Diskussionsbeitrag von
Jörg Lange, Klimaschutz im Bundestag e.V. und
Fabian Sprenger, Vauban Hausverwaltung GmbH & Co. KG
im Dezember auch erschienen als Beitrag in VDIVaktuell 08/23, Seite 46 ff.
Die Abgabe bzw. der Verkauf von Strom im räumlichen Zusammenhang (auch Mieterstrom genannt) ist aufgrund hoher bürokratischer Hürden noch immer sehr aufwändig und wird von Hausverwaltungen bislang kaum umgesetzt.
Im Folgenden wird die gelebte Praxis einiger gemeinschaftlicher Eigenstromkonzepte im Rahmen einer Kundenanlage verglichen mit der von der Bundesregierung vorgelegten Regelung des §42b im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) im Rahmen des Solarpaket I[1]. Am Ende bleiben einige Fragen zu den Regelungen im §42b EnWG aus Sicht der Autoren offen.
Als Kundenanlagen werden kundeneigene Energieanlagen bezeichnet, die mittels einer Summenmessung an ein öffentliches Energienetz angeschlossen sind und der Abgabe von Energie an Letztverbraucher dienen (§ 3 Nr. 24a oder b EnWG) (vgl. Abbildung 1).
Ziel des neuen Modells nach §42b EnWG ist es, „dass Strom aus solarer Strahlungsenergie ohne großen Bürokratieaufwand von Vermieterinnen und Vermietern oder einem Dritten für die Mietparteien innerhalb eines Gebäudes bereitgestellt werden kann. Die Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen müssen sich dabei hinter demselben Netzverknüpfungspunkt befinden, das heißt, es darf keine Durchleitung durch ein Netz erfolgen.
Bisher gelebte gemeinschaftliche Konzepte zur Nutzung von Strom im Rahmen einer Kundenanlage sollen mit dem §42b EnWG weder erschwert oder gar verhindert werden, so die Versicherung von Politik und Verwaltung. In der Begründung des Gesetzesentwurfs heißt es hierzu nur „Die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung steht als eigenständiges Modell neben dem Mieterstrom gemäß § 42a EnWG.“
Im Falle der Lieferung von Strom über das öffentliche Netz gilt die Rechtslage bisher als eindeutig. Der Stromliefernde wird rechtlich zum Energieversorger (EVU) und hat eine Vielzahl an Pflichten zu erfüllen (z.B. Anmeldepflicht bei Übertragungsnetzbetreiber, Verteilnetzbetreiber, BNetzA; Pflicht zu Vollstromlieferverträgen; Stromkennzeichnung; jährliche Strommengen an Übertragungsnetzbetreiber melden; Meldepflicht Mieterstromzuschlag BNetzA; Messstellenbetriebspflichten, Kundenmanagementpflichten; Rechnungsstellungspflichten; Stromsteuerbefreiungen; …). Diese Pflichten können von einem „normalen“ Anlagenbetreiber (Privatpersonen, Industrie- und Handwerksbetrieb, Wohnungseigentümergemeinschaften) über die Hausverwaltung in den meisten Fällen nicht geleistet werden und erfordern einen entsprechend versierten Dienstleister.
1 Gelebte Praxis der gemeinschaftlichen Eigenversorgung in Kundenanlagen
Bei der Verteilung von Strom z.B. aus Solarstrom vom Dach eines Gebäudes oder des gemeinschaftlichen eingekauften Stroms aus dem öffentlichen Netz (Reststrombezug) innerhalb eines gebäudeeigenen Stromnetzes (Kundenanlage) gibt es bisher in der gelebten Praxis die rechtliche Auffassung, dass hierbei keine Stromlieferung vorliegt und die o.g. Pflichten damit wegfallen.
Denn viele der rechtlich mit einer Stromlieferung verbundenen bürokratischen Pflichten sind für die Nutzung und Verteilung von selbst erzeugtem Strom im Rahmen einer Kundenanlage aus versorgungstechnischer Sicht nicht zu rechtfertigen und damit entbehrlich. Die Stromerzeugung und -nutzung vor Ort könnte genauso betrachtet werden wie eine Energiesparmaßnahme, also z.B. wie die Investition in einen sparsameren Kühlschrank oder in eine LED-Beleuchtung. Auch diese werden ja bislang nicht mit Auflagen, wie z.B. Messeinrichtungen, belegt.
Konzepte und Vertragskonstellationen, die die Kosten aus einer gemeinschaftlich betriebenen Solaranlage und/oder gemeinschaftlich aus dem Netz bezogenen Reststrom z.B. über die Hausgeldabrechnung auf die gemessenen Verbräuche der Allgemein- und Wohnungsstromzähler umlegen, sind seit vielen Jahren gelebte Praxis. In einigen Vertragskonstellationen werden die Investitionskosten sowohl für PV als auch KWK-Anlagen in den Strompreis eingerechnet, ohne dafür eine gesetzliche Grundlage zu haben (Abbildung 2). Zu Beschwerden von Mietenden oder Eigentümer:innen ist es in dieser Zeit in den uns bekannten Fällen nie gekommen, da die Strompreise immer deutlich unter denen der Stromlieferanten bzw. eines Mieterstrommodells lagen.
Abbildung 1: Schema/Konzept zur gemeinschaftlichen Gebäude/Eigenversorgung ohne Durchleitung durch das öffentliche Stromnetz. In Kundenanlagen gelebte Praxis ist ein realer Summenzähler mit realen Unterzählern und der jährlichen Umlage von Kosten nach Stromverbrauch gemäß Ablesung Zähler (A-C).
2 Neuregelungen des §42b EnWG im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und weiterer energiewirtschaftsrechtlicher Vorschriften zur Steigerung des Ausbaus photovoltaischer Energieerzeugung
Unter der Überschrift „Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung“ räumt der §42b EnWG Letztverbrauchern die Möglichkeit ein, z.B. Solarstrom der in, an oder auf demselben Gebäude produziert wird zu nutzen, wenn
- die Nutzung ohne Durchleitung durch ein Netz erfolgt,
- die Strombezugsmengen des Letztverbrauchers viertelstündlich gemessen werden und
(vgl. Abbildung 3) - er einen Gebäudestromnutzungsvertrag mit dem Betreiber der Gebäudestromanlage abschließt, in dem Betrieb, die Erhaltung und die Wartung der Gebäudestromanlage und der Aufteilungsschlüssel des Stroms aus der Anlage geregelt werden. Letzterer muss dem Netzbetreiber mitgeteilt werden. Darüberhinaus sind Regelungen über die entgeltliche Gegenleistung für die Nutzung der elektrischen Energie durch den teilnehmenden Letztverbraucher und deren etwaige Höhe in Cent pro Kilowattstunde zu treffen. Die freie Lieferantenwahl darf in dem Gebäudestromnutzungsvertrag nicht eingeschränkt werden.
Die Definition (§3 Nr. 20a EnWG) des im §42b EnWG neu eingeführten Begriffs der Gebäudestromanlage „eine Erzeugungsanlage, die aus solarer Strahlungsenergie elektrische Energie erzeugt, die ganz oder teilweise im Rahmen eines Gebäudestromnutzungsvertrags durch die teilnehmenden Letztverbraucher gemäß § 42b Absatz 1 verbraucht wird“ schränkt dabei die Regelung auf Solarstrom ein.
Nach §42b Abs.6 EnWG kann der Gebäudestromnutzungsvertrag durch einen WEG-Beschluss ersetzt werden, wenn die WEG die Gebäudestromanlage betreibt.
Abbildung 3: Schema/Konzept zur gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung ohne Durchleitung durch das öffentliche Stromnetz nach § 42b EnWG. Dabei müssen die Zähler (A-C) intelligente Zähler sein, die für die Verteilung und Kostentragung eine Verrechnung von Viertelstundenwerten erlauben.
Aus Sicht der Autoren bleiben mit dem §42b EnWG folgende Fragen offen:
- Welchen praktischen Fall genau will der §42b entbürokratisieren?
- Wenngleich Politik und Verwaltung mit dem §42b EnWG bisher gelebte gemeinschaftliche Konzepte weder erschweren noch verhindern wollen bleibt die Frage, ob das zukünftige Rechtssprechung auch so bestätigt.
- Die Nutzung virtueller Summenzähler wurde bereits im EnWG § 20 Absatz 1d Satz 2 ermöglicht, werden Sie mit dem §42b nun verbindlich vorgeschrieben und wenn ja für welche Konstellationen?
- Kann die Regelung nach §42b unabhängig von einem EVU/Dienstleister z.B. durch eine Hausverwaltung umgesetzt werden? Wer nimmt die Saldierung der Zähler vor und wer sammelt die Daten der 15-minütigen Messung?
- Im §42b (2) 2. ist über den Gebäudestromnutzungsvertrag eine Vereinbarung über entgeltliche Gegenleistung für die Nutzung der elektrischen Energie durch den teilnehmenden Letztverbraucher und deren etwaige Höhe in Cent pro Kilowattstunde zu treffen. Bedeutet dies, dass auch Investitionskosten für die PV-Stromanlage über diesen Vertrag umlegbar sind und wenn ja über welchen Abschreibungszeitraum?
- Lässt sich das Modell nach §42b in Wohnungseigentümergemeinschaften aufgrund der beschränkten Vertragslaufzeit (2 Jahre) umsetzen? Ist das daraus entstehende wirtschaftliche Risiko für eine WEG tragbar?
- Was genau meint §42b (3): „Die freie Lieferantenwahl darf in dem Gebäudestromnutzungsvertrag nicht eingeschränkt werden.“ Ist damit ein gemeinsamer Reststrombezug über den Gebäudestromnutzungsvertrag ausgeschlossen?
- Wie kann ein WEG-Beschluss nach §42b (6) einen Vertrag zwischen der WEG als Betreiberin der Gebäudestromanlage und Mietern als Letztverbrauchern ersetzen? Wie sind die Mieter dabei einzubinden?
- Lässt der §42b Raum für eine Entscheidung gegen das Gebäudestrommodell und den damit verbundenen Vorteilen (weniger Pflichten aus der Stromlieferung) gegenüber den Nachteilen (max. 2 Jahre Bindungsfrist)?
3 Vorschlag zu einer zusätzlichen einfachen Regelung über die Betriebskostenverordnung
Die Betriebskostenverordnung sieht bisher die Umlagefähigkeit von Stromkosten (insbesondere für den Wohnungsstrom) bei gemeinschaftlichen Stromversorgungen nicht ausdrücklich im Katalog von § 2 BetrKV vor. Die Wohnungsstromkosten sind nur von Mietenden zu tragen, wenn dies ausdrücklich im Mietvertrag vereinbart ist.
Bisher sieht die Betriebskostenverordnung auch keine Umlage von Investitions- oder Instandhaltungskosten von Stromerzeugungsanlagen innerhalb einer Kundenanlage vor. Derzeit können Vermietende die Investitionskosten in PV oder KWK-Anlagen gesetzeskonform nur über eine Mieterhöhung nach §§ 555b, 559 BGB umlegen. Den Mietern würde dadurch der gemeinschaftlich von der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) oder einem Wohnungsunternehmen erzeugte Strom zu einem sehr reduzierten Preis berechnet werden müssen. Bei einer PV-Anlage fallen dann ausschließlich die Kosten für Reinigung und Versicherung der PV als Betriebskosten an, die man in den Strompreis gegenüber den Mietenden aufnehmen könnte. Damit würde der Strom extrem günstig, bei einer 20 kWp-Anlage läge der Strompreis bei ca. 2-3 Ct pro kWh. Dadurch würden Fehlanreize für den Stromverbrauch gesetzt. Zudem wird die Belastung der Mietenden mit den Stromgestehungskosten im Wesentlichen nicht mehr vom Stromverbrauch, sondern über die Mieterhöhung von der Größe der Wohnung abhängig sein. Mietende mit hohem Stromverbrauch und kleinen Wohnungen werden so von Mietenden mit geringem Stromverbrauch und großen Wohnungen „subventioniert“. Dieses Gerechtigkeitsproblem und das Problem des Fehlanreizes durch den sehr günstigen Strompreis besteht genauso bei selbstnutzenden Eigentümern.
Diese theoretische Möglichkeit der „Umlage“ von Stromerzeugungskosten über eine Mieterhöhung findet damit auch in der Praxis soweit uns bekannt bislang keine Anwendung.
Eine Lösung besteht darin, in der Betriebskostenverordnung eine gesetzliche Möglichkeit zu schaffen, die Investitions- und Reparaturkosten für die gemeinschaftliche Eigenstromerzeugungsanlage einer WEG in den Strompreis einzurechnen und über die Betriebskosten abrechnen zu können. Bei einem Strom- oder Wärmecontracting werden diese Kosten auch vom Contractor eingepreist. Auch bei Nah- oder Fernwärmelieferungen werden selbstverständlich die Investitionskosten des Lieferanten eingepreist, die Kosten sind innerhalb der Betriebskosten auch umlegbar.
Der Unterschied liegt allein darin, dass die Investitions- und Reparaturkosten nicht bei der WEG, sondern bei einem externen Dritten entstehen, von diesem eingepreist und in Rechnung gestellt werden und sich daraus eine Umlegbarkeit auf die Betriebskosten ergibt.
Contracting-Modelle sind aber für Mietende und selbstnutzende Eigentümer:innen deutlich teurer als die Investition und der Betrieb durch z.B. eine WEG. Die WEG hat keine Gewinnerzielungsabsicht und legt allein die tatsächlich anfallenden Kosten um. Die Gewinnmarge des Contractors oder des externen Lieferanten entfällt.
Sinnvoll wäre es z.B., die Investitionskosten für eine PV-Anlage über 20 Jahre verteilt in die Stromkosten aufnehmen zu können. Eine KWK-Anlage hat in der Regel eine kürzere Nutzungsdauer, hierfür sollte ein entsprechend kürzerer Zeitraum für die Refinanzierung der Investitionskosten möglich sein. Auch sollten für diese Anlagen die Kosten eines Vollwartungsvertrags in den Strompreis eingerechnet werden können.
Eine Gefahr, dass z.B. eine WEG den Mietenden zu hohe Strompreise in Rechnung stellt, sehen wir nicht. Es geht nur um die Verteilung von tatsächlich entstandenen Kosten für Erzeugungsanlagen innerhalb der Kundenanlage und dem Bezug von Reststrom.
Das grundlegende Recht für jeden Endverbrauchenden/Mietenden, den Stromanbieter frei zu wählen, bleibt davon unberührt und hält die WEG davon ab, unwirtschaftlich zu handeln und zu hohe Kosten zu verursachen. In Kundenanlagen wäre aus Sicht der Autoren somit eine Regelung über die Verteilung von Strom und deren Kosten über die Betriebskostenverordnung eine einfache und transparente Lösung.
[1] Gesetz zur Steigerung des Ausbaus photovoltaischer Energieerzeugung (https://dserver.bundestag.de/btd/20/086/2008657.pdf)