Schwarz-Rot steht. Die Vereinbarung wurde schnell beschlossen, damit Deutschland nicht ruderlos im stürmischen Meer der internationalen Politik zwischen Russland und den USA umhertreibt. Einen Masterplan kann man unter dem Zeitdruck vielleicht nicht erwarten. Dennoch: Was haben wir da bekommen – einen Befriedungsversuch möglichst vieler Einzelinteressen? Ein Blick auf die Klimapolitik von Craig Morris.
Dass Details fehlen, ist für eine Koalitionsvereinbarung nichts Außergewöhnliches. Der Vertrag (PDF) soll ja Leitplanken, nicht alle Straßenschilder aufstellen. Beispiel: „Den Rad- und Fußverkehr werden wir als Bestandteil nachhaltiger Mobilität stärken und fördern.“ Konkrete Vorhaben? Fehlanzeige, aber immerhin gibt es ein Bekenntnis zum Ziel von Null-Toten im Verkehr: „Im Straßenverkehr orientieren wir uns am Zielbild der Vision Zero“.
Das größte Manko, das nicht nur die Klimapolitik betrifft: Alles scheint unter Finanzierungsvorbehalt zu stehen. Und da die Steuereinnahmen unterm Strich eher sinken werden, dürfte das eine oder andere Vorhaben doch nicht umsetzbar sein.
Dem Staat werden künftig u.a. durch eine höhere Pendlerpauschale, niedrigere Industriestrompreise, niedrigere Umlagen bei Strom und Gas, und niedrigere Netzentgelte bei Strom Einnahmen fehlen. Flugtickets und Führerscheine sollen günstiger werden. Die Liste zeigt, dass nicht konsequent am Klimaschutz entlang gedacht wurde. Fehlanreize sind wahrscheinlich; auch die Subventionierung von Industriestrompreisen schützt Branchen, von denen sich Deutschland mittel- oder langfristig verabschieden muss. Die heikle Diskussion darüber, welche Branchen das konkret sind und auf welche man sich konzentrieren sollte, scheut die Politik.
Das Gebäude-Energie-Gesetz (GEG) war ein Zankapfel während der Ampel-Koalition. „Wir werden das Heizungsgesetz abschaffen” steht nun im Vertrag; dieses Wahlkampfversprechen der Union hat für Unruhe im Markt gesorgt. Im Vertrag heißt es, das GEG soll „technologieoffener, flexibler und einfacher“ werden. Allerdings ist das GEG heute schon technologieoffen; es gibt jedenfalls eine Reihe von Erfüllungsoptionen. CDU-Politiker Tilman Kuban sagte dennoch im Deutschlandfunk (ab 39:20), das „Gefühl ist entstanden,“ dass Wärmepumpen Pflicht wären. Schade, dass führende Politiker*innen nicht konsequent zur Aufklärung beitragen, sondern auf der Basis von (auch falschen) Eindrücken Politik machen.
In einer GEG-Novelle soll nun der zentrale Maßstab umgestellt werden. Im Augenblick muss die Wärme in neuen Heizsystemen zu mindestens 65% erneuerbar sein. Bald sollen stattdessen CO2-Emissionen als Metrik gelten: „Die erreichbare CO2-Vermeidung soll zur zentralen Steuerungsgröße werden.”
Es gibt kaum Klima-NGOs, die diese Umstellung befürworten – außer uns (zumindest im Kern, der Teufel steckt im Detail). In unserem Projekt KSSE sind wir auch zum Schluss gekommen, dass sich das GEG an Emissionen orientieren sollte. Kuban spricht auch von Hybrid-Heizungen: Die Wärmepumpe sorgt für die Grundlast (80% des Wärmebedarfs in seinem Beispiel), und die alte fossile Heizung springt an, um Spitzlasten zu decken. Unsere Modellierungen im KSSE zeigen tatsächlich, dass Hybrid-Heizungen Emissionen schneller und kostengünstiger senken, als mit rein “monovalenten” Systemen, in denen eine Wärmepumpe die komplette Heizlast decken muss. Hier wird es wieder auf die konkrete Ausgestaltung ankommen, aber die Pläne von Schwarz-Rot müssen nicht zu einer Verunsicherung des Markts führen, wenn die Koalition die Kommunikation verbessert.
Dass die Kommunikation besser werden soll, geht kryptisch aus Seite 144 (von 146) des Vertrags hervor. Dort steht, dass die Ressortabstimmung nach fünf Werktagen beginnen kann, nachdem die Frühkoordinierung eingeleitet wurde. Das ist eine Lektion aus der Ampel-Koalition: Das GEG wurde als Entwurf geleakt, nachdem es lange in der Schwebe lag. Durch diese Beschleunigung hofft die neue Koalition, dass solche Leaks seltener vorkommen.
Der Koalitionsvertrag zeigt sich erstaunlich offen für Erdgas. Im Stromsektor sollen bis 2030 ganze 20 Gigawatt an Gaskraftwerken hinzu gebaut werden. Bis auf die Firmen, die davon profitieren, möchte das kaum jemand. Stattdessen wollen die meisten technologieoffen auf viele Flexibilitätsoptionen setzen – vor allem Lastverschiebungen und Batteriespeicher. Man lese und staune: „Wir wollen Potenziale konventioneller Gasförderung im Inland nutzen.“ Befürchtet wird ein fossiler Lock-In.
Zu den positiven Nachrichten gehören die Verlängerung des Deutschland-Tickets ohne Kostensteigung bis 2028, ein Bekenntnis zur Bürgerenergie, und Investitionen in die Bahn. Die Negativ-List ist aber lang. Im Klima- und Transformationfonds (KTF) sollen “Kleinstprogramme mit perspektivisch weniger als 50 Millionen Euro Fördervolumen auslaufen”. (Betroffen sind bis zu 80 Programme, so eine interne Analyse der Klima-Allianz.) Weil so viel Geld aus dem KTF für die Entlastung der Industrieunternehmen verwenden wird, könnten die Klimaausgaben sogar sinken. Alleine die Senkung der Stromsteuer und der Netzentgelte wird mit rund 12 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlagen. Streckt man die 100 Milliarden für den KTF über 12 Jahre, sind das nur 8,3 Milliarden pro Jahr. (Siehe diese Gesamtanalyse vom ZDF.)
Sozialverbände vermissen Soziales. Die Erhöhung der Penderpauschale kommt Besserverdienenden zugute; ebenso die Förderung von E-Autos. Beim Deutschland-Ticket fehlt das Sozialticket; auch 58 Euro im Monat fürs D-Ticket sind mehr, als im Bürgergeld für Mobilität vorgesehen.
Die Technologieoffenheit ist groß – manchmal zu groß. Ein Tabu fällt dabei: CO2-Speicher (CCS) wird im Zusammenhang mit Erdgaskraftwerken erwähnt. Bei der zentralen Frage des Strommarktdesigns heißt es: „Wir halten an einer einheitlichen Stromgebotszone fest.“ Die Einheitszone wird aber mit jedem Monat schwerer zu rechtfertigen. Sonst solle die “Strommarktintegration der Erneuerbaren” optimiert werden, aber sie muss ohnehin laut EU-Richtlinie angepasst werden. Dafür wird die Magnetschwebebahn als Innovation erwähnt. Emissionsgutschriften aus dem Ausland sollen anrechenbar sein, wenn wir unsere Emissionen zu Hause nicht schnell genug senken. (Laut einer aktuellen Analyse von Carbon Market Watch ist nur eine von 27 CO2-Gutschriften wirksam.) Beim Bekenntnis zum Ziel im Jahr 2045 steht ein merkwürdiges Verb: “wir… verfolgen das Ziel der Klimaneutralität 2045.” Und wenn wir es nicht schaffen, kaufen wir einfach wirkungslose Gutschriften aus dem Ausland ein?
Am Ende ist der Koalitionsvertrag kein Durchbruch. Manche sehen ihn eher als Kapitulation. Wieder werden jedenfalls einzelne Posten nicht auf ihre Auswirkung aufs Klima untersucht, der Klimaschutz und die Energiewende werden nicht vom Ziel her gedacht. So geht es teilweise bei den Strompreisen um kurzfristige Entlastungen für Branchen, die mit der Zeit immer mehr Subventionen brauchen werden. Nötig wäre eine Unterstützung für zukunftsfähige Arbeitsplätze, die immer besser ohne Subventionen auskommen. Das beißt sich mit der vielgelobten „Technologieoffenheit“ – die sollte man aber zumindest in Teilen ad acta legen. Es ist ja nicht so, als wüssten wir gar nicht, wo die Reise hingeht.
Kurz: Der Koalitionsvertrag gibt uns genug Versprechen, an die man die neue Bundesregierung erinnern kann – und genug Gesprächsstoff für die nächsten vier Jahre.