1 Jahr Atomausstieg – Ein Blick auf den Stand der Energiewende

Der deutsche Atomausstieg hat sich letzten Monat gejährt – ein guter Anlass, auf den aktuellen Stand der Energiewende zu gucken.

Dass der Atomausstieg eine gute Entscheidung war und bleibt, liegt auf der Hand: Strom aus Atomkraft ist teuer, keineswegs klimaneutral, unflexibel, krisenanfällig, umweltschädlich und schafft neue Abhängigkeiten. Der Ausstieg spart uns eine Menge Subventionen (die französischen Atomunternehmen hatten 70 Milliarden Euro an Schulden, die durch den Staat aufgefangen werden mussteni) und hat laut Bundesnetzagentur die Strompreise nicht beeinflusstii. Weder ein Weiterbetrieb noch ein Neubau von Atomkraftwerken ist wirtschaftlich oder ökologisch sinnvoll – selbst die Betreiber haben daran kein Interesseiii. Auch EU-weit wäre ein mittelfristiger Atomausstieg sinnvoll. Der NGO-Zusammenschluss „European Environmental Bureau“ (EEB) beschreibt die Situation so: „Die bestehende Nuklearflotte kann zusammen mit den fossilen Brennstoffen aus dem Betrieb genommen werden, wobei die EU-Länder den Übergang zu einem drastisch effizienteren Energiesystem vollziehen“iv. Dieses „drastisch effizientere Energiesystem“ beruht natürlich auf erneuerbaren Energien (EE), Speichern und Flexibilisierung.

Wo stehen wir in der Energiewende?

Fragt man die Bundesregierung, läuft alles super: Letztes Jahr machten Erneuerbare das erste Mal über die Hälfte des deutschen Strommixes aus, und die Zielwerte der jährlichen gesamten Emissionsminderungen wurden übererfülltv.

Das alles stimmt zwar, beweist aber noch nicht, dass wir inzwischen ausreichenden Klimaschutz betreiben. Die relativ hohen CO2-Einsparungen wurden nicht vorwiegend durch eine gute Klimaschutzpolitik erreicht: Nur rund 15% der Emissionsminderungen sind langfristig gesichertvi. Der Rest ist auf andere Faktoren zurückzuführen. V.a. in der Industrievii, aber auch in anderen Bereichen gab es konjunkturbedingt eine geringere Energienachfrageviii. Damit sank der deutsche Strombedarf deutlich und erreichte den tiefsten Punkt seit 30 Jahrenix. Diese geringe Stromnachfrage ermöglichte auch erst den hohen Anteil der EE am Strommix. Das heißt auch, dass mit einer wirtschaftlichen Erholung der CO2-Ausstoß erstmal wieder steigen wird.

Die Prognosen, die einer Übererfüllung der Kilmaziele für 2030 vorhersagen, lesen sich laut Spiegel eher wie ein best-case-Szenariox, in dem alle (auch bisher nicht erprobte) Instrumente wirken wie geplant, in dem Förderungen einkalkuliert sind, die eigentlich schon ausgelaufen sindx, etc. Dazu kommen noch die jetzt abgeschafften Sektorziele des Klimaschutzgesetzes, die es den Problemkind-Sektoren Verkehr und Gebäude ermöglichen, Maßnahmen weiter aufzuschieben, die später unwahrscheinlicher greifen werden.

Alles in allem ist das mit dem Klimaschutz also durchmischt. Wie sieht es denn mit den einzelnen Maßnahmen im Energiesektor aus?

Ausbau der erneuerbaren Energien (EE)

Die Bundesregierung sagt selbst, dass sich die Ausbaugeschwindigkeit der EE verdreifachen muss, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollenxi. Entsprechend hat der Photovoltaik-Ausbau (14,4 GW in 2023) den bisherigen Rekord aus 2012 deutlich geknacktviii. Das kam teils durch gesetzliche Vereinfachungenxii – darunter welche zu Balkonsolarkraftwerken, wofür wir uns gemeinsam mit anderen erfolgreich stark gemacht haben (siehe https://klimaschutz-im-bundestag.de/balkonsolar/).

Anders sieht es aus bei der Windkraft: hier bleibt der Ausbau (2,9 GW Windkraft an Land in 2023) deutlich hinter dem benötigten Ausbau zurückviii. Immerhin: die Menge der Genehmigungen stieg um 75% gegenüber dem Vorjahr (jedoch nur 9% davon im Süden, wo sie dringend benötigt würdenxii). Im Bereich der Biomasse fehlt noch immer die klare Strategie, die eigentlich schon letzten Sommer hätte fertig sein sollen. Bisher wurde aber nur ein Entwurf aus dem Herbst geleaktxiii und seitdem gab es keine Neuigkeiten mehr dazu (unsere Position dazu finden Sie hier). Dafür wurde im Dezember eine Stromspeicher-Strategie des BMWK vorgelegt, die den Bau von (Groß-)Stromspeichern erleichtern sollxiv. Einige Großspeicherprojekte laufen langsam an, aber auch hier bleibt noch viel zu tun: Laut dem Fraunhofer ISE muss die Batteriespeicherkapazität bis 2030 fast ver-200-facht werdenxv. Auch das Stromnetz muss für ein erneuerbares und effektives Stromsystem dringend ausgebaut und weiterentwickelt werden.

Für all das fallen natürlich Kosten an. Vertreter der IHK beschwerte sich im März über die hohen Strom- und Gaspreise in Deutschland, für die Unternehmen verstärkt durch den Wegfall des geplanten Stromnetzentgeltzuschusses und die Abschaffung des Spitzenausgleichs bei Gaslieferungen. Die resultierende Forderung: eine schnelle Ausweitung des Stromangebots und eine Beteiligung des Bunds an den Kosten für den Stromnetzausbauxvi. Tatsächlich zahlen Verbraucher*innen in Deutschland den höchsten Strompreis in Europa, was größtenteils durch Netzentgelte und Abgaben bedingt istxvii. Atomkraft könnte hier aufgrund der hohen Kosten sowie der Verstopfung der Netze für Erneuerbare aufgrund von Inflexibilität übrigens auch nicht weiterhelfen.

Umgestaltung des Stromsystems

Abgesehen von einem konsequenten Ausbau von EE, Stromnetz und Speichern müssen wir auch über eine Anpassung des Strommarkts reden. Aktuell bezahlen Endverbraucher*innen immer gleich viel für den Strom, unabhängig davon, wann und wo sie ihn verbrauchen. Das suggeriert, dass die Verfügbarkeit konstant ist (früher war sie das vielleicht) und dass es beim „Transport“ von Strom keine Verluste und Netzengpässe gibt („Kupferplatte Deutschland“). Bei jeder anderen Ressource würde das als marktwirtschaftlicher Unsinn abgetan – wer nah an eine Ressource verbraucht, bezahlt weniger und wer dann kauft, wenn es weniger Nachfrage gibt, bezahlt auch weniger. Das lässt sich auch im Strommarkt umsetzen mit örtlich und zeitlich flexiblen Strompreisen und Netzentgeltexviii. Laut Agora Energiewende lassen sich so bis 2035 jährlich 100 TWh flexibilisieren und 4,8 Milliarden Euro einsparenviii. Erste Schritte sind hier schon getan: Mit dem Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende vom Mai 2023 sind alle Stromlieferanten ab 2025 dazu verpflichtet, auch Tarife anzubieten, die sich an den kurzfristigen Großhandelspreisen orientieren; außerdem hat der Smart-Meter-Rollout in Deutschland endlich angefangenviii. Trotzdem hinken wir im internationalen Vergleich stark hinterher: „Während etwa die Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten bereits die 80 Prozent-Schwelle der Verfügbarkeit von Smart Metern bei Endkonsumenten erreicht hat, liegt die Verbreitung in Deutschland bei lediglich einem Prozent“viii.

Ausblick

Insgesamt gehen wir bei der Energiewende also schon in die richtige Richtung – nur eben deutlich zu langsam. Dass es schneller geht, wird nicht von allein kommen – es braucht weiterhin eine aktive Zivligesellschaft aus NGOs, Institutionen, sozialen Bewegungen und Einzelpersonen, die sich dafür einsetzen. Die Gegner*innen der Energiewende versuchen oft, die wahrgenommene Akzeptanz für entsprechende Maßnahmen kleinzuhalten. Daher müssen wir immer wieder die bestehende breite gesellschaftliche Unterstützung für mehr Klimaschutz sichtbar machen. Die zentrale Frage in der Energiewende ist für die allermeisten nämlich nicht das ”ob” sondern das ”wie”xix. More in Common hat dazu im Februar viele Menschen vor allem im Osten gefragt und entsprechende Empfehlungen für eine verbindende Energiewende entwickelt – Erstens muss das Vertrauen gestärkt werden, indem der Staat solide Rahmenbedingungen schafft, indem diversere Perspektiven in die Debatte eingebracht werden und indem (lokale) Vertrauensleute wie z.B. Klempner eingebunden und überzeugt werden (für die kommunale sektor- und spartenübergreifende Energieleitplanung haben wir genau dazu ein Projekt: https://klimaschutz-im-bundestag.de/ksse/). Zweitens braucht es die Möglichkeit für regionales Ownership – z.B. durch Optionen wie Balkonkraftwerke, Bürger*innengenossenschaften oder einfach gute und aufsuchende Beteiligungsprozesse. Gleichzeitig wünschen sich die Menschen klare Regeln – nur eben begleitet durch ermöglichende und unterstützende Maßnahmen. Drittens braucht es mehr Attraktivität der Maßnahmen durch ein sehr klares, positives Zukunftsbild, Bezahlbarkeit sowie eine Anerkennung von Problemen statt eines Schönredens.  

Zum Abschluss ein Zitat und Apell aus dem entsprechenden Impulspapier von more in commonxix:
“Allen demokratischen Akteuren sei gesagt, dass sie angesichts dieses Gestaltungs-Imperativs langfristig die Menschen nur dann überzeugen können, wenn sie allesamt starke programmatische Entwürfe entwickeln und die Klima- bzw. Energiepolitik nicht als isolierten „Zankapfel“, sondern als Querschnittsthema verstehen, das in einer größeren Erfolgs- und Zukunftsgeschichte für unser Land Platz finden muss. Schließlich ist das Thema perfekt anschlussfähig an Fragen der Daseinsvorsorge und Infrastruktur, der wirtschaftlichen Entwicklung, der sozialen Gerechtigkeit, der öffentlichen Gesundheit und vieler anderer Aspekte. Die Menschen wollen gute Vorschläge und gute Lösungen. Sie sind in ihrer Mehrzahl keine Gegnerinnen, sondern Bündnispartner (in spe) eines ganzheitlich durchdachten Klimaschutzes. Wer sie überzeugen kann, stärkt den Zusammenhalt. Und damit überdies auch noch die Demokratie im Ganzen” (Seite 14).


Quellen

[i] https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-03/atomkraft-frankreich-energieversorgung-strompreise-subventionen
[ii] https://www.zeit.de/2023/47/atomenergie-strommarkt-strompreise-import-energiewende
[iii] https://www.ardaudiothek.de/episode/hintergrund-deutschlandfunk/atomkraft-in-deutschland-eine-rueckkehr-scheint-kaum-denkbar/deutschlandfunk/13268989/
[iv] https://www.cleanenergywire.org/factsheets/qa-germanys-nuclear-exit-one-year-after
[v] https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/faq-energiewende-2067498
[vi] https://www.agora-energiewende.de/fileadmin/Projekte/2023/2023-35_DE_JAW23/A-EW_317_JAW23_WEB.pdf
[vii] https://www.spiegel.de/wissenschaft/umweltbundesamt-klimaplan-2023-ueberfuellt-schwache-konjunktur-als-grund-fuer-erfolg-a-16194290-60e2-4c55-93d4-73f31ba59599
[viii] https://www.agora-energiewende.de/publikationen/die-energiewende-in-deutschland-stand-der-dinge-2023#c709
[ix] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/164149/umfrage/netto-stromverbrauch-in-deutschland-seit-1999/
[x] https://www.spiegel.de/wissenschaft/umweltbundesamt-klimaplan-2023-ueberfuellt-schwache-konjunktur-als-grund-fuer-erfolg-a-16194290-60e2-4c55-93d4-73f31ba59599
[xi] https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/faq-energiewende-2067498
[xii] https://www.fachagentur-windenergie.de/veroeffentlichungen/ausbauentwicklung/genehmigungen/
[xiii] https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/entwurf-der-biomassestrategie-birgt-grosses-konfliktpotenzial
[xiv] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/stromspeicherstrategie-231208.pdf?__blob=publicationFile&v=6
[xv] https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/energie/rekordverdaechtig-deutschland-plant-riesige-batteriegrossspeicher/
[xvi] https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/mit-dem-ende-der-ermaessigten-mehrwertsteuer-wird-gas-teurer
[xvii] https://www.rnd.de/politik/strompreise-sind-in-deutschland-im-europa-vergleich-am-hoechsten-GNCWJG7HVVHKHKPU5N6DINDY5E.html
[xviii] https://klimaschutz-im-bundestag.de/massnahmen-pakete/verursachergerechte-lokale-strompreise/
[xix] https://www.moreincommon.de/energiewende/

Ein Blick auf die Klimabewegung 2023

2023 musste die Klimabewegung gegen eine Klimapolitik ankämpfen, die geprägt war von einer fehlenden positiven Zukunftsvision und regierungsinternem Streit. Es brauchte einen Spagat zwischen der steigenden Dringlichkeit von konsequenten Klimaschutzmaßnahmen und dem Organisieren von Mehrheiten in einer verunsicherten Gesellschaft, die tief in multiplen Krisen steckt.
Die verschiedenen Bewegungen haben dabei unterschiedliche Ansätze verfolgt.

Mit welchen Rahmenbedingungen musste die Bewegung umgehen?

Seit ca. zwei Jahren portraitieren sich die meisten politischen und  gesellschaftlichen Akteur*in als Klimaschützer*in. Das ist zwar ein Erfolg, aber konsequente Maßnahmen werden trotzdem nicht entschieden. Das sorgt für Frust in der Bewegung. Nach unzähligen Stunden der ehrenamtlichen Arbeit stünde jetzt die tatsächliche Umsetzung an. Hier regt sich jedoch Widerstand: Verschiedene Personen und Organisationen realisieren, dass Klimaschutz spürbare Veränderung und Transformation gesellschaftliche Anstrengung bedeutet. Dieser Widerstand ist nicht unauflösbar, stellt aber eine Herausforderung dar.

2023 war eine Zeit der multiplen Krisen und eines angespannten gesellschaftlichen Klimas – Eindrücke aus der Meinungsforschung. Die gemeinnützige Organisation „More in Common“ hat im Sommer die gesellschaftliche Stimmung erfasst. Die Ergebnisse: Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass wir in einem ungerechten und egoistischen Land leben1. Es besteht der Eindruck einer gespaltenen Gesellschaft: v.a. zwischen Arm und Reich, zwischen Menschen mit verschiedenen Meinungen zum Klimaschutz und zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte1. Gleichzeitig wird die Regierung von vielen als undemokratisch, ungerecht, inkompetent und wirkungslos empfunden1.
Die dominierenden politischen Probleme sind steigende Lebenshaltungskosten und Mietpreise1.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die Klimabewegung: Große soziale Sorgen, ein geringes Zusammenhalts- und Selbstwirksamkeitsgefühl und der Wunsch der Hälfte der Gesellschaft, dass alles „zum Gewohnten“ zurückkehrt1. Nicht die besten Voraussetzungen also für eine gesamtgesellschaftliche Transformation.

Wie hat die Klimabewegung 2023 versucht, Wandel zu bewirken? – Ein paar Beispiele

Tendenz zu mehr zentralisierten Aktionen
Dass seit der Pandemie weniger Personen als noch 2019 an Demonstrationen fürs Klima teilnehmen, hat dafür gesorgt, dass der Fokus mehr auf einzelnen symbolischen oder großen Aktionen liegt, als auf stetigen Protesten in der Fläche. Auch die letzte Generation rief im Herbst zum ersten Mal zur zentralen Massenbesetzung in Berlin auf (das erwartete exponentielle Wachstum blieb jedoch aus). Statt wie zuvor ein ernstes wurde dort ein fröhlicheres Aktionsbild geprägt. Das wurde unter anderen aus den Niederlanden inspiriert: Nachdem Aktivist*innen von Extinction Rebellion dort über einen Monat lang eine Autobahn bei Den Haag blockierten, beschloss die Regierung, fossile Subventionen abzubauen2.

Symbolische Orte
Dass symbolische Orte für Klimaproteste genutzt werden, ist nicht neu. Es lässt sich einfacher zu einem konkreten, greifbaren Thema mobilisieren, als zu zunächst abstrakt wirkenden Forderungen nach, z.B., einem Klimageld. Im Januar 2023 wurde das besonders sichtbar: Die Massendemonstration und die Aktionen zivilen Ungehorsams in und um Lützerath haben für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt. Auch die Blockaden bei der Internationalen Auto-Ausstellung in München, begleitet von 4500 Polizist*innen3, hatten symbolische Wirkkraft.

Kriminalisierung von Klimaprotesten
Die Ergebnisse eines Reports vom Green Legal Impact e.V.4 bestätigen, was viele Aktivist*innen beklagen: „Die Klimabewegung gerät auch in Deutschland zunehmend unter Druck. Staatliche Institutionen und ein verschärfter öffentlicher Diskurs beschränken die Handlungsmöglichkeiten von Aktivist*innen“. Das passiert in unterschiedlichsten Formen: Praxis von Versammlungs- & Polizeibehörden (restriktive Auflagen, Schmerzgriffe, Präventivgewahrsam) und harte Strafverfolgung (Ziel: Abschreckung durch vernachlässigte Verhältnismäßigkeitserwägungen).  Ein Beispiel: der vor Gericht gescheiterte Versuch, die Letzte Generation als extremistisch einzustufen5. Eine ausgereifte Antwort darauf scheint die Bewegung noch nicht zu haben – bisher wurde lediglich medial darauf aufmerksam gemacht, wobei das Interesse und die Empörung über die Zeit abgenommen haben.

Größerer Fokus auf die Umsetzungsebene
Um dafür zu sorgen, dass trotz langsamer politischer Fortschritte Klimaschutzmaßnahmen durchgeführt werden, fokussieren sich einige Akteur*innen mehr auf konkrete Umsetzungsprojekte. Zwei Beispiele:

  • In manchen Bereichen des Klimaschutzes mangelt es nicht an Wissen oder der Akzeptanz, sondern lediglich an den nötigen Arbeitskräften (z.B. Sanierung oder PV-Installation). Hier haben die 4 Solarcamps (in Freiburg, Kassel, Berlin und Lüneburg) letztes Jahr angesetzt: In je zwei Wochen konnten Interessierte in die PV-Installation schnuppern. Das Ergebnis: Einige haben sich im Anschluss für einen (Neben-)Job im Klimahandwerk entschieden. Eine detailliertere Auswertung des Camps bei Freiburg hat unser Kollege Philipp George hier veröffentlicht.

  • Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Initiative PlanB 2030 in Berlin: Nach dem knapp gescheiterten Volksentscheid für eine frühere Klimaneutralität nehmen einige Bürger*innen die Maßnahmen selbst in die Hand. Mit Nachbarschaftsevents und vielen anderen Formaten werden Bürger*innen ermutigt und unterstützt, z.B. Balkonsolarkraftwerke selbst anzubringen und anzumelden.

Neue Kooperationspartner*innen
Ein wichtiger Ansatz von Fridays for Future ist es, in der Breite der Gesellschaft verankert zu sein. Mit der Kampagne „wir fahren zusammen“ setzen sie sich für eine sozial gerechte Verkehrswende ein: In Kooperation mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di unterstützen sie die Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs in deren Tarifverhandlungen. Im März 2023 brachte Fridays for Future mit diesem Thema an 240 Orten über 220 000 Demonstrant*innen auf die Straße. Dazu kamen gut 60 000 Beschäftigte, die am selben Tag für bessere Löhne streikten. Seit Herbst haben schon über 60 000 Personen die gemeinsame Petition unterschrieben.

Ausblick

Auch 2024 wird ein turbulentes Jahr für die Klimabewegung: Schon jetzt wurden Protestwellen aus der Landwirtschaft und gegen Rechts laut, die auch von der Klimabewegung unterstützt wurden. Die letzte Generation hat Massenproteste am 03. Februar in Berlin und einen Strategiewechsel angekündigt, und Fridays for Future wird am 01. März gemeinsam mit Beschäftigten deutschlandweite Großdemonstrationen für eine sozial gerechte Verkehrswende veranstalten. Außerdem stehen Kommunalwahlen, Landtagswahlen und die Europawahl an, bei denen es für die Bewegung darum gehen wird, wieder einen Klimawahlkampf zu prägen, bei dem es nicht um das „ob“, sondern um das „wie“ des Klimaschutzes und konkrete Maßnahmen geht.

Konversion statt Kündigung: Florenzer Arbeiter kämpfen mit der Klimabewegung für eine nachhaltige Fabrik

Seit über zwei Jahren wehren sich die Beschäftigten des Zulieferwerks von der Firma GKN gegen eine plötzliche Kündigung und setzen sich zusammen mit der Klimabewegung für eine Konversion des Werkes ein. Was dahintersteckt, ein paar Eindrücke von meinem Besuch dort über Silvester und was es jetzt auch aus Deutschland braucht, findest Du in diesem Artikel.  

Die damaligen 422 Beschäftigten des GKN-Werks bei Florenz haben bis Juli 2021 Achswellen produziert. Dann kam übers Wochenende die plötzliche Kündigung aller Beschäftigten. Die fuhren am nächsten Montag jedoch trotzdem zur Fabrik und starteten eine unbefristete Betriebsversammlung, quasi eine legale Form der Fabrikbesetzung. Diese läuft seitdem ununterbrochen und immerhin 185 der ursprünglichen Beschäftigten sind noch dabei. Vor Gericht gewannen sie gegen ihren Arbeitgeber, da die kurzfristigen Kündigungen unrechtmäßig waren. 

Florenz, 31. Dezember 2023 in der „Bar“, dem sozialen Mittelpunkt der Fabrik: Die Kollegen (inzwischen sind es tatsächlich nur noch Männer) hatten zur Silvesterfeier eingeladen und zur Verteidigung der Fabrik aufgerufen, denn sie sollten zum 01.01.24 erneut gekündigt werden. Wenige Tage zuvor kam jedoch die gute Nachricht: 

Das Gericht hat wieder dem Fabrikkollektiv rechtgegeben und die Kündigungen sowie die Räumung des Fabrikgeländes so verhindert. Die Begründung: Weder die Stadt noch der Arbeitgeber haben einen vernünftigen Plan zur Reindustrialisierung vorgelegt. Im Gegensatz zu den Beschäftigten.  

Zurück in der Bar: Diego kommt rein und grüßt mit einer Geste einen der GKN-Beschäftigten, der wie so oft in der in der Ecke neben einem Heizstrahler sitzt, kaum spricht und anscheinend schwer hört. Diego ist Lehrer aus dem Norden Italiens und einer der wenigen vor Ort, der gut Englisch spricht. Noch am Abend zuvor haben wir lange mit ihm diskutiert, wie wir mehr Menschen für sozial-ökologische Projekte gewinnen können – etwas, was dem colletivo di Fabrica schon erstaunlich gut gelungen ist: 

Im September nach der Kündigung rief das Fabrikkollektiv zusammen mit Unterstützer*innen zur Demonstration in Florenz auf und rund 40 000 Personen kamen – darunter Arbeiter*innen, Klimaaktivist*innen, kirchliche Akteure und viele weitere Organisationen und Einzelpersonen.  

An der Theke der Bar steht neben einigen Kollegen und Unterstützer*innen auch die Florentiner Stadträtin Antonella Bundu, die den Kampf schon lange aktiv unterstützt und ein bekanntes Gesicht und regelmäßiger Gast auf dem Fabriksgelände ist. Sie hat uns später am Mittag mit dem Auto mit in die Stadt genommen und dabei von den verschiedenen Herausforderungen der Stadtpolitik und rund um die Fabrik erzählt. Sobald die Genossenschaft gegründet ist und ökologische Produkte produziert werden, will sie ihr Amt als Stadträtin niederlegen, um in der Fabrik zu arbeiten. 

Das Kollektiv hat nämlich gemeinsam mit Wissenschaftler*innen und der Klimabewegung einen Plan zur Konversion der Fabrik ausgearbeitet: Als Genossenschaft wollen sie Lastenräder und Photovoltaikmodule zusammenbauen. So können die Arbeitsplätze erhalten werden und gleichzeitig entsteht die erste sozial integrierte Fabrik Italiens mit einer ökologisch sinnvollen Produktion. 

Die Stimmung in der Bar ist gut und kurze Zeit später kommt Dario, der Betriebsrat, aus seinem Büro in die Bar und die Aufbauarbeiten für die Veranstaltung am Abend beginnen. Mit für deutsche Verhältnisse wenig Plan und viel Diskussion bauen wir Pavillons und Ausschanktische auf. 140 Helfer*innen haben sich für den Tag gemeldet, die meisten jedoch erst für verschiedene Schichten am Abend. Trotz des leichten Chaos merkt man, dass die Kollegen und regelmäßige Unterstützer*innen viel gemeinsam durchgemacht haben. Man kennt sich und verlässt sich aufeinander.  

Diesen Zusammenhalt werden die Kollegen weiterhin brauchen, denn dieser Kampf ist noch nicht vorbei: da es jetzt keinen Lohn mehr gibt, muss das „colletivo“ möglichst schnell das nötige Kleingeld zusammenbekommen, mit dem sie als Genossenschaft das Fabrikgelände und die Geräte kaufen können: Insgesamt sind das über 20 Millionen Euro, um mit der Produktion starten zu können. Zum Glück gibt es verschiedene öffentliche und genossenschaftsbankliche Töpfe, mit denen dieses Ziel erreichbar wird. Trotzdem braucht es ein gewisses Eigenkapital: Eine Million Euro sammelt das Projekt noch bis Juni 2024 über Genossenschaftsanteile, die Bürger*innen, Vereine, Arbeitnehmer*innen und solidarische Gruppen für je 100€ erwerben können. Ab fünf Anteilen wird man zum Genossenschaftsmitglied und erhält Stimmrecht in den Versammlungen. Es wird es eine Möglichkeit geben, von Deutschland aus online an den Versammlungen teilzunehmen. 

All das scheint angesichts der wachsenden internationalen Unterstützung sehr erreichbar. Entsprechend ausgelassen, aber auch kämpferisch war die Party am Abend und die Demonstration um Mitternacht an Silvester. Es wurde durchgehend gesungen – vor allem „occupiamola“ („Lasst sie uns besetzen“) – ein Lied, das einer der Beschäftigten, Snupo, nun schon in etlichen Versionen mit den vielen Instrumenten, die er spielt, aufgenommen hat und von dem es bald auch eine deutsche Version geben wird.  

Damit das Fabrikkollektiv und die Genossenschaftsgründung von diesem beispielhaften sozial-ökologischen Projekt erfolgreich sein können, braucht es jetzt viel Unterstützung. Teile die Geschichte der Beschäftigten und, falls möglich, kaufe Genossenschaftsanteile.  
Weitere Informationen: https://www.insorgiamo.org/germany 


Kontext des Beitrags: Die Autorin Greta Waltenberg ist Mitarbeiterin bei Klimaschutz im Bundestag e.V. und setzt sich ehrenamtlich unter anderem für eine stärkere Kooperation zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung ein. Im Dezember hat sie das Werk bei Florenz das erste Mal besucht, hatte aber schon vorher Kontakt zu der dortigen Bewegung. Jetzt unterstützt sie die deutsche Kampagne und wird selbstverständlich auch selber Genossenschaftsmitglied.

Bildquelle: https://insorgiamo.org/germany