Dreifamilienhäuser) sollen zunehmend mit monovalent betriebenen Wärmepumpen beheizt und mit Warmwasser versorgt werden oder an die Fernwärme angeschlossen werden.
- Förderprogramme erfolgen weiterhin überwiegend mit der Gießkanne und stehen auch Menschen zur Verfügung, die sich z.B. eine Wärmepumpe auch ohne Förderung leisten könnten.
Oder sollte die Politik auf die sich abzeichnende Praxis und Anforderungen mit entsprechenden Anpassungen reagieren?
- Die auf Eigenstromerzeugung optimierten Anlagen (kleine Batteriespeicher, PV-Anlagen etc.) boomen. Die Leistung und Kapazität von kleinen Stromspeichern hat sich seit 2020 mehr als verzehnfacht. Und die Preise für Speicher sinken absehbar weiter.
- Flexible Verbraucher, Erzeuger und Speicher, wie Wärmepumpen, Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen und Batterien, übernehmen den Ausgleich von Tagesschwankungen der Erzeugung erneuerbarer Energien.
- Dezentrale – im Vergleich zu den heutigen Residuallastkraftwerken kleinere – Speicherkraftwerke übernehmen die lokale Residuallasterzeugung in Phasen geringer erneuerbarer Energieerzeugung über mehrere Tage (z.B. Kalte Dunkelflaute). Ihr Betrieb erfolgt mit zunehmenden Anteilen von Biogas, Biomethan, Wasserstoff (Elektrolyse) und ggf. Methanisierung über das bestehende Erdgasnetz.
- Lokale Strompreise, z.B. heute schon orientiert am Grünstromindex, und zeitnah einzuführende lokale zeitvariable Netzentgelte können für Haushalte und Unternehmen Anreize schaffen, ein systemdienliches und wirtschaftliches Energiemanagement vor Ort zu betreiben. Damit helfen sie teuren, von der Allgemeinheit zu tragenden Stromnetz- und Kapazitätsausbau zu minimieren.
- Die Sanierung der Gebäudehülle erfolgt vorwiegend im Rahmen üblicher Sanierungszyklen bzw. bei „Sowieso-Maßnahmen“, wie z.B. dem Streichen der Fassade oder einem undichten Dach.
- Heizungssanierung: Schlecht gedämmte Ein bis Dreifamilienhäuser werden zügig mit Wärmepumpen-Hybridheizungen im bivalent-teilparallelen Betrieb saniert, um einerseits schnell Treibhausgasemissionen einzusparen aber auch flexibel genug zu sein, um auf lokale Strompreissignale reagieren zu können. Größere Gebäude, Gebäudenetze und Wärmenetze werden wirtschaftlich und emissionsarm über PV, KWK (zunehmend weniger und ausschließlich zur Abdeckung der Residiuallast mit grünen Gasen betrieben) und Wärmepumpen mit Energie versorgt.
- Eine Förderung erfolgt zukünftig konsequent nach dem individuellen Bedarf (orientiert z.B. an den Persona des Sozialklimarates) und nach der real erreichten Einsparung von Treibhausgasemissionen.
vgl. auch BMWK Systementwicklungsstrategie 2024
Gut zu wissen…
Im Folgenden einige zusammengestellte Zahlen und Argumente zu den oben angesprochenen Themen:
Die Hinweise nehmen zu, dass die Anschlüsse von Solarstromanlagen, Wärmepumpen oder Ladestationen mancherorts auf Engpässe im Stromnetz treffen und von Verteilnetzbetreibern nur noch schleppend genehmigt werden.
Die Bundesnetzagentur hat am 28. August 2024 eine Festlegung zur Verteilung der hohen Kosten in Netzen mit geringen Verbrauchswerten, aber hoher Einspeisung von erneuerbaren Energie und Umlage der Kosten über die bisherige § 19 StromNEV-Umlage getroffen (BNA 2024). Diese Umlage erhöht sich um 0,917 Cent/kWh von 0,643 Cent/kWh (2024) auf 1,56 ct/kWh in 2025. Die Netzentgelte liegen damit 2025 im Durchschnitt je nach Netzbetreiber zwischen 8,2 und 13 Cent/kWh. Der Anteil für das Übertragungsnetz (Höchst- und Umspannungsnetz) steigt durchschnittlich 2025 auf 6,65 Cent gegenüber 6,43 Cent im Jahr 2024.
Bisherige Investitionen und Aufwendungen für die Stromnetzinfrastruktur der Netzbetreiber (in Mrd. €) Quelle: BNA Monitoringbericht 2024.
Laut Bundestags – Drucksache 20/12078 belaufen sich die geplanten Investitionen der Übertragungsnetzbetreiber nach dem Netzentwicklungsplan (NEP) 2037/2045 (2023) bis 2037 auf bis zu 284 Mrd. € (vgl. Tabelle).
Geplante Investitionen der Übertragungsnetzbetreiber bis 2037 nach dem Netzentwicklungsplan (NEP) 2037/2045 (2023)
Netzbetreiber [Mrd. €] | landseitig | Offshore | Summe |
---|---|---|---|
Amprion | 37,50 | 60,87 | 98,37 |
50 Hertz | 42,45 | 16,81 | 59,26 |
TenneT | 58,70 | 47,21 | 105,91 |
TransnetBW | 21,32 | 21,32 | |
Summe | 159,97 | 124,89 | 284,86 |
Studien befürchten eine Verdreifachung der Netzentgelte bis 2045 (Ruhr GmbH 2024, Langfristszenarien 2024, S.12). Ihre Kosten werden verallgemeinert und bislang nicht verursachergerecht umgelegt. Wenn kleine und mittlere Erzeuger und Verbraucher beispielsweise nur eine Netzebene in Anspruch nehmen, um sich den Strom zu liefern, fallen Netzentgelte für alle Netzebenen an. Großverbraucher erhalten bislang Rabatte (§ 19 Absatz 2 StromNEV) statt netz- und systemdienliche Leistungspreise, die auch die Treibhausgase in den Blick nehmen.
Sondernetzentgelte für Industriekunden
Die Beschlusskammer 4 der Bundesnetzagentur hat mit Veröffentlichung eines Eckpunktepapiers am 24.07.2024 gemäß §§ 21 Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 lit. f), S. 5; 29 Abs. 1 EnWG ein Verfahren für eine von § 19 Abs. 2 StromNEV abweichende Festlegung zur Setzung systemdienlicher Anreize durch ein Sondernetzentgelt für Industriekunden eingeleitet. Im veröffentlichten Text heißt es wörtlich: „Die Reform der Netzentgeltrabatte für Industrie- und Gewerbekunden ist aus Sicht der Beschlusskammer unausweichlich. Aktuell gelten für diese Kundengruppen gemäß § 19 Abs. 2 der Stromnetzentgeltverordnung die sog. atypsiche Netznutzung und die Bandlastprivilegierung. Diese Regelungen entsprechen nicht mehr den Anforderungen eines Stromsystems, das von hohen Anteilen erneuerbarer Stromerzeugung geprägt ist.“ (Bundesnetzagentur 2024, zuletzt abgerufen am 30.07.2024).
Zahlreiche Szenarien gehen von einem bis 2030 stark ansteigenden Stromverbrauch in der Größenordnung von 750 TWh in Deutschland durch Zunahme durch Wärmepumpen und Stromverbrauch (Gassubstitution) in der Industrie und Zunahme der Elektromobilität aus (vgl. z.B. ISE 2024). Real beobachten wir einen abnehmenden Stromverbrauch bei Haushalten, Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und Industrie seit 2017 vgl. Abbildung).
Endenergieverbrauch Strom in Deutschland nach Sektoren (AGEB-Auswertungstabellen). Aufgrund der großen Menge an dezentralen Einzelanlagen liegt keine gesetzliche Vollerfassung vor. Die eigenerzeugten und selbst verbrauchten Strommengen sind als Schätzung enthalten. Der Selbstverbrauch aus Photovoltaikanlagen wird für 2023 auf etwa 7,5 bis 8,0 TWh abgeschätzt (Mitteilung Thomas Nieder, 4.11.24).
In den ersten neun Monaten 2024 lag der Stromverbrauch nach Angaben des BDEW um 7 TWh (2,1%) höher als 2023.
Photovoltaik und Kleinspeicher: Der Zubau auf Eigenstromerzeugung optimierter Anlagen (kleine Batteriespeicher, PV-Anlagen etc.) boomt. Die Leistung und Kapazität von kleinen Stromspeichern hat sich seit 2020 mehr als verzehnfacht.
Entwicklung der Speicherleistung in Deutschland. Quelle: Battery Charts RWTH Aachen auf Grundlage Meldungen MaStR. Figgener et al., The development of battery storage systems in Germany: A market review (status 2023), 2023
In den aktuellen Statistiken zum Stromverbrauch wird der Eigenstromanteil bislang nur grob abgeschätzt. Die Zahl der Kilowattstunden, auf die Netzentgelte umgelegt werden, sinkt. Eine sich selbst verstärkende Entwicklung hat bereits eingesetzt. Speicher verkaufen sich u.a. aufgrund des Bedürfnisses, unabhängiger von hohen Strompreisen werden zu wollen. Die Aussage des Umweltbundesamtes „Batteriespeicher bei Steckersolargeräten unrentabel“ ist entweder nicht mehr aktuell oder spielt bei der Kaufentscheidung nicht die entscheidende Rolle (UBA 26.11.2024).
Die Folge: Die Kosten der Stromnetzinfrastruktur werden auf immer weniger Schultern (kWh) umgelegt.
Strom aus Photovoltaik: 2025 wird in Deutschland die Marke von 4 Millionen PV-Anlagen mit einer elektrischen Spitzenleistung von mehr als 90 GWpeak erreicht. Die theoretisch mögliche Einspeiseleistung liegt damit mehr als doppelt so hoch wie die Minimallast z.B. an An Sonn- und Feiertagen in Deutschland von 30 bis 40 GW. Die Hälfte der Anlagen haben eine Leistung unter 100 KWel., die meisten davon speisen ungeregelt ein. So besteht bereits heute an sonnigen Sonn- und Feiertagen die Gefahr von Netzüberlastungen.
Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sorgt sich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 16. November 2024 über die Geschwindigkeit des Ausbaus von Solar- und Windstromanlagen (faz: 17.11.24). Ein großer Teil der installierten Solaranlagenleistung bis 100 kWel. lassen sich von den Netzbetreibern nicht in ihrer Einspeiseleistung herunterregeln.
Eine von Netzbetreibern geäußerte Befürchtung ist: An sonnenreichen Sonn- und Feiertagen könnte die Einspeisleistung dieser ungeregelten Anlagen bereits in 2025 den Verbrauch übersteigen und damit zu partiellen Abschaltungen im Netz führen.
Die Ampelkoalition wollte im Rahmen einer Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes gegensteuern, indem die Netzbetreiber auch Zugang zu kleineren Anlagen bekommen und diese abregeln können, die Pflicht zur Direktvermarktung auf Anlagen ab 25 Kilowatt (kW) Leistung abzusenken und dass die Betreiber in Zeiten negativer Preise keine Vergütung mehr bekommen. Ob solche Regelungen noch vor der Bundestagswahl umgesetzt werden und wann sie greifen bleibt unklar.
Der Youtuber Andreas Schmitz, bekannt als akkudoktor, zeigt in seinem Video vom 29.11.2024 anhand von der Einspeisekurve von 80 Anlagen, dass Heimspeicher die o.g. Problematik bei derzeitigem Betrieb eher noch verschärfen.
Eine Studie kommt zu ähnlichen Ergebnissen u.a. durch die Analyse einer empirischen Stichprobe von 947 einjährigen Lastprofilen von Haushaltsbatteriespeichersystemen. Es zeigt
sich, dass eine eigenverbrauchsfördernde Regelung zu einem Betrieb von
Batteriespeichern führt, der für das Energiesystem insgesamt so gut wie keinen
zusätzlichen Wohlfahrtsnutzen bringt, während die Batteriebesitzer davon profitieren. „In Einzelfällen führt diese Regelung sogar zu zusätzlichen Kosten, die unter den Energieverbrauchern sozialisiert werden“ (Semmelmann et al. 2024).
Die Studie ist eine weitere Begründung für die Notwendigkeit auch Heimspeicher netz- und systemdienlich anhand zeitlich und räumlich differenzierte Preissignale zu betreiben.
Statt weiterer rechtlicher Eingriffsregelungen könnte dieses Problem auch durch lokale Anreize (dynamische Strompreise, zeitvariable Netzentgelte) gelöst werden, um die zunehmende Anzahl an Batteriespeichern so zu laden, dass sie die Einspeisespitzen abfangen.
Großspeicher: Eine ähnliche Entwicklung wie bei den Kleinspeichern zeichnet sich derzeit auch bei den Großspeichern ab. Aktuell sind in Deutschland nur Batteriegroßspeicher mit einer Leistung von etwa 1,4 GW installiert. Bei den Übertragungsnetzbetreibern liegen inzwischen Anschlussbegehren für Batteriespeicher mit einer Leistung von insgesamt 161 Gigawatt vor (Johannsen 2024). Angetrieben werden die Nachfragen durch die täglichen Schwankungen des Strompreises. Die mittlere tägliche Standardabweichung lag 2023 bei rund 4 Cent/kWh, der maximale tägliche Spread beim Day-Ahead-Preis bei knapp 10 Cent/kWh und beim viertelstündlichen kontinuierlichen Intraday-Handel bei mehr als 20 Cent/kWh (FfE 13.3.2024).
Was sich in Deutschland abzeichnet, scheint in anderen Ländern bereits eine enorme Dynamik zu entwickeln. So hat die USA inzwischen Groß-Batteriespeicher mit einer Leistung von mehr als 22 GW am Netz. Davon wurden allein 6,7 GW in den ersten 3 Quartalen 2024 in Betrieb genommen (EIA). Weit überwiegend handelt es sich dabei um Lithium-Ionen-Batterien.
Aber auch Natrium-Ionen-Batterien sind in naher Zukunft am Markt zu erwarten, sie sind noch einmal um etwa 30% günstiger. In Guangxi, im Südwesten Chinas, wurde eine 10-MWh-Natrium-Ionen-Batteriespeicher in Betrieb genommen als erste Phase hin zu einem 100-MWh-Projekt (Zhang 2024). Die seit mehr als 10 Jahren die Politik bestimmende These, dass Netze billiger als Speicher sind, muss aus Sicht des KiB e.V. überdacht werden (These 4,5 Agora 2013).
Autobatterien: Ein bereits existierendes Potential schlummert auch noch in den bereits verkauften Autobatterien mit einer Kapazität von bis zu 100 GWh (vgl. Mobility Charts).
Ein sehr großer Teil des Stromverbrauchs findet auf der Niederspannungsebene statt. Wie viel genau, darüber gibt es bislang keine genauen Angaben. Ebenso hängt der weitaus überwiegende Anteil an Stromerzeugungsanlagen und Stromspeicherkapazität am Niederspannungsnetz.
Es macht also Sinn darüber nachzudenken, wie man bereits auf der Niederspannungsebene des Stromnetzes regenerative und residuale Erzeugung und Verbrauch zeitgleich oder über Speicher in Deckung bringt.
Anreize wie lokale dynamische Strompreise gibt es bislang nur von wenigen einzelnen Anbietern. Eine gesetzliche Grundlage dafür gibt es bislang nicht. Im Gegenteil die Politik favorisiert nach wie vor die einheitliche Preiszone für Deutschland. Dahinter steht die Hoffnung, die energieintensive Industrie an den bestehenden Standorten vor allem im Süden halten zu können und ihnen über den Strommarkt günstige Strompreise anbieten zu können.
Wann kommen lokale zeitvariable Netzentgelte als Anreit zum netzdienlichen Betrieb von Erzeugungs- und Vernrauchsanlagen?
Laut einer Umfrage bei Netzbetreibern nutzen in der Mittelspannung 36% und im Niederspannungsnetz 23% der Unternehmen hochaufgelöste Messdaten zur Berechnung der Auslastung ihrer Stromnetze (Envelio & energate 2024).
Zu transparenten Daten oder entsprechenden Anreizen wie zeitvariablen Netzentgelten mit denen Haushalte und Unternehmen ihre Anlagen, wie Photovoltaik, Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, Wärmepumpen und Speicher netzdienlich betreiben könnten, liegen also noch große Herausforderungen.
Es gibt jedoch Ansätze, wie sich mit wenigen Messdaten, sinnvoll verteilt im Verteilnetz, die Auslastung des Netzes bestimmen und aus der Wetter- und anderen Daten aus der Vergangenheit lernen lässt, wie sich die Netzauslastung in den nächsten Stunden entwickeln könnte (z.B. Koster 2024).
In einem ersten Schritt könnten diese Prognosedaten den Willigen, die ihre Anlagen auch netzdienlich betreiben wollen, transparent zugänglich gemacht werden.
Im einem zweiten Schritt könnten darauf aufbauend Anreize in Form lokaler zeitvariabler Netzentgelte entwickelt werden, um Anlagen netzdienlich zu betrieben und damit Netzsausbau einsparen zu helfen.
Niedrige und negative Strompreise entstehen in einem Grenzkostenmarkt am Kurzfristmarkt Spotmarkt (day ahead, intraday), wenn die Dampfkessel fossiler Kraftwerke keine schnellen Temperaturgradienten vertragen, und daher „angeheizt“ bleiben müssen, auch wenn der Strombedarf gleichzeitig durch Erneuerbare gedeckt werden könnte. Statt Flexibilität anzuregen, führt der Grenzkostenmarkt deshalb bei hohen Anteilen an erneuerbaren Energien zu geringen und negativen Strompreisen.
Je höher die erneuerbaren Stromanteile steigen, um so weniger werden sich die Investitionskosten in einem Grenzkostenmarkt refinanzieren können. Im Gegensatz zu vielen konventionellen Kraftwerken kann man Solar- und Windkraftwerke nahezu ohne Aufwand und Kosten schadlos herunterfahren (bei PV „aus dem Arbeitspunkt regeln“, bei Wind „aus dem Wind drehen“ bzw. Blattwinkel verstellen). Daher müssen andere Wege als ein bundeseinheitlicher Grenzkostenmarkt mit negativen Strompreisen gefunden werden, um den Ausbau und die Finanzierung der Erneuerbaren langfristig abzusichern.
Der Spotmarktpreis der einheitlichen Strompreiszone setzt in vielen Fällen aus Sicht des Klimaschutzes ein falsches Signal.
Fallbeispiel 1: Wenn Betreiber von hochflexiblen KWK-Anlagen in Süddeutschland ihre Anlagen aufgrund niedriger oder gar negativer Erlöse am Spotmarkt (z.B. bei hoher Winderzeugung im Norden oder Osten Deutschlands) für den eingespeisten Strom abregeln, müssen dort stattdessen Wärme und Strom getrennt und mit höheren Emissionen erzeugt werden (z.B. Wärme über Gas- und Strom über Kohlekraftwerke).
Fallbeispiel 2: Bei niedrigen oder negativen Strombörsenpreisen können Nutzende eines dynamischen Strompreises innerhalb von Sekunden ihren Batteriespeicher auf Laden setzen. Tun das in einer Region, in der das Netz bereits ausgelastet ist, gleichzeitig Viele, dann kann es zu Netzüberlastungen und im Extremfall zu Netzausfällen kommen. Häufiger aber noch kann es dazu kommen, dass in einer Region, in der gerade weder Wind weht noch die Sonne scheint, aufgrund der Batterieladungen ein fossiles Kraftwerk hochgefahren werden muss, mit entsprechend höheren Treibhausgasemissionen. In diesem Fall wird das Netz weder entlastet noch überschüssiger erneuerbarer Strom gespeichert, um zu anderen Tageszeiten fossilen Strom zu ersetzen.
Gemäß § 41 EnWG sind Stromanbieter zur Bereitstellung dynamischer Stromtarife verpflichtet.
§ 3 Nr. 31b EnWG legt dabei eine Orientierung an Börsenpreisen (EPEX Spot) fest, die keine lokalen Preissignale unterstützen.
Der GrünstromIndex liefert über das Internet eine frei verfügbare Vorhersage (forecast) der lokalen Emissionen des stündlichen Strommixes abrufbar nach Postleitzahlen.
Auf der gleichnamigen Internetplattform findet sich der absolute Wert sowie eine dreistufige, stündlich aufgelöste, farbige Darstellung. Grau bedeutet „wenig regenerativer Strom verfügbar“ und damit die Empfehlung, Geräte mit großem Stromverbrauch nicht zu nutzen. Gelb steht für einen durchschnittlichen Anteil an regenerativ erzeugtem Strom und rät dazu, mit Strom sparsam umzugehen, und Grün zeigt an, dass ein hoher Anteil des bezogenen Stroms aus regenerativen Quellen stammt.
Stromkunden können so ihre variablen Stromverbraucher, wie Wärmepumpen, Waschmaschinen etc., möglichst emissionsarm betreiben und Erzeugungsanlagen (BHKW) netzdienlich aktivieren (vgl. z.B. https://gruenstromindex.de/waermepumpe.html).
Energieversorger können den Grünstromindex als Basis für eigene zeitvariable dynamische Stromtarife nutzen, die den Anteil des erneuerbar erzeugten Strombezuges in der Region des jeweiligen Kunden anzeigen. Der Index kann mit einer Fair Use Policy postleitzahlenscharf per API abgerufen werden.
Die über eine API-Schnittstelle für Forschungszwecke verfügbaren Daten (https://corrently.io/books/grunstromindex) schaffen so Transparenz und eine Grundlage für dezentral organisierte Flexibilität (Ausgleich von erneuerbarer Erzeugung und Verbrauch) und Anreize zur Verbrauchssteuerung, Lastverschiebung, Suffizienz etc.
Entwickelt wurde der GrünstromIndex von dem Unternehmen STROMDAO, das über „Corrently“ selbst einen entsprechenden Tarif als Energieversorger anbietet und stetig weiterentwickelt.
Der Index verarbeitet über Algorithmen folgende Daten:
- Daten zur aktuellen und erwarteten Stromerzeugung von Übertragungsnetzbetreibern, Energieerzeugern und Aggregatoren.
- Wetterinformationen von meteorologischen Diensten und Wettervorhersagemodellen, wie Windgeschwindigkeit, Sonneneinstrahlung und Niederschlagsmenge, werden verwendet, um die erwartete Leistung der erneuerbaren Energiequellen vorherzusagen.
- Historische Stromerzeugungs- und Verbrauchsdaten, um Muster und Trends via Machine Learning mit Hilfe eines Graphenmodells zu analysieren.
- Weitere Betriebsdaten von Kraftwerken, wie z.B. geplante Wartungsarbeiten, geplante Einspeisungen erneuerbarer Energien, zur Verbesserung der Vorhersagegenauigkeit.
Aufgabe eines Strommarkts der Zukunft muss es sein, die Informationsverarbeitung privater Plattformen wie dem Grünstromindex auf eine rechtliche Grundlage zu stellen, die stetig für eine wissenschaftlich abgesicherte Datenbasis sorgt. Lokale Informationen und Preissignale sollten so weiterentwickelt werden, dass auch z.B. Kombinationen vor Ort aus Solarstromanlagen, KWK-Anlagen, Wärmepumpen und Speichern treibhausgasarm und netz- und systemdienlich betrieben werden und die Kosten für die Netzinfrastruktur bezahlbar bleibt.
Bereits heute ist es auch für viele Mietende technisch möglich, ihre Energieversorgung teilweise selbst in die Hand zu nehmen. Mit der gesetzlichen Privilegierung der Steckersolargeräte kann Mietenden z.B. ein Balkonkraftwerk in der Regel nicht mehr verwehrt werden.
Kleinspeicher sind technisch inzwischen nicht nur in der Lage, den eigenen Solarstrom zwischenzuspeichern und damit den Eigenstromanteil zu erhöhen, sondern auch dann Strom aus dem Netz zu beziehen, wenn er gerade günstig ist (dynamische Strompreise müssen ab dem 1.1.2025 angeboten werden).
Die Frage, wieviel Haushalte und Unternehmen zukünftig ihre Energieversorgung mit Photovoltaik, Batteriespeicher, Wärmepumpe zumindest teilweise selbst in die Hand nehmen, wird darüber entscheiden, wieviel Stromnetzausbau notwendig ist und wie teuer die Energiewende für alle wird. Im Internet wird dafür inzwischen mit Slogans wie „Balkonkraftwerk-Speicher zum Black Friday: 50-Prozent-Aktion bringt ihn in jeden Haushalt“ geworben.
Wenn sich der sich abzeichnende Trend fortsetzt, wird der Gesetzgeber mit lokalen Preissignalen reagieren müssen, um die vielen Speicher auch netz- und systemdienlich einzusetzen. Dann werden aber auch Netzausbau und Kraftwerksstrategie überdacht werden müssen.
Damit die Energiepreise oder notwendige Sanierungen für viele Menschen nicht zur unzumutbaren finanziellen Belastung werden, sind bedarfsorientierte Maßnahmen dringend notwendig, um Armut zu reduzieren und einkommensschwachen Haushalten eine Teilhabe an der Transformation zu ermöglichen. Wie sich aus den statistisch ermittelten Persona des Sozial-klimarates ergibt, ist der Förderbedarf je nach Person sehr unterschiedlich.
Die nachfolgenden den Persona zugeordneten Fragen und aus ihnen abgeleiteten Schlussfolgerungen stammen nicht vom Sozial-Klimarat sondern vom Autor dieses Beitrages.
So bräuchte Magda Meyer (die hier für etwa 15% der Bevölkerung steht und im Eigentum lebt) z.B. entweder ein Angebot für eine bezahlbare Wohnung in der Nachbarschaft und ggf. Umzugshilfe oder ein z.B. bis zum Lebensende tilgungsfreies zinsgünstiges Darlehen und entsprechende Unterstützung bei der Auswahl und der Betreuung der Handwerker in der Sanierungsphase.
https://www.sozial-klimarat.de/post/auf-dem-weg-zu-einem-klimapolitischen-lagebild, abgerufen 14.11.2024
Im Fall der mietenden Alia Yücel mit geringem Einkommen (die für 14% der Bevölkerung steht) sind dagegen eher Anreize gefragt, die den Wohnungseigentümer zu einer bezahlbaren Sanierung motivieren. Dazu gehört auch ein gesetzlicher Rahmen, der verhindert, dass hohe Fernwärmepreise allein auf die Mietenden abgewälzt werden können.
https://www.sozial-klimarat.de/post/auf-dem-weg-zu-einem-klimapolitischen-lagebild, abgerufen 14.11.2024
Viele Fernwärmepreise liegen inzwischen deutlich über den Energiekosten für eine Hybridlösung (z.B. Wärmepumpe + Gaskessel) (vgl. https://waermepreise.info/preisuebersicht/)
Bislang war beim Heizungstausch der Austausch eines alten Heizkessels durch einen neuen der Regelfall. Mit dem Gebäudeenergiegesetz will die Politik einen Paradigmenwechsel einläuten und mit dem Einsatz der Wärmepumpe und dem Einsatz von „grünem Strom“ statt fossiler Brennstoffe schnell Treibhausgasemissionen einsparen.
Mit der Wärmepumpe stellen sich deutlich mehr Fragen als beim Heizkessel.
In der Auslegung und dem Betrieb einer Wärmepumpe liegen aber auch eine Menge Chancen, bei beschränkten Ressourcen (Arbeitskraft und Budget) Treibhausgase und Geld gleichermaßen einzusparen, sofern sie Flexibilität durch Kombination mit anderen Wärmeerzeugern erlaubt.
In der Kombination mit einem Gaskessel beispielsweise kann auch in kleineren Gebäuden die Heizungsregelung auf Strompreissignale regarieren und immer dann die Wärme erzeugen und ggf. in einem Pufferspeicher zwischenspeichern, wenn der Strom entweder von der Solarstromanlage vom eigenen Dach oder gerade günstig und treibhausgasarm aus dem Netz bezogen werden kann.
Daraus ergibt sich z.B. bei beschränktem Budget eine flexiblere Sanierungsstrategie gegenüber der bisher von vielen favorisierten Lösung, zunächst zu dämmen und erst dann die Heizung zu tauschen.
Ein Szenario vor dem gewarnt wird ist die fehlende Kapazität an Kraftwerken, wenn der Strombedarf einmal über mehrere Tage hoch ist.
Beispiel: An vier aufeinanderfolgenden Tagen Anfang November lieferte Wind- und Solaranlagen kaum Energie. Die Nachfrage konnte zwar gedeckt werden aber mit hohen Preisschwankungen an den Börsen. Insbesondere Abends zwischen 17-18 Uhr waren die Strombörsenpreise hoch und stiegen bis auf 80 Cent/kWh.
Die Bundesregierung hat das Ziel bis zum Jahr 2030 etwa 80% des Bruttostromverbrauchs im Jahresdurchschnitt durch Erneuerbare Energien zu decken. Bei der Bilanzierung bleibt unberücksichtigt, dass auf Grund der Schwankungen (der sog. Volatilität) von Wind- und Sonnenstrom ein großer Teil des Stroms keine Verwendung findet, weil er zu falschen Zeiten produziert wird. Da im Stromnetz zu jedem Zeitpunkt ein Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch herrschen muss, wird dieser Strom heute noch weitgehend abgeregelt. Über Abregelungen informiert z.B. die Netzampel. Man bezeichnet dies auch als negative Residuallast.
Die positive Residuallast (Strom) ist definiert als die verbleibende Stromlast nach Abzug der aktuellen Leistung der nicht regelbaren erneuerbaren Energien (Sonne, Wind, Wasser, Biomasse) von der aktuellen Gesamtlast (Stromverbrauch).
Erneuerbare Strommengen, die abgeregelt werden müssen, obwohl sie zwar an anderen Orten fossile Erzeugung ersetzen könnten, aber nicht über das Stromnetz zum Ort des Verbrauchs transportiert werden können bezeichnet man als Redispatch (vgl. netztransparenz.de)
Zu anderen Zeiten reicht das Angebot an Erneuerbarer Energie nicht zur Deckung des Strombedarfs aus und entsprechend muss das Defizit z.B. durch konventionelle Kraftwerke gedeckt werden.
Die Residualleistung ist über das Jahr sehr unterschiedlich verteilt, abhängig vom Dargebot von den Erneuerbaren, vor allem Sonne und Windstrom.
Eine vorliegende statistisch mathematische Analyse der Residuallast hat untersucht, wieviel Erneuerbaren Strom und welche Speichererfordernisse erforderlich sind, um die Residuallast zu decken (Seelmann-Eggebert 2024). Sie unterteilt die Residuallast dazu in zwei Anteile:
- den „Interdies“-Anteil, der die Bilanz aus Tagesertrag und Tagesverbrauch widerspiegelt und die saisonale Abhängigkeit einschließt, sowie
- den „Intradiem“-Anteil, der alle Tageszeiten mit Unterdeckung aufsummiert.
Unter der Vereinfachung, dass übers Jahr genauso viel Strom aus Erneuerbaren erzeugt wie verbraucht wird und sich die Tagesverbräuche relativ gleichmäßig über das Jahr verteilen, ergibt sich folgendes Bild:
- Wann immer der Tagesertrag einer Solaranlage den Tagesverbrauch übersteigt, kann der Intradiem-Anteil der Residuallast z.B. vollständig durch Batteriespeicher ausgeglichen werden. Pro kWp installierte Leistung Solar ist dabei eine Kurzzeitspeicherkapazität von etwa 1,5 kWh notwendig.
- Werden bei einer reinen Versorgung mit Solarstrom keinerlei Speicher oder Maßnahmen zur Lastverschiebung eingesetzt, so beträgt die Residuallast wegen dem großen Intradiem-Anteil bei bilanziell ausgeglichener Jahresversorgung mehr als 60%. Kurzzeitspeicher sind in der Lage unter anderem die Nachtlücke auszugleichen und damit den nutzbaren Solarstrom zu verdoppeln!
- Da der Wind auch nachts weht, zeigt Windstrom im Gegensatz zum Solarstrom durchschnittlich keine Korrelation mit der Tageszeit und lediglich schwache saisonale Tendenzen. Grundsätzlich entstehen Unterdeckungssituationen Intradiem in deutlich geringerem Umfang. Bei einer reinen Windkraftversorgung, bei der in der Jahresbilanz genauso viel Windstrom erzeugt, wie durch Lasten verbraucht wird, beträgt die Intradiem-Residuallast durchschnittlich etwa 7% und kann schon durch Batterien mit 10% bis 20% Kapazität einer durchschnittlichen Tageslast durchweg überbrückt werden. Überraschenderweise ist die Interdies-Residuallast von Windkraft ähnlich hoch wie bei der Photovoltaik. Auch hier können mehr als 30% des Stroms nicht direkt genutzt werden.
Ein selbstversorgendes System muss hinreichend Überschuss für die Produktion von synthetischem Brennstoff für Residuallastkraftwerke produzieren. Abhängig vom Wirkungsgrad für Rückverstromung gibt es einen Minimalwert für den notwendige Überschuss, um über einen Langzeitspeicher (wie z.B. eine Wasserstofferzeugung mit Rückverstromung) die Interdies-Residuallast zu decken. Dieser Minimalwert beträgt ein Vielfaches der Interdies-Residuallast.
Rechenbeispiel: Wieviel Erneuerbaren Strom braucht es, um die Residuallast vollständig über Kurz- und Langzeitspeicher zu decken?
Unter der vereinfachten Annahme, dass sich die Tagesverbräuche relativ gleichmäßig über das Jahr verteilen, braucht es zur Abdeckung eines Strombedarf von z.B. 750 TWh (100%) eine Ertragsmenge von 1014 TWh (135%) aus Windkraft und Sonnenstrom. Dabei können statistisch etwa 662 TWh des Stroms direkt oder über einen Kurzzeitspeicher (Batterie etc.) genutzt werden, der die Tagesschwankungen ausgleicht. Etwa 351 TWh (47%) des Stroms fallen statistisch zu Zeiten an, in denen er nicht genutzt werden kann (Seelmann-Eggebert 2024). Dieser Strom kann aber z.B. über Wasserstoff oder Biomethanerzeugung und Rückverstromung um die Interdies-Residuallast dezentral zu erzeugen.
Seit dem 1. Januar 2024 dürfen Netzbetreiber den Strombezug der steuerbaren Verbrauchseinrichtung, wie nicht private Ladepunkte für Elektro-Autos (Wallboxen), Wärmepumpen, Kälte-/Klimaanlagen und Stromspeicher mit Anschluss am Niederspannungsnetz temporär auf bis zu 4,2 kW (Mindestleistung) reduzieren. Damit soll eine Überlastung des lokalen Stromnetzes abgewendet werden. Der Haushaltsstrom ist davon nicht betroffen. Dazu müssen zukünftig alle regelbaren Verbrauchseinrichtungen mit einem intelligenten Zähler incl. Smart Meter Gateway ausgerüstet sein. Als „Gegenleistung“ erhalten die Betreibenden eine Netzentgeltreduzierung für den Strombezug dieser variablen Verbrauchsanlagen (vgl. Bundesnetzagentur). Bei der Netzentgeltreduzierung kann der Betreibende aus 3 Optionen (Modulen) eine auswählen. Option bietet eine jährliche pauschale Reduzierung (etwa zwischen 110-190 €), Option 2 gewährt ein prozentuale Reduzierung der Netzentgelte (auf 40% des Netzentgelt Arbeitspreises) und Option schließlich ein zeitvariables Entgelt, das seitens des Netzbetreibers auch gekoppelt mit Option 1 angeboten werden kann. Das Beispiel von zwei Netzbetreibern zeigt wie unterschiedlich Option 3 ausgestaltet werden kann. Der Netzbetreiber bnnetze macht den Strom in der Nacht z.B. für Wärmepumpen extrem günstig und Netze BW um die Mittagszeit.
Variable Netzentgelte des Verteilnetzbetreiber Netze BW
Variable Netzentgelte des Verteilnetzbetreiber bnnetze
Über 554.000 Kilometer Erdgasleitungen verteilen 703 Verteilnetzbetreiber (VNB Gas) jährlich etwa 800 TWh Gas über die 11 Mio. Ausspeisepunkte an Letztverbraucher, Weiterverteiler oder nachgelagerte Netze der Netzbetreiber.
Laut Monitoringbericht 2024 (S. 44) der Bundesnetzagentur betrugen die Investitionen und Aufwendungen für die Erhaltung und Wartung der Netzinfrastruktur Gas (Übertragungsnetz & Verteilnetz) im Jahr 2023 zusammen etwa 2,5 Mrd. Euro. Das entspricht bei einem Erdgasverbrauch im Jahr 2023 von etwa 800 TWh einem Erhaltungsaufwand von etwa 0,31 Cent/kWh. Sollte z.B. der Bedarf an Erdgas, Biomethan oder Gemischen mit Wasserstoff auf z.B. 200 TWh zurückgehen ist aus volkswirtschaftlicher Sicht das Gasnetz mit Erhaltungskosten von unter 2 Cent/kWh eine im Gegensatz zum Stromnetz kostengünstige Infrastruktur.
Ganzheitliche Kosten-Nutzen-Rechnungen fehlen noch weitgehend, ob es sinnvoller ist lokale Überschüsse an Erneuerbarer Energie über das Stromnetz oder über chemische Energiespeicher zu transportieren. Erste Untersuchungen zeigen, dass es in der Gesamtbetrachtung kostengünstiger ist, Windenergie direkt auf See über Elektrolyseanlagen in Wasserstoff zu verwandeln und über eine Gaspipeline zu transportieren, als über eine Stromleitung (Schwaeppe et al. 2024).
In der Systementwicklungsstrategie 2024 des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) heisst es „Nach 2045 verbleibt ein umfangreiches Gasfernleitungsnetz, dessen Nutzung unklar ist.“ Das BMWK geht davon aus, dass große Anteile der heutigen Gas
verteilnetze, die nicht für die Umstellung auf Wasserstoff, andere klimaneutrale Gase oder den CO2Transport benötigt werden, stillgelegt werden. Mannheim hat bereits verkündet dass sie als erste deutsche Großstadt bis 2035 sein Gasnetz stilllegen will. Mannheim verfügt über ein ausgedehntes Fernwärmenetz.
Die Festlegung der Bundesnetzagentur erlaubt bereits ab 2022 den Netzbetreibern kürzere Nutzungsdauern (Abschreibungsdauern) als bisher. So können aktuell Teile von Gasnetzen in Ausnahmefällen bis zum Jahr 2035, in der Regel bis 2045 abgeschrieben werden. Zusätzlich werden in besonderen Fällen degressive Abschreibungen mit einem Satz von bis zu 12 Prozent erlaubt (Bundesnetzagentur 2024). Die Netzentgelte hängen auch vom Gasverbrauch ab, wenn dieser fällt steigen die Netzentgelte. Geringerer Gasverbrauch und geringere Abschreibungsdauern führen auch 2025 zu deutlich höheren Netzentgelten der Gasnetze.
Die Internetplattform VisuFlex zeigt, wie weit die Flexibilisierung einiger Biogasanlagen in Deutschland vorangebracht wurde. Mit einer bis zu fünfmal höheren elektrischen Leistung als bei einem gleichmäßigen Betrieb über das ganze Jahr reagieren die bisher in geringer Anzahl flexibilisierten Biogasanlagen im Wesentlichen auf den Börsenstrom- preis (VisuFlex), um höhere Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. Bisher können sie so vor allem Tagesschwankungen von Strombedarf und -erzeugung ausgleichen.
Mit dieser Art der Flexibilisierung zum Ausgleich von Tagesschwankungen treten die Biogas- anlagen zunehmend in Konkurrenz mit vermutlich auf Dauer deutlich günstigeren Batterie- speichern.
Biogasanlagen hätten aber noch deutlich mehr Optionen zur Flexibilität, wie z.B.:
- die Speicherung vor Ort über mehrere Tage.
- den Anbau und Lagerung der Einsatzstoffe über viele Monate. Biogasanlagen können zeitweise mehr Substrat oder weniger umsetzen. Silagen aus nachwachsenden Rohstoffen können zwischen einem und zwei Jahren gelagert werden. Manche Biogasanlagen können zeitweise bis auf eine Minimalleistung von 10-20% ihrer maximalen Leistung heruntergefahren werden. Diese minimale Leistung deckt über kleine KWK-Anlage gerade den Wärmebedarf zur Aufrechterhaltung der Temperatur.
- die Einspeisung (Speicherung) von Biomethan im Erdgasnetz.
- biologische oder katalytische Methanisierung in Kombination mit Elektrolyse- Wasserstoff: Biogas besteht in der Regel aus ca. 55 % Methan und 45 % Kohlenstoffdioxid. Durch die Reaktion von Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid (Methanisierung) kann der Methangehalt auf bis ca. 95 % gesteigert werden, womit das Biogas im Prinzip einspeisefähig für das Gasnetz wird. Mit der Methanisierung kann somit aus grünem Wasserstoff (erzeugt aus grünem Überschussstrom) Methan erzeugt werden, welches in der vorhanden Gasinfrastruktur genutzt und in gewissem Umfang gespeichert werden kann. Die Effizienz der Biomassenutzung in Biogasanlagen wird somit erhöht.
- die flexible Nutzung von Biogas, Biomethan, Wasserstoff und Erdgas in den überbauten KWK-Anlagen an Biogasstandorten durch entsprechend lokale Preissignale, die einerseits die Residuallast und andererseits Netzengpässe vor Ort adressieren.
Ein solcher Ausbau zur Abdeckung von saisonaler Residuallast erfordert:
- einen Stromnetzanschluß. Biogas kann Strom liefern, wenn PV und Wind dies nicht ausreichend tun. Es kann durch entsprechende Verträge und technische Einrichtungen so abgesichert werden, dass es zeitgleich nicht mit diesen um die Einspeisemöglichkeit konkurriert. Die Netzausbaukosten könnten so reduziert werden. Die installierte Leistung (KW) muss dazu eine 8-10fache Überbauung zulassen, um nur 1000 – 1500 Stunden Strom im Jahr zu produzieren, wenn PV und Wind nicht liefern können.
- einen Gasnetzanschluß. Für eine Dunkelflaute sollte aus dem Gasnetz sicher zusätzliche Energie geliefert werden. Moderne KWK-Anlagen können jede Mischung aus Biogas, Biomethan und Wasserstoff zu Strom und Wärme umwandeln. Die verbrauchten Mengen werden durch Zähler erfasst und lassen sich umrechnen.
- Eine entsprechende Biogasaufbereitungstechnik. Im Sommer Teilmengen und zu Stromüberschußzeiten im Sommer und Winter voll, könnte Biomethan in lokalen Speichern oder im großen Gasnetz gespeichert und bei Bedarf gehandelt, genutzt oder rückgespeist werden. Dazu müssten Anlagenbetreibern ähnliche Bedingungen gewährt werden, wie auch anderen Großkraftwerken.
- Dezentrale Elektrolyseure und biologische oder katalytische Methanisierungsanlagen an Biogasstandorten. Aus einem Anteil Kohlendioxid (CO2) und vier Anteilen Wasserstoff (H2) werden ein Anteil Methan (CH4) und ein Anteil Wasser (H2O).
- Die Erschließung von Wärmesenken, z.B. über kommunale Energieleitpläne bzw. überörtliche Infrastrukturplanung. Bisher fehlt die Einbeziehung von flexibilisierten Biogasstandorten in der kommunalen Wärmeplanung.
Schematische Darstellung zur Ausgestaltung von Speicherkraftwerken, um die mehrtägige Residuallast abzudecken.