Erst Dämmen oder erst die Heizung sanieren?

Am Praxisbeispiel – Einfamilienhaus der Familie Hasenberg

Vor dieser Frage stehen viele Gebäudeeigentümer nicht erst seit der Reform des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Ausgelöst durch Sanierungsquoten von unter 1% legt das aktuelle GEG einen Schwerpunkt auf die Heizungssanierung auch vor der Sanierung der Gebäudehülle. Bei beschränkten finanziellen Mitteln liegt es nahe sich für eine Lösung in Form einer Hybridheizung (Wärmepumpe + zweiter Erzeuger) zu entscheiden.

Individuelle Sanierungspläne empfehlen dennoch oft erst zu dämmen.

Aktuell werden noch immer individuelle Sanierungspläne erstellt, die vor der Heizungssanierung eine energetische Sanierung der Gebäudehülle empfehlen, den Stromverbrauch nicht berücksichtigen und falsche Hoffnungen bezüglich der Einsparung wecken.

Abbildung 1 zeigt das an einem konkreten im November 2024 erstellten Sanierungsfahrplan für ein Mehrfamilienhaus (Baujahr 1965) mit 774 m2 Wohnfläche. Er empfiehlt vor der Sanierung der Heizung (Erdgas) die Sanierung der Gebäudehülle mit Investitionen bis 2027 abzüglich der PV-Anlage in Höhe von etwa 1 Millionen € (ca. 1.300 € pro Quadratmeter) umgerechnet mehr als 1.300 €. Die allein durch die Sanierung der Gebäudehülle erreichte Einsparung an Endenergie und damit bei der erst vor wenigen Jahren erneuerten Erdgasheizung der Emissionen liegt laut Sanierungsfahrplan bei etwa 40%.

Sanierungsfahrplan Mfh

Abbildung 1:    Individualisierter annonymisierter Sanierungsfahrplan für ein Mehrfamilienhaus in Südbaden, erstellt im November 2024.

Für die Heizungssanierung empfiehlt der Sanierungs­fahr­plan im Jahr 2030 den Anschluss an die Fernwärme mit dann unterstellten Energiekosten von 6.500 €.

Umgerechnet ergibt das einen Fernwärmepreis bezogen auf den unterstellten End­energieverbrauch von 99.150 kWh/a in 2030 von rund 6,5 Cent/kWh. Ein Blick auf das aktuelle Preisblatt des ortsansässigen Fernwärmebetreibers ergibt einen Fernwärmepreis von insgesamt knapp 17 Cent/kWh.

Alternativen zum Fern­wärme­an­schluss werden im Begleittext zum Sanierungsfahrplan nicht diskutiert und es findet sich auch kein Hinweis darauf, dass es bislang für die Straße noch keinen konkreten Zeitplan für den Fernwärmeausbau gibt.

Die Alternative: Eine Heizungssanierung mit einer Hybridheizung aus Wärmepumpe, dem bestehenden (vor wenigen Jahren erneuerten) Erdgaskessel, einer Solarstrom­anlage (incl. Dachsanierung und -dämmung) würde mit einer Investition von etwa 280.000 € auskommen (entspricht ca. 362 €/m2) und deutlich mehr Emissionen einsparen.

Selbst bei dem unrealistisch günstigen Fernwärmepreis von 6,5ct/kWh und bei Abzug der im Sanierungsfahrplan angesetzten „Sowiesokosten“ von 368.000 € würde sich durch die verbleibenden Sanierungskosten in Höhe von rund 650.000 EUR die jährlichen Energiekosten nur um 10.000 EUR reduzieren. Das würde einer statischen Amortisation von mehr 65 Jahren entsprechen. Dafür wird man die Wohnungs­eigentümer­ge­mein­schaft mit geringen Rücklagen sicher nicht gewinnen können, zumal in diesem Fall die wenigsten Eigentümer ihre Wohnungen auch selbst nutzen.

Von der Ölheizung zur Pelletwärmepumpe – die Bilanz einer Hybridheizung mit Photovoltaik am Beispiel des Einfamilienhauses der Familien.

Welche Einsparung mit deutlich geringeren Investitionen bereits durch eine Heizungssanierung erzielt werden können, zeigt das Beispiel eines freistehenden Einfamilienhauses (5 Personen) mit Hybridheizung der Familie Hasenberg in Bempflingen, Baden-Württemberg.

Ein Anschluss an ein Wärmenetz oder ein Erdgasnetz stand am Standort im baden-württembergischen Bempflingen mit knapp 3.500 Einwohner ohnehin nicht als Möglichkeit zur Verfügung als die Hasenbergs über die energetische Sanierung ihres Hauses nachdachten.

Wenn Familie Hasenberg einen individualisierten Sanierungsfahrplan für ihr Haus hätte erstellen lassen, so wie jener für das Mehrfamilienhaus in Südbaden, er würde etwa wie in Abbildung 2 aussehen.

Sanierungsfahrplan Efh

Abbildung 2:    Fiktiver individualisierter Sanierungsfahrplan für das Einfamilienhaus

Alles falsch gemacht?

Würde man den in Abbildung 2 fiktiv erstellten Sanierungsfahrplan zur Grundlage nehmen, so hätte Familie Hasenberg alles falsch gemacht. Sie haben die Gebäudehülle zunächst nicht saniert und setzen trotz hohem spezifischen Wärmebedarf von etwa 200 kWh/m2 und Jahr zukünftig überwiegend auf eine Wärmepumpe zum Heizen ihres Gebäudes und für die Warmwasserbereitung.

Ausgangslage 3.700 Liter Ölverbrauch pro Jahr

Der Ausgangspunkt für die Heizungssanierung war der Verbrauch von 3.300 bis 3.700 Liter Heizöl pro Jahr. Das Einfamilienhaus ist aus den späten 70ern und hat eine Wohnfläche von 185 m2.

Die Energiekosen für das Gebäude lägen für Heizung und Strom (Heizöl 3.770€ + Repara­turen + Strom 1.224 €) bei rund 5.000 € (Preise 2024). Das entspricht etwa 400 € pro Monat.

Es bestand kein unmittelbarer Renovierungsbedarf. Eine erste vorsichtige Schätzung für ein neues Dach, Fassadendämmung, alle Fenster austauschen und Fußbodenheizung hätte Kosten von 180.000-200.000 € bedeutet (vgl. Abbildung 2). Also suchten die Hasenbergs nach einer anderen günstigen, aber auch treibhausgasarmen Lösung.

Die Lösung für die Energieversorgung ihres Hauses fanden sie in einer Hybridheizung mit Wärmepumpe, Pelletofen und Photovoltaik mit Investitionskosten von 57.000 €. Abzüglich der Förderung durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhr­kon­trolle (BAFA) blieben 41.000 €, die  die Hasenbergs selbst aufbringen mussten.

Rund 80% weniger Betriebskosten

Von den monatlichen Betriebskosten für Heizung und Gebäudestrom in Höhe von 400 € blieben nach dem Heizungstausch noch 75 €. Das sind jedes Jahr also 4.400 € geringere Energiekosten.

Bezogen auf die Gesamtinvestition ohne Förderung (57.000 €) ergibt sich eine statische Amortisation von knapp 14 Jahren, bezogen auf die Investition mit Förderung (41.000 €) liegt sie bei knapp 10 Jahren.

Diese Rechnung berücksichtigt nicht, dass die Hasenbergs inzwischen auch knapp 3.000 kWh eigenen Solarstrom vom Dach für zwei Elektroautos über eine Wallbox nutzen.  Das spart etwa 1.500 Liter Sprit ein.

Unter Berücksichtigung der Elektroautos lag der gesamte Stromverbrauch 2024 bei rund 15.250 kWh. Davon kamen bereits 52% von der eigenen Solarstromanlage (siehe Gesamtbilanz in  Abbildung 3).

Eine Hybridheizung bedeutet Flexibilität

Normalerweise schaltet Hasenbergs Hybridheizung bei Außentemperaturen von weniger als 3°C um auf den Pelletofen. Die Hybridheizung ermöglicht es aber auch unabhängig von der Außentemperatur den Pelletkessel zu- und abschalten zu können. Das ist unter 3°C Außentemperatur interessant, wenn die Sonne scheint und die Photovoltaikanlage vom eigenen Dach genug Strom liefert. Dann ist es wirtschaftlicher die Wärmepumpe laufen zu lassen, trotz niedriger Effizienz.

Efh Vorher Nachher

Abbildung 3:   Energie, Treibhausgasemissionen und Energiekosten vor und nach den Maßnahmen Photovoltaik, Hybridheizung, Wallbox, Elektroautos der Hasenbergs (1 Emissionsfaktor für Holzpellet von 20 gCO2äq/kWh zugrunde, 2Emissionsfaktor für Holzpellet von 344 gCO2äq/kWh, Berechnung der Emissionen siehe Anhang Tabelle 1)

Ausblick

Familie Hasenberg denkt derzeit über die Anschaffung eines Batteriespeichers nach. Mit einem Batteriespeicher wird sich der eigengenutzte Anteil des produzierten Solarstroms noch steigern lassen (vgl. Abbildung 4). Damit kann der Anteil des Pelletbedarfs weiter reduziert werden.

Spätere Maßnahmen zur energetischen Verbesserung der Gebäudehülle im Rahmen ohnehin anstehender Sanierungen werden den Wärmebedarf und damit auch die Emissionen weiter senken.

Darüber hinaus kann gegenüber dem bestehenden dynamischen Stromtarif, auch ein dynamischer Stromtarif genutzt werden, der nicht nur auf Grundlage des Spot­markt­preis an der Börse ausgerichtet ist, sondern auch die lokalen Emissionen des bezogenen Stroms mit einbezieht, wie z.B. dem Grünstromindex. Dieser erlaubt es in der Nacht oder bei Bewölkung vor allem dann Strom aus dem Netz zu beziehen, wenn z.B. der Windstromanteil hoch ist. Das würde zu weiteren Einsparungen bei den Treibhausgasen führen.

Hybridheizungen, intelligentes Laden des angedachten Batteriespeicher können bei breiterer Anwendung durch ihre geringere Gesamtleistungsaufnahme der Wärmepumpe an kalten Tagen den Netzausbau reduzieren oder ganz einsparen.

Efh Monatliche Energiebilanz

Abbildung 4:   Monatliche Energiebilanz ohne Umweltwärme

Alle Angaben zu Energie und Kosten wurden dankenswerter von Volker Hasenberg zur Verfügung gestellt und der Lesbarkeit halber auf- oder abgerundet. Für Rückfragen steht Volker Hasenberg gerne per E-Mail unter hasenberg@ntz.de oder via LinkedIn zur Verfügung.

Das Praxisbeispiel der Familie Hasenberg bestätigt die im Rahmen des KSSE-Projektes vom KiB e.V. entwickelte Sanierungsstrategie bei beschränkten Ressourcen, wie z.B. Geld oder Fachkräfte.

Sanierungsstrategie

Anhang

Berechnung der Treibhausgasemissionen vor (2021) und nach (2024) den Maßnahmen Photovoltaik, Hybridheizung, Wallbox, Elektroautos der Hasenbergs [(1) Emissionsfaktor für Holzpellet von 20 gCO2äq/kWh zugrunde, (2) Emissionsfaktor für Holzpellet von 344 gCO2äq/kWh.), Quellen für Emissionsfaktoren https://innovationorigins.com/de/die-herstellung-von-benzin-und-diesel-verursacht-mehr-co2-emissionen-als-wir-dachten/ und https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/emissionsbilanz-erneuerbarer-energietraeger-2023

Efh Anhang Tabelle Emissionen

Konversion statt Kündigung: Florenzer Arbeiter kämpfen mit der Klimabewegung für eine nachhaltige Fabrik

Seit über zwei Jahren wehren sich die Beschäftigten des Zulieferwerks von der Firma GKN gegen eine plötzliche Kündigung und setzen sich zusammen mit der Klimabewegung für eine Konversion des Werkes ein. Was dahintersteckt, ein paar Eindrücke von meinem Besuch dort über Silvester und was es jetzt auch aus Deutschland braucht, findest Du in diesem Artikel.  

Die damaligen 422 Beschäftigten des GKN-Werks bei Florenz haben bis Juli 2021 Achswellen produziert. Dann kam übers Wochenende die plötzliche Kündigung aller Beschäftigten. Die fuhren am nächsten Montag jedoch trotzdem zur Fabrik und starteten eine unbefristete Betriebsversammlung, quasi eine legale Form der Fabrikbesetzung. Diese läuft seitdem ununterbrochen und immerhin 185 der ursprünglichen Beschäftigten sind noch dabei. Vor Gericht gewannen sie gegen ihren Arbeitgeber, da die kurzfristigen Kündigungen unrechtmäßig waren. 

Florenz, 31. Dezember 2023 in der „Bar“, dem sozialen Mittelpunkt der Fabrik: Die Kollegen (inzwischen sind es tatsächlich nur noch Männer) hatten zur Silvesterfeier eingeladen und zur Verteidigung der Fabrik aufgerufen, denn sie sollten zum 01.01.24 erneut gekündigt werden. Wenige Tage zuvor kam jedoch die gute Nachricht: 

Das Gericht hat wieder dem Fabrikkollektiv rechtgegeben und die Kündigungen sowie die Räumung des Fabrikgeländes so verhindert. Die Begründung: Weder die Stadt noch der Arbeitgeber haben einen vernünftigen Plan zur Reindustrialisierung vorgelegt. Im Gegensatz zu den Beschäftigten.  

Zurück in der Bar: Diego kommt rein und grüßt mit einer Geste einen der GKN-Beschäftigten, der wie so oft in der in der Ecke neben einem Heizstrahler sitzt, kaum spricht und anscheinend schwer hört. Diego ist Lehrer aus dem Norden Italiens und einer der wenigen vor Ort, der gut Englisch spricht. Noch am Abend zuvor haben wir lange mit ihm diskutiert, wie wir mehr Menschen für sozial-ökologische Projekte gewinnen können – etwas, was dem colletivo di Fabrica schon erstaunlich gut gelungen ist: 

Im September nach der Kündigung rief das Fabrikkollektiv zusammen mit Unterstützer*innen zur Demonstration in Florenz auf und rund 40 000 Personen kamen – darunter Arbeiter*innen, Klimaaktivist*innen, kirchliche Akteure und viele weitere Organisationen und Einzelpersonen.  

An der Theke der Bar steht neben einigen Kollegen und Unterstützer*innen auch die Florentiner Stadträtin Antonella Bundu, die den Kampf schon lange aktiv unterstützt und ein bekanntes Gesicht und regelmäßiger Gast auf dem Fabriksgelände ist. Sie hat uns später am Mittag mit dem Auto mit in die Stadt genommen und dabei von den verschiedenen Herausforderungen der Stadtpolitik und rund um die Fabrik erzählt. Sobald die Genossenschaft gegründet ist und ökologische Produkte produziert werden, will sie ihr Amt als Stadträtin niederlegen, um in der Fabrik zu arbeiten. 

Das Kollektiv hat nämlich gemeinsam mit Wissenschaftler*innen und der Klimabewegung einen Plan zur Konversion der Fabrik ausgearbeitet: Als Genossenschaft wollen sie Lastenräder und Photovoltaikmodule zusammenbauen. So können die Arbeitsplätze erhalten werden und gleichzeitig entsteht die erste sozial integrierte Fabrik Italiens mit einer ökologisch sinnvollen Produktion. 

Die Stimmung in der Bar ist gut und kurze Zeit später kommt Dario, der Betriebsrat, aus seinem Büro in die Bar und die Aufbauarbeiten für die Veranstaltung am Abend beginnen. Mit für deutsche Verhältnisse wenig Plan und viel Diskussion bauen wir Pavillons und Ausschanktische auf. 140 Helfer*innen haben sich für den Tag gemeldet, die meisten jedoch erst für verschiedene Schichten am Abend. Trotz des leichten Chaos merkt man, dass die Kollegen und regelmäßige Unterstützer*innen viel gemeinsam durchgemacht haben. Man kennt sich und verlässt sich aufeinander.  

Diesen Zusammenhalt werden die Kollegen weiterhin brauchen, denn dieser Kampf ist noch nicht vorbei: da es jetzt keinen Lohn mehr gibt, muss das „colletivo“ möglichst schnell das nötige Kleingeld zusammenbekommen, mit dem sie als Genossenschaft das Fabrikgelände und die Geräte kaufen können: Insgesamt sind das über 20 Millionen Euro, um mit der Produktion starten zu können. Zum Glück gibt es verschiedene öffentliche und genossenschaftsbankliche Töpfe, mit denen dieses Ziel erreichbar wird. Trotzdem braucht es ein gewisses Eigenkapital: Eine Million Euro sammelt das Projekt noch bis Juni 2024 über Genossenschaftsanteile, die Bürger*innen, Vereine, Arbeitnehmer*innen und solidarische Gruppen für je 100€ erwerben können. Ab fünf Anteilen wird man zum Genossenschaftsmitglied und erhält Stimmrecht in den Versammlungen. Es wird es eine Möglichkeit geben, von Deutschland aus online an den Versammlungen teilzunehmen. 

All das scheint angesichts der wachsenden internationalen Unterstützung sehr erreichbar. Entsprechend ausgelassen, aber auch kämpferisch war die Party am Abend und die Demonstration um Mitternacht an Silvester. Es wurde durchgehend gesungen – vor allem „occupiamola“ („Lasst sie uns besetzen“) – ein Lied, das einer der Beschäftigten, Snupo, nun schon in etlichen Versionen mit den vielen Instrumenten, die er spielt, aufgenommen hat und von dem es bald auch eine deutsche Version geben wird.  

Damit das Fabrikkollektiv und die Genossenschaftsgründung von diesem beispielhaften sozial-ökologischen Projekt erfolgreich sein können, braucht es jetzt viel Unterstützung. Teile die Geschichte der Beschäftigten und, falls möglich, kaufe Genossenschaftsanteile.  
Weitere Informationen: https://www.insorgiamo.org/germany 


Kontext des Beitrags: Die Autorin Greta Waltenberg ist Mitarbeiterin bei Klimaschutz im Bundestag e.V. und setzt sich ehrenamtlich unter anderem für eine stärkere Kooperation zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung ein. Im Dezember hat sie das Werk bei Florenz das erste Mal besucht, hatte aber schon vorher Kontakt zu der dortigen Bewegung. Jetzt unterstützt sie die deutsche Kampagne und wird selbstverständlich auch selber Genossenschaftsmitglied.

Bildquelle: https://insorgiamo.org/germany

Aktuelles zu Steckersolargeräten

Das Thema „steckerfertige Solargeräte“ erfährt seit einigen Jahren eine anhaltende dy­namische Entwicklung. Viele gesetzliche Vereinfachungen für Steckersolargeräte sind nun im parlamentarischen Verfahren angekommen und einige Kommunen fördern jetzt auch nach sozialen Kriterien.

Klimaschutz im Bundestag e.V. hatte eine Petition zur an den deutschen Bundestag unterstützt, die mit über 100.000 Unterstützenden das Quorum für eine Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages am 8. Mai diesen Jahres erreicht hat. In der Folge und durch andere Initiativen (z.B. Positionspapier des VDE) oder der Photovoltaik-Strategie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz stehen zahlreiche Vereinfachungen für Steckersolargeräte kurz vor der rechtlichen Umsetzung.

Balkonsolaranlagen kein „Bauprodukt“ mehr!

Bisher galten die an Balkonen angebrachten Module von Steckersolargeräten als Bauprodukt und mussten die für Bauprodukte der Länder geltenden Regelungen einhalten. Glasmodule unterlagen so z.B. der Glasbaunorm 18008. Sie dient u.a. der Sicherheit von Passanten gegen herabfallende Glassplitter. Ihr zufolge durften bisher ab vier Metern Höhe über Grund (Oberkante der Glasfläche) nur Gasmodule mit einer „bauaufsichtlichen Zulassung“ (abZ) eingesetzt werden.

Die Fachgremien der Bauministerkonferenz der Länder haben nun entschieden, dass Balkonsolaranlagen („Balkonkraftwerke“) bauordnungsrechtlich nicht mehr als Bauprodukte zu behandeln sind, da sie anders als z.B. PV-Anlagen auf dem Dach nicht hergestellt werden, um dauerhaft in eine bauliche Anlage eingebaut zu werden. Somit benötigen sie keinen bauordnungsrechtlichen Verwendbarkeitsnachweis, also keine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung oder Zustimmung im Einzelfall mehr.

Das von den Ländern gemeinsam betriebene Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) hat seine Information zu Photovoltaik-Modulen dazu am 27. Oktober geändert und führt zu den Stecker PV-Anlagen („Balkonkraftwerke“) aus:

Anders als bei PV-Anlagen, die mit dem Stromkreis fest verbunden werden und bei denen die Verbindung zwischen baulicher Anlage und Stromquelle nicht ohne weiteres aufzulösen ist, kann bei „Balkonkraftwerken“ die Verbindung zur baulichen Anlage im Hinblick auf die Energieeinspeisung durch das einfache Ziehen des Steckers wieder gelöst und das „Balkonkraftwerk“ beliebig durch den Nutzer (z.B. bei Auszug eines Mieters) vom Balkon einfach und ohne großen Aufwand abmontiert werden. Da in diesem Fall die PV-Module nicht dauerhaft in die bauliche Anlage eingebaut werden, sind sie keine Bauprodukte i.S.d. § 2 Abs. 10 Nr. 1 MBO.

Verwendbarkeitsnachweise scheiden demgemäß für PV-Module von „Balkonkraftwerken“ aus. Bauteile der baulichen Anlage, an denen die Montage der PV-Module von „Balkonkraftwerken“ erfolgen soll, müssen dafür geeignet sein (Aufnahme von Windlasten u.a.). Haben die PV-Module jedoch selbst eine Funktion für die bauliche Anlage, z.B. die Funktion der Absturzsicherung, sind sie Teil der baulichen Anlage und damit Bauprodukt i.S.d. § 2 Abs. 10 Nr. 1 MBO.

Die Konsequenz daraus ist, dass Balkonsolaranlagen dann „nur noch“ die allgemeinen Anforderungen an Sicherheit und Ordnung der jeweiligen Landesbauordnungen z.B. nach Musterbauordnung (MBO) §3 in eigener Verantwortung zu erfüllen haben:
Anlagen sind so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben, Gesundheit und die natürlichen Lebensgrundlagen, nicht gefährdet werden; dabei sind die Grundanforderungen an Bauwerke gemäß Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 zu berücksichtigen. Dies gilt auch für die Beseitigung von Anlagen und bei der Änderung ihrer Nutzung.

Unter dieser Maßgabe können nun auch klassische Solarmodule aus Glas ohne allgemeine bauaufsichtliche Zulassung über vier Meter Balkonhöhe bei größeren Mehrfamilienhäusern eingesetzt werden, ohne gegen die jeweilige Bauordnung des Landes zu verstoßen.

Damit entfällt auch die aktuell noch gültige Begrenzung der Modulfläche auf 2m², und auch größere Module der kürzlich von führenden Herstellern vereinbarten Einheitsgröße von 2.382 mal 1.134 Millimeter (2,7m2) sind einsetzbar.

Die Verantwortung (Haftung) für die Sicher­heit z.B. der gewählten Module oder Montagelösungen hinsichtlich z.B. Wind- oder Traglasten, bleibt damit den­noch je nach Angaben bei Her­steller, An­bieter, dem Montierenden oder dem Nutzer selbst. Damit werden Angaben der Her­steller von Modulen oder Montage­lö­sungen zur Verwend­barkeit für den beab­si­ch­tig­ten Anbring­ungs­ort um so wichtiger.

Förderung von Steckersolargeräten nun auch nach sozialen Kriterien?

Bereits seit Beginn 2023 sind private PV Anlagen u.a. durch steuerliche Begünstigungen deutlich günstiger. Nach § 12 Absatz 3 UstG sind PV-Anlagen und Batteriespeicher mit einem Umsatzsteuersatz von 0 Prozent belegt. Dies gilt auch für Steckersolargeräte, vgl. Ausführungsbestimmungen des Bundesfinanzministerium vom 27.2.23. Hinzu kommen in vielen Städten Förderprogramme mit Fördersummen je nach Leistung des Wechselrichters zwischen 90-400 € für ein Steckersolargerät.

Beworben werden Steckersolargeräte unter anderem mit dem Argument, dass sich mit ihnen auch Mietende oder einkom­mens­schwache Haushalte an der Energie­wende beteiligen könnten.

Beim Förderprogramm für steckerfertige PV-Anlagen in Mecklenburg-Vorpommern zeigt dies eine Kontingentierung nach Eigentümern und Mietern. Während das Kontingent für Eigentümer bereits nach kurzer Zeit erschöpft war, stehen „für Mieter noch für längere Zeit aus­reichende Mittel“ zur Verfügung.

Einige Städte, wie z.B. die Stadt Bonn, sehen eine Staffelung der Förderhöhe nach sozialen Kriterien vor. Die Landeshauptstadt Düsseldorf hat in Kooperation mit der Bürgerstiftung und mit Förderung der Deutschen Postcode Lotterie sowie der Unterstützung der Caritas Düsseldorf die erste Balkonsolaranlage in einem Haushalt mit geringen Einkommen in Betrieb genommen.

Steckersolargeräte werden in den Katalog der sog. privilegierten baulichen Veränderungen aufgenommen.

Mit dem Gesetzesentwurf zur Zulassung virtueller Wohnungseigentümerversammlungen, zur Erleichterung des Einsatzes von Steckersolargeräten und zur Übertragbarkeit beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten für Erneuerbare-Energien-Anlagen werden Steckersolargeräte in den Katalog der sog. privilegierten baulichen Veränderungen in § 20 Absatz 2 des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) aufgenommen sowie im §554 des BGB verankert, über den der Mieter bauliche Veränderungen gegenüber dem Vermieter zur Stromerzeugung durch Steckersolargeräte verlangen kann. Sie werden damit ähnlich behandelt wie Wallboxen zum Aufladen von Elektroautos. Damit besteht ein Anspruch auf die Gestattung einer Balkonsolaranlage (das „Ob“). Aus optischen Gründen kann damit z.B. die Anbringung eines Steckersolargerätes am Balkongeländer, das zum Gemeinschaftseigentum einer WEG gehört, nicht mehr verhindern werden. Über das „Wie“, also die Details der Installation, braucht es auch weiterhin eine entsprechende Zustimmung des Vermieters bzw. der WEG.

Erleichterungen im Rahmen des Solarpakets I

Mit dem Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften zur Steigerung des Ausbaus photovoltaischer Energieerzeugung stehen folgende Änderungen für Steckersolargeräte an:

  • Die Leistungsgrenze soll von 600 Watt auf 800 Watt erhöht werden, wie bereits in der restlichen EU, bei einer installierten Modulleistung von bis zu 2000 Watt.
  • Als Übergangslösung sollen auch “rückwärts drehende Zähler” erlaubt werden, um sie als Ablehnungsgrund für Steckersolargeräte zu vermeiden.
  • Zukünftig reicht auch eine Anmeldung beim Marktstammdatenregister aus, da die Netzbetreiber ohnehin Zugang zu den Anmeldedaten haben. Einige Netzbetreiber, wie die Netze BW, verzichten bereits auf eine gesonderte Anmeldung.

Im Markstammdatenregister waren mit Abruf zum 28.10.2023 PV-Anlagen einer Nennleistung von bis zu 800 Watt 363.279 Anlagen registriert. Bei den meisten davon dürfte es sich um Steckersolargeräte handeln. Branchenkundige schätzen die tatsächliche Zahl einschließlich nicht gemeldeter Geräte bis zum Ende 2023 auf bis zu einer Million.

Mehr als 10 Millionen Steckersolargeräte (Balkonsolaranlagen) bis 2030 möglich?

Mehr als 10 Millionen Steckersolargeräte (Balkonsolaranlagen) bis 2030 möglich?

Freiburg/Berlin, 20. März 2023.
(Pressemitteilung als pdf)

Klimaschutz im Bundestag (KiB) e.V. legt Leitfaden zu Steckersolargeräten (Balkonsolaranlagen) vor.

Steckersolaranlagen boomen: Beim Marktstammdatenregister waren bis Ende 2021 rund 32.000 und bis Ende 2022 rund 111.000 angemeldet. Allein in den ersten beiden Monaten 2023 kamen etwa 30.000 Anlagen hinzu. Da trotz Pflicht bei weitem nicht alle Anlagen registriert sind, schätzt der KiB e.V. bis Ende 2023 die voraussichtliche Anzahl an Steckersolargeräten auf rund eine Million.

„Damit es bis 2030 bis zu zehn Millionen sind muss die Politik noch zahlreiche bürokratische Hürden aus dem Weg räumen“, so Ursula Sladek vom KiB e.V.

Das Wirtschafts- und Klimaministerium hat am 10. März seine neue „Photovoltaik-Strategie“ veröffentlicht.

Mit enthalten ist dabei eine Liste an Zielen für Steckersolargeräte, auch Balkonkraftwerke genannt, u.a.:

  • Meldepflichten vereinfachen oder streichen,
  • „Schukostecker“ als „Energiesteckvorrichtung“ zulassen,
  • Aufnahme von Steckersolargeräten in den Katalog privilegierter Maßnahmen im Wohnungseigentumsgesetz (WEG) sowie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB),
  • Schwelle von 600 auf 800 Watt erhöhen und
  • Rückwärtsdrehende Zähler dulden, bis Zähler getauscht ist.

Damit diese Ziele und weitergehende Vereinfachungen zu Steckersolargeräten nicht nur bekannt, sondern auch umgesetzt werden, hat der KiB e.V. einen Leitfaden Steckersolargeräte entwickelt. Er fasst den aktuellen Stand und zahlreiche Forderungen zur Erleichterung für Balkonkraftwerke (Steckersolargeräte) zusammen.

Zu dem unterstützt der KiB e.V. eine am 17. Februar eingereichte E-Petition an den Bundestag, die von der Plattform machdeinenstrom.de vom Freiburger Verein Balkon.Solar sowie dem bekannten YouTuber Andreas Schmitz a.k.a. Akkudoktor erarbeitet wurde. Sie schlägt auf Grundlage eines Positionspapieres des VDE für sämtliche der genannten Forderungen konkrete Textänderungen in den betroffenen Gesetzen vor.

Leider lehnte die zuständige Stelle im Bundestag die Veröffentlichung der Petition zur Mitzeichnung bisher ab. Eine schriftliche Begründung steht noch aus. Mündlich wurde argumentiert, dass bereits eine Petition vom 09.06.2021 mit dem Titel „Umwandlung von Rasenflächen in insektenfreundliche Wildblumenwiesen” und 82 Mitzeichnenden eine ähnliche Forderung „die Errichtung von Photovoltaikanlagen an Südfassaden und auf Dächern in die Reihe der nach § 20 Absatz 2 WEG privilegierten baulichen Änderungen aufzunehmen” bereits im parlamentarischen Verfahren geprüft würde und somit die aktuelle Petition der vom 9.6.2021 zugeordnet werden könne. Zudem könne man pro Petition auch immer nur die Änderung eines Gesetzes fordern. Weder die Verfahrensgrundsätze noch die Richtlinie des Petitionsausschuss legen aus Sicht des KiB e.V. einen solchen Ablehnungsgrund nahe.

Link zum Leitfaden Steckersolargeräte

Kleiner Wohnen – besser Wohnen

Kampagne für mehr Suffizienz in der Wohnraumgestaltung

Energieeffizienz und die Nutzung erneuerbarer Energien sind unerlässlich, um den Klimaschutz im (Wohn-)Gebäudesektor voranzutreiben (vgl. Beitrag Anregungen zur Neuausrichtung der Bundesförderung für effiziente Gebäude).

Zusätzlich muss der vorhandene Wohnraum besser genutzt werden!

Das von EU und dem Land Baden Württemberg geförderte Projekt „Kleiner Wohnen – besser wohnen“, zeigt, wie es gehen könnte.

Mehr Infos unter: https://energieagentur-regio-freiburg.eu/kleiner-besser-wohnen/

vgl. auch ZDF-Sendung vom 15.6. und Beitrag im SWR vom Baden-Württemberg aktuell, 26.04.2022.

Solarstromanlagen selber bauen

Haben Sie schon mal über eine Solarstromanlage an ihrem Balkon gedacht? Unser Mitgliedsverein der Verein Solare Zukunft zusammen mit dem Förderverein Energie- und Solaragentur Regio Freiburg (Fesa) sowie die Initiative Balkonsolar für Freiburg machen es vor und bieten entsprechende workshops an.

https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/suedbaden/solaranlage-selber-bauen-102.html