2023 musste die Klimabewegung gegen eine Klimapolitik ankämpfen, die geprägt war von einer fehlenden positiven Zukunftsvision und regierungsinternem Streit. Es brauchte einen Spagat zwischen der steigenden Dringlichkeit von konsequenten Klimaschutzmaßnahmen und dem Organisieren von Mehrheiten in einer verunsicherten Gesellschaft, die tief in multiplen Krisen steckt.
Die verschiedenen Bewegungen haben dabei unterschiedliche Ansätze verfolgt.
Mit welchen Rahmenbedingungen musste die Bewegung umgehen?
Seit ca. zwei Jahren portraitieren sich die meisten politischen und gesellschaftlichen Akteur*in als Klimaschützer*in. Das ist zwar ein Erfolg, aber konsequente Maßnahmen werden trotzdem nicht entschieden. Das sorgt für Frust in der Bewegung. Nach unzähligen Stunden der ehrenamtlichen Arbeit stünde jetzt die tatsächliche Umsetzung an. Hier regt sich jedoch Widerstand: Verschiedene Personen und Organisationen realisieren, dass Klimaschutz spürbare Veränderung und Transformation gesellschaftliche Anstrengung bedeutet. Dieser Widerstand ist nicht unauflösbar, stellt aber eine Herausforderung dar.
2023 war eine Zeit der multiplen Krisen und eines angespannten gesellschaftlichen Klimas – Eindrücke aus der Meinungsforschung. Die gemeinnützige Organisation „More in Common“ hat im Sommer die gesellschaftliche Stimmung erfasst. Die Ergebnisse: Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass wir in einem ungerechten und egoistischen Land leben1. Es besteht der Eindruck einer gespaltenen Gesellschaft: v.a. zwischen Arm und Reich, zwischen Menschen mit verschiedenen Meinungen zum Klimaschutz und zwischen Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte1. Gleichzeitig wird die Regierung von vielen als undemokratisch, ungerecht, inkompetent und wirkungslos empfunden1.
Die dominierenden politischen Probleme sind steigende Lebenshaltungskosten und Mietpreise1.
In diesem Spannungsfeld bewegt sich auch die Klimabewegung: Große soziale Sorgen, ein geringes Zusammenhalts- und Selbstwirksamkeitsgefühl und der Wunsch der Hälfte der Gesellschaft, dass alles „zum Gewohnten“ zurückkehrt1. Nicht die besten Voraussetzungen also für eine gesamtgesellschaftliche Transformation.
Wie hat die Klimabewegung 2023 versucht, Wandel zu bewirken? – Ein paar Beispiele
Tendenz zu mehr zentralisierten Aktionen
Dass seit der Pandemie weniger Personen als noch 2019 an Demonstrationen fürs Klima teilnehmen, hat dafür gesorgt, dass der Fokus mehr auf einzelnen symbolischen oder großen Aktionen liegt, als auf stetigen Protesten in der Fläche. Auch die letzte Generation rief im Herbst zum ersten Mal zur zentralen Massenbesetzung in Berlin auf (das erwartete exponentielle Wachstum blieb jedoch aus). Statt wie zuvor ein ernstes wurde dort ein fröhlicheres Aktionsbild geprägt. Das wurde unter anderen aus den Niederlanden inspiriert: Nachdem Aktivist*innen von Extinction Rebellion dort über einen Monat lang eine Autobahn bei Den Haag blockierten, beschloss die Regierung, fossile Subventionen abzubauen2.
Symbolische Orte
Dass symbolische Orte für Klimaproteste genutzt werden, ist nicht neu. Es lässt sich einfacher zu einem konkreten, greifbaren Thema mobilisieren, als zu zunächst abstrakt wirkenden Forderungen nach, z.B., einem Klimageld. Im Januar 2023 wurde das besonders sichtbar: Die Massendemonstration und die Aktionen zivilen Ungehorsams in und um Lützerath haben für bundesweite Aufmerksamkeit gesorgt. Auch die Blockaden bei der Internationalen Auto-Ausstellung in München, begleitet von 4500 Polizist*innen3, hatten symbolische Wirkkraft.
Kriminalisierung von Klimaprotesten
Die Ergebnisse eines Reports vom Green Legal Impact e.V.4 bestätigen, was viele Aktivist*innen beklagen: „Die Klimabewegung gerät auch in Deutschland zunehmend unter Druck. Staatliche Institutionen und ein verschärfter öffentlicher Diskurs beschränken die Handlungsmöglichkeiten von Aktivist*innen“. Das passiert in unterschiedlichsten Formen: Praxis von Versammlungs- & Polizeibehörden (restriktive Auflagen, Schmerzgriffe, Präventivgewahrsam) und harte Strafverfolgung (Ziel: Abschreckung durch vernachlässigte Verhältnismäßigkeitserwägungen). Ein Beispiel: der vor Gericht gescheiterte Versuch, die Letzte Generation als extremistisch einzustufen5. Eine ausgereifte Antwort darauf scheint die Bewegung noch nicht zu haben – bisher wurde lediglich medial darauf aufmerksam gemacht, wobei das Interesse und die Empörung über die Zeit abgenommen haben.
Größerer Fokus auf die Umsetzungsebene
Um dafür zu sorgen, dass trotz langsamer politischer Fortschritte Klimaschutzmaßnahmen durchgeführt werden, fokussieren sich einige Akteur*innen mehr auf konkrete Umsetzungsprojekte. Zwei Beispiele:
- In manchen Bereichen des Klimaschutzes mangelt es nicht an Wissen oder der Akzeptanz, sondern lediglich an den nötigen Arbeitskräften (z.B. Sanierung oder PV-Installation). Hier haben die 4 Solarcamps (in Freiburg, Kassel, Berlin und Lüneburg) letztes Jahr angesetzt: In je zwei Wochen konnten Interessierte in die PV-Installation schnuppern. Das Ergebnis: Einige haben sich im Anschluss für einen (Neben-)Job im Klimahandwerk entschieden. Eine detailliertere Auswertung des Camps bei Freiburg hat unser Kollege Philipp George hier veröffentlicht.
- Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Initiative PlanB 2030 in Berlin: Nach dem knapp gescheiterten Volksentscheid für eine frühere Klimaneutralität nehmen einige Bürger*innen die Maßnahmen selbst in die Hand. Mit Nachbarschaftsevents und vielen anderen Formaten werden Bürger*innen ermutigt und unterstützt, z.B. Balkonsolarkraftwerke selbst anzubringen und anzumelden.
Neue Kooperationspartner*innen
Ein wichtiger Ansatz von Fridays for Future ist es, in der Breite der Gesellschaft verankert zu sein. Mit der Kampagne „wir fahren zusammen“ setzen sie sich für eine sozial gerechte Verkehrswende ein: In Kooperation mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di unterstützen sie die Beschäftigten des öffentlichen Nahverkehrs in deren Tarifverhandlungen. Im März 2023 brachte Fridays for Future mit diesem Thema an 240 Orten über 220 000 Demonstrant*innen auf die Straße. Dazu kamen gut 60 000 Beschäftigte, die am selben Tag für bessere Löhne streikten. Seit Herbst haben schon über 60 000 Personen die gemeinsame Petition unterschrieben.
Ausblick
Auch 2024 wird ein turbulentes Jahr für die Klimabewegung: Schon jetzt wurden Protestwellen aus der Landwirtschaft und gegen Rechts laut, die auch von der Klimabewegung unterstützt wurden. Die letzte Generation hat Massenproteste am 03. Februar in Berlin und einen Strategiewechsel angekündigt, und Fridays for Future wird am 01. März gemeinsam mit Beschäftigten deutschlandweite Großdemonstrationen für eine sozial gerechte Verkehrswende veranstalten. Außerdem stehen Kommunalwahlen, Landtagswahlen und die Europawahl an, bei denen es für die Bewegung darum gehen wird, wieder einen Klimawahlkampf zu prägen, bei dem es nicht um das „ob“, sondern um das „wie“ des Klimaschutzes und konkrete Maßnahmen geht.