Gesucht: Sinnstiftender Klimaschutz

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Die AfD hat bei Landtagswahlen in drei östlichen Bundesländern zugelegt. Seitdem überlegt sich die Klimablase, wie man die Klimakommunikation verbessern kann. Die Frage kann man besser formulieren. Von Craig Morris

Beginnen wir mit einer kurzen Frage: Wer hat Folgendes geschrieben, und vor allem wann? (Antwort steht am Ende des Textes – googeln ist mogeln!)

„Soweit unerwünschte Tatsachenwahrheiten in freien Ländern toleriert werden,
werden sie häufig, bewusst oder unbewusst, in Meinungen umgewandelt.“

Und jetzt zur Aktualität: Nach dem Erfolg der AfD in drei Landtagswahlen suchen Klimaschützer das richtige Framing für die Klimakommunikation. Framing ist nicht unwichtig, aber wenn das die Hauptlösung wäre, hätte man in den 80ern mit „die Schöpfung bewahren“ sehr viele Konservative überzeugt.

Oft heißt es, wir brauchen positive, optimistische Botschaften – wohl ein Grund, warum das Limit von 1,5°C nicht bereits für überschritten erklärt worden ist. Führende Klima-Expert*innen betonen, dass sie optimistisch seien (Claudia Kemfert vom DIW) und warnen davor, zu viel Pessimismus zu verbreiten (Hannah Ritchie von Our World in Data).

Aber der größte Durchbruch in den letzten Jahren kam wohl von Fridays for Future, und ihre Botschaft war wenig optimistisch: „Ihr wollt von uns jungen Menschen Hoffnung – How dare you!“ Die Menschen sind unterschiedlich: Manche mögen Schokolade, manche Vanille.

Vor allem basieren die Meinungen der Wissenschaftlerinnen Kemfert und Ritchie zur Klimakommunikation nicht auf der Wissenschaft, sondern das ist eher ihr Bauchgefühl. Was sagt die Sozialforschung zur Klimakommunikation?

Listen to the science

2017 fasste der US-Journalist David Roberts die peer-reviewed Forschungsergebnisse zusammen: „there’s unlikely to be any all-purpose emotional recipe that will satisfy all customers“. Zu Deutsch: Es gibt keine eierlegende Wollmilchsau bei der Klimakommunikation. 2018 betonte er (wie viele andere), dass die Menschen vor allem „fellowship“ wollen: Wir können Krisen meistern, wenn wir das Gefühl haben, dass alle an einem Strang ziehen. Nur dumm, dass die Gesellschaft immer gespaltener ist und wir uns immer einsamer fühlen.

Der konservative US-Podcaster und Gründer von Strong Towns, Chuck Marohn, setzt sich für 15-Minuten-Städte ein. Er sucht dabei nicht nach einem Framing. Wenn er in eine Gemeinde eingeladen wird, setzt er sich hin und hört zu. Wo drückt der Schuh in der Gemeinde? Erst wenn alle sich gehört und ernst genommen fühlen, redet er davon, wie man die Gemeinde stark machen kann.

Aktuelles deutsches Beispiel: Nam Duy Nguyen hat soeben in Sachsen für die Linke ein Direktmandat geholt – eines von nur zwei. Seine Taktik: Er hat an knapp 50.000 Türen geklopft und zugehört. Er fand heraus, dass vor allem drei Themen die Menschen dort beschäftigen: Mietpreise, ÖPNV (Preise und Anbindung), und Inflation. Nun könnte ein Klimaschützer leicht von Lösungen reden, die diese Probleme angehen – und nebenbei das Klima schützen.

Klimaschützer treten eher anders auf: Die Fakten sind auf unserer Seite, wir haben einfach recht – basta! Das kann unsympathisch rüberkommen. Man versteht die Reaktion „Meine Gefühle interessieren sich nicht für deine Fakten“ besser mit einem Spruch aus den USA: „they don’t care to know until they know you care.” Erst wenn die Menschen wissen, dass du sie ernst nimmst, sind sie offen für dein Wissen.

Dann stellt man fest, dass die Menschen beim Klimaschutz gar nicht so gespalten sind; Mehrheiten sind dafür, aber viele denken, die anderen wollen nicht (Umfrage von More in Common). Die Sozialwissenschaften sprechen von „pluralistischer Ignoranz“: Man fühlt sich alleine, auch wenn die eigene Meinung weit verbreitet ist. Man weiß es nur nicht, weil wir uns immer weniger treffen. Außerdem argumentiert More in Common, man müsse sich besser um das „unsichtbare Drittel“ kümmern: Menschen, die eben nicht in prekären Verhältnissen leben, sondern sich einsam fühlen und nicht wissen, wie sie sich wirksam einbringen können (Die andere deutsche Teilung).

Die Frage lautet also nicht (nur): Welches Framing für die Klimakommunikation? Sondern: Wie können wir uns wieder treffen und reden? Wie Rainald Manthe, Vorstand von Stiftung Bildung, sagt: „Gesellschaft braucht Orte, an denen sie einander begegnet.“ Begegnungsorte sind „dritte Orte“ neben Zuhause und Arbeit: Kirchen, Kneipen, Kinos, Parks, Buchhandlungen, Sportvereine usw. Diese Orte besuchen wir immer weniger; wir sitzen auf der Couch mit Netflix, das Essen wird geliefert. Dann treffen wir uns in unserer Blase, um darüber zu reden, wie man mit Anderen reden sollte, wenn man sie träfe – anstatt sie zu treffen.

Demokratie weiterentwickeln

Die Politik sollte die Richtung angeben, aber die Ampelkoalition zeigt bereits, dass das Parteiensystem an seine Grenzen kommt. Jetzt wird es noch schwieriger: Die CDU muss sich mit Sahra Wagenknecht arrangieren. Man befürchtet, dass uns die Demokratie abhandenkommt. So schrieb Jonas Schaible im Spiegel: „Die Zeit des demokratischen Siechtums ist die Zeit, in der wir leben.“

Das deutsche politische System war 1949 die beste verfügbare Technik – ein Bollwerk gegen den Faschismus. Kommt es in die Jahre? Wenn ja, wie könnte man es weiterentwickeln?

Expertise gibt es vor allem in den Ministerien. Es gibt Vorschläge, wie man dieses Wissen aus den verkrusteten preußischen Strukturen der Ministerien befreien könnte – die Welt lässt sich immer weniger in Einzelthemen einsortieren, die Namen der Ministerien werden immer länger –, aber generell wird nicht beklagt, dass Wissen fehlt. Wir streiten uns eher über die Ausgestaltung z.B. des Klimaschutzes: Wohin geht die Reise?

Das soll die Politik sagen. Auch wenn es nicht schadet, wenn Politiker*innen Expertise besitzen: Die Politik vertritt eher unsere Werte. Sind wir z.B. der Meinung, es sollte eine Maut auf der Autobahn geben, dann sagt das Verkehrsministerium mit seiner Expertise, wie das konform mit EU-Recht ginge – so jedenfalls sollte unser politisches System funktionieren. Aber mit den immer weiter gespreizten Koalitionen weiß die Politik nicht mal mehr, was sie will.

Einen Ausweg bieten Bürgerräte. Hier kommt eine Gruppe von zufällig ausgewählten Menschen zusammen, um miteinander und Expert*innen vertieft über ein gesetztes Thema zu sprechen und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Dank dieser Expertise sind das keine Stammtischgespräche, und die Bürgerräte entkräften den Vorwurf, dass „die da oben“ entscheiden.

Hier treffen sich die Menschen außerhalb ihrer Blase, und die Gespräche sind konstruktiv. Es zeigt sich international, dass diese Vorschläge ehrgeiziger sind, als sich die Politik erlaubt. Noch nimmt die Politik solche Vorschläge zur Kenntnis, setzt sie aber nicht konsequent um. Man sollte Bürgerräte häufiger, vielleicht laufend als Dritte Orte, abhalten, und die Empfehlungen sollten als Auftrag an die Ministerien gehen, die dann untersuchen, wie man sie umsetzen kann.

Und nun des Rätsels Lösung

Obiges Zitat:

„Soweit unerwünschte Tatsachenwahrheiten in freien Ländern toleriert werden,
werden sie häufig, bewusst oder unbewusst, in Meinungen umgewandelt.“*

stammt von Hannah Arendt (Original auf Englisch) aus dem Jahr 1967 Wir denken, dass wir seit Kurzem im Zeitalter des Postfaktischem leben, aber Arendt hat das alles vor mehr als einem halben Jahrhundert analysiert. Sie ist nicht unumstritten. Dennoch: Was würde sie heute wohl sagen? Ich denke, zwei Sachen.

Erstens: Wahrheiten** wirken in der Politik tyrannisch; die Politik lebt von der Vielfalt der Meinungen. Dass bedeutet nicht, dass Fakten nicht mehr gelten, sondern dass man mit Meinungen anfängt. (Beispiel: Katja Diehls „willst Du oder musst Du Auto fahren“ kommt eher empathisch als belehrend rüber.)

Zweitens: „Die Vernunft ist nicht auf der Suche nach Wahrheit, sondern nach Sinn“ (Vom Leben des Geistes, posthum 1977). Arendt hat die Zeit vom Nazi-Regime bis in die 1970er Jahre hinein analysiert. Hitler gab vielen Menschen einen Sinn im Leben. Die AfD liefert auch eine Definition für dieses Deutschland – eine, die mir nicht gefällt. Unsere freiheitliche Wirtschaft liefert leider keine. Um Jacques Delors zu zitieren: „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt“. Weltweit gehen Geburtenraten zurück, selbst wenn der Staat Familien mit Kindern besser finanziell unterstützt. Immer mehr junge Menschen fragten sich offenbar: Wozu Kinder kriegen in dieser sinnlosen Welt?

Wofür steht dieses Deutschland? Wie kann Klimaschutz zur Sinnstiftung beitragen?

Wenn es stimmt, dass uns der Sinn des Lebens zunehmend abhandenkommt, dann sind wir endlich im eisernen Käfig des Soziologen Max Webers angekommen: Wir interagieren miteinander nach den rationalen Regeln des Kapitalismus, aber ohne dass diese Begegnungen Sinn stiften. Oder wie der Anthropologe David Graeber gesagt hätte: Wir wollen eigentlich, dass der Bäcker sagt: Guten Morgen, heute wieder zwei Brötchen und ein Croissant? Der Markt hat uns früher zusammengebracht und zur Bildung einer Gemeinschaft beigetragen; er soll nicht nur effizient, sondern sinnstiftend sein. Stattdessen sitzt der Bäckermeister heute fernab in einer Halle, und an der Theke steht eine wechselnde Bedienung, die nur 4,97 Euro von uns will. Sobald wir bezahlt haben, sind wir quitt: Wir schulden einander nichts und müssen uns nicht wiedersehen. Eine Welt voller finaler Transaktionen ohne gesellschaftlichen Kitt – wie kommen wir da raus?

Beginnen wir die Sinnsuche wie Chuck Marone, indem wir uns treffen und aussprechen, z.B. an Dritten Orten und in Bürgerräten – wo drückt der Schuh? So bauen wir Vertrauen und Sympathie füreinander auf – Roberts „fellowship“. Dann suchen wir gemeinsam nach Lösungen. Diese sind wissenschaftsbasiert; die Fakten kommen erst hier rein. Oder wie jemand mal auf einer Veranstaltung gesagt hat: Die AfD erzählt faktische Lügen, aber emotionale Wahrheiten; wir erzählen faktische Wahrheiten, nehmen aber Sorgen und Emotionen zu wenig ernst.

Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die Transformation des Klimaschutzes wohl der größte Umbau seit Gründung der Bundesrepublik sein wird. Bei Veränderungen gibt es Gewinner und Verlierer. Man muss den Leuten die Existenzangst nehmen. Wir müssen uns gegenseitig klarmachen, dass wir füreinander da sein werden. Ob die Transformation eine Chance oder eine Bedrohung ist, ist ein Gefühl – kein Fakt.

Lesen Sie zum selben Thema „ZuverZicht: It’s a Kulturkampf, stupid!“ vom Mai 2024.

Wer sich mehr mit wissenschaftsbasierter Klimakommunikation beschäftigen mag, findet bei Klimafakten viele wertvolle Ressourcen.

* Es gibt ein (weniger elegantes) Zitat auf Deutsch dazu von Arendt aus dem Jahr 1963: „Wo immer andererseits in der freien Welt unliebsame Tatsachen diskutiert werden, kann man häufig beobachten, daß man ihre bloße Feststellung nur darum toleriert, weil dies von dem Recht zur freien Meinungsäußerung gefordert werde….“

** Arendt unterscheidet (nach Leibniz) zwischen Vernunftwahrheiten (Logik) und Tatsachenwahrheiten (Empirie). Die Klimaforschung fällt unter Tatsachenwahrheiten.

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