Aktuelle Metastudien leiten Politikvorschläge aus der Analyse weltweiter politischer Maßnahmen ab. So werden best practices identifiziert. Aber der vorläufige Befund kann nicht das Ende der Fahnenstange sein – es muss weitergedacht werden. Dieser Text erschien auf Tagesspiegel Background.
1968 trat Dick Fosbury bei den Olympischen Spielen in Mexiko-Stadt beim Hochsprung an. Bis dahin hatte niemand mit der Technik von Fosbury eine Medaille gewonnen: Er sprang rücklings. Den Sprung hatte er nicht erfunden; es hatte lediglich niemand vor ihm viel Erfolg damit gehabt. Fosbury gewann Gold. Wenige Jahre später waren alle anderen Sprungarten im Hochsprung verschwunden. Hätte sich Fosbury aber 1967 alle bisherigen Techniken angeschaut und ihre Effektivität in der Praxis (nicht ihr Potenzial) gemessen, wäre er nicht darauf gekommen, dass dem Rücklings-Sprung die Zukunft gehört.
Neuerdings gibt es immer mehr Versuche, in Metastudien die beste Klimapolitik aus vergangenen Implementierungen abzuleiten. Über eine Studie in „Nature Communications“ vom Mai hieß es in einer Pressemeldung des MCC-Klimainstituts, der CO2-Preis sollte das Leitinstrument sein, das beweise die Empirie:
„Von der Politik wird ja die Idee, den Treibhausgas-Ausstoß über den Preis zu drosseln, immer wieder in ihrer Wirksamkeit angezweifelt, und man fokussiert sich stattdessen oft übermäßig auf Verbote und Vorschriften. Sicherlich braucht es in der Regel einen Policy-Mix – doch der Glaubensstreit darüber, was das klimapolitische Leitinstrument sein sollte, lässt sich mit Fakten klären.“
Da ich gerne eine eierlegende Wollmilchsau in der Klimapolitik hätte, war ich enttäuscht zu lesen, dass die Studie CO2-Preise mit anderen Instrumenten gar nicht verglich. Es ging nur um die beste Ausgestaltung von CO2-Preisen.
CO2-Preis wichtiges Werkzeug neben anderen
In einer zweiten Metastudie vom August in „Science“ wurde tatsächlich die ganze Bandbreite an Politikinstrumenten verglichen. Hier ist die Hauptbotschaft in der Pressemitteilung des PIK allerdings vorsichtiger:
„So reicht es zum Beispiel nicht, auf Subventionen oder Regulierung allein zu setzen, nur im Zusammenspiel mit preisgestützten Instrumenten, wie etwa CO2- und Energiesteuern, können Emissionen wirklich maßgeblich gesenkt werden.“
Der CO2-Preis ist hier weniger das „Leitinstrument“ als ein wichtiges Werkzeug neben anderen. Aber wer ruft nach „Subventionen oder Regulierung allein“? Dass die Politik für Preisanreize nicht offen wäre, scheint ein Strohmann-Argument zu sein: Jedenfalls wird nie jemand konkret mit einer prinzipiellen Ablehnung der CO2-Bepreisung zitiert. Dass wir diese CO2-Bepreisung bereits haben (ETS 1 und Brennstoffemissionshandelsgesetz), spricht eher dafür, dass die Politik das Werkzeug wichtig findet.
Auch diese zweite Metastudie sei nicht das letzte Wort, sagt eine Autorin selbst: Die Studie verringere – nicht schließe – die Wissenslücke. Und ein letzter Aspekt ist für sie entscheidend: „wie ehrgeizig der politische und gesellschaftliche Wille zum Klimaschutz generell ist.“
Mutlosigkeit messen
In einer Kurve der globalen Emissionen erkennt man nämlich einige große Wirtschaftskrisen, aber keine Klimapolitik – auch nicht Paris 2015. Man kann den Meta-Studien zugutehalten, dass sie messen, was real umsetzbar war und vielleicht ist. Die Kehrseite: Sie messen unsere Mutlosigkeit. Die Gefahr bei solchen Metastudien ist also, dass sie unser Denken einschränken – auf alles, was bisher gewagt wurde. Politik muss aber mutiger denken dürfen.
Mit dem Vorschlag eines Policy-Mix rennen die Wissenschaftler:innen ohnehin überall offene Türen ein, denn Politikvorschläge klingen meist so wie 2020 von Agora Energiewende in „Klimaneutrales Deutschland“ formuliert: „Ein Instrumentenmix [ist] in der Politik erforderlich, der marktbasierte Anreize, Förderung und Ordnungsrecht intelligent kombiniert.“ Auch im Update vom Oktober empfiehlt Agora „einen ausgewogenen Politikmix“.
Die drei von Agora genannten Kategorien haben jeweils konkrete Aufgaben, keine kann alles:
- Eine Bepreisung macht Ungewolltes teurer (tax the bads).
- Technologien, die noch nicht wettbewerbsfähig sind, kann man fördern.
- Und wenn der Umstieg von Ungewolltem auf Neues ohne Förderung klappen kann, ist das Ordnungsrecht (Verbote und Richtlinien) effektiv.
Ein Nachteil beim ETS 1 ist, dass die Preise nicht vorhersehbar sind. Ein planbar ansteigender CO2-Preispfad hingegen lässt sich effizient mit einem gegenläufig absteigenden Förderpfad unterstützen. Nicht jede alternative Technologie ist beim selben CO2-Preis konkurrenzfähig. Ein Mix ist generell gut, weil jede Politikmaßnahme mit einer Flankierung effektiver ist.
Flankierung hilft
Kein Radweg der Welt wird allein durch einen CO2-Preis incentiviert. Verbote sind vor allem dann wirksam, wo Alternativen bereitstehen – siehe das Montreal-Protokoll von 1987 zum Ozonloch. (Das Beispiel wird übrigens nicht in den Meta-Studien zur Klimapolitik erwähnt, obwohl sich viele Klimaschützer:innen schon lange ein Äquivalent zum Montreal-Protokoll fürs Klima wünschen.) Ohne sofortige Alternativen sind Verbote allerdings problematisch; der Auslauf von Verbrennerautos braucht Ladesäulen, den Ausbau des ÖPNV und Radwege.
Schlummert da draußen also ein Leitinstrument in der Klimapolitik – so etwas wie Fosburys Sprung rücklings? Vielleicht, aber auch Fosbury konnte seine Technik nur zum Erfolg verfeinern, weil eine flankierende Maßnahme zuvor implementiert worden war: Man hatte beim Hochsprung begonnen, Weichbodenmatten für die Landung hinzulegen.