In Berlin wird gerade viel über einen Zusammenhang zwischen Klimaschutz und dem aktuellen Rechtsruck der Wähler*innen geredet. Als Lösung wird eine sozial gerechtere Klimapolitik empfohlen. Das würde helfen, geht aber nicht weit genug. Wir müssen den Kulturkampf, der schon lange geführt wird, aufnehmen.
Ich bin 1968 in New Orleans auf die Welt gekommen. Der größte Fehler, den meine Generation gemacht hat, war der Glaube, dass Wirtschaftswachstum die Gesellschaft einen wird. Der Slogan von Präsidentschaftskandidaten Bill Clinton 1992 lautete: „It‘s the economy, stupid.“
Zwölf Jahre später stellte ein Professor diese Idee in seinem Buch „What‘s the Matter with Kansas?“ (Was ist mit Kansas los?) in Frage. Warum wählten so viele Menschen aus Kansas gegen ihre eigenen (wirtschaftlichen) Interessen. Die Antwort: Sie stimmten für ihre kulturellen Interessen. Der Kulturkampf ist mittlerweile in Deutschland angekommen. Das DIW sprach 2023 in einer Studie vom „AfD-Paradox: Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen.“
Dabei stimmen diese Menschen für ihre kulturellen Werte. Immer mehr Bürger suchen nach Gruppenzugehörigkeit. Die neue europäische Partei für Parteien rechts der Konservativen heißt nicht umsonst Identität und Demokratie Partei. Den Adligen hinter den Reichsbürgern fehlt es vermutlich weniger an Geld; sie wollen eine andere Kultur.
Wir leben immer isolierter. Wenn ein Pilotprojekt wie 2019 in Pforzheim Nachbarn zu Gesprächen einlädt, wird von der „Wiederentdeckung der Nachbarschaft“ gesprochen. Um die Menschen aus ihrer jeweiligen Blase zu locken, hat Zeit Online 2017 Menschen aus unterschiedlichen Lagern in der Reihe „Deutschland spricht“ zusammengebracht. Damit Wähler*innen mehr über Gruppenzugehörigkeiten hinweg miteinander reden, werden immer mehr Bürgerräte organisiert; sie bringen repräsentative Bürgergruppen zusammen, um abgestimmte Empfehlungen für die Politik zu formulieren.
Die gute Nachricht: Auch links der Rechtsradikalen stellen viele Menschen ihre kulturellen Werte über das eigene Portemonnaie. Laut einer Studie der Uni Flensburg fordern Bürgerversammlungen europaweit mehr Suffizienz von der Politik: d.h., soziale Innovationen und Verhaltensänderungen statt nur technologischer Lösungen. Wir könnten das Potenzial heben, doch Klimaschützer*innen wollen ihre Vorschläge nicht als Kulturkampf verstanden wissen. Das Klimaschutz-Lager sagt, um Greta Thunberg zu zitieren: listen to the science.
Die Rufe aus der Klimablase nach Verhaltensänderungen werden daher eher wissenschaftlich als moralisch/kulturell begründet. Außerhalb der Klimablase werden diese Rufe trotzdem teils als Angriff auf die eigene Identität wahrgenommen. Schlägt man vor, wir könnten weniger Fleisch essen, teilt sich das Publikum in zwei feindliche Lager auf. So ergeht es aktuell den Autor*innen Hedwig Richter und Bernd Ulrich mit ihrem neuen Buch „Demokratie und Revolution: Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit“. Auf Amazon hat das Buch 3 Sterne von 5; drei Viertel der Bewertungen sind 5 Sterne oder 1 Stern.
Bloß den Vorwurf des Verzichts nicht erregen: Ganze Studien werden unter der Annahme verfasst, dass sich unser Verhalten nicht ändern muss. Aktuelles Beispiel: Die neue Studie zu den Kosten der Verkehrswende von Agora Verkehrswende (hierbei wärmstens empfohlen) betrachtet Szenarien mit unveränderten Mobilitäts-Kilometern. Das ist eine wertvolle Untersuchung. Sollte aber nicht immer ein Szenario dabei sein, das untersucht, wie viel Verhaltensänderungen bringen würden?
Es fehlt natürlich nicht an Studien zu Suffizienz (wir empfehlen zum Einstieg die von Negawatt). In seiner letzten Stellungnahme zum Thema Suffizienz spricht der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) von einer „Strategie des Genug“ (Suffizienz bedeutet „genug“). Wichtig dabei ist die Erkenntnis, dass viele Bürger*innen nicht genug haben. Sie würden also mehr Wohlstand bekommen – mehr bezahlbaren Wohnraum, mehr Freizeit, mehr Mobilität, usw. Dafür müssten vor allem die Reichen und Superreichen auf manchen Luxus verzichten (auch wenn der SRU das eher implizit als explizit sagt).
Wie diese Idee ankommt, kann man in der Sendung von Markus Lanz vom 22.5. sehen. Das Video ist hier auf Reddit zu sehen, und ab 29:18 geht es darum, aus Milliardären Millionäre zu machen. Lanz will davon nichts wissen, und fragt: Darf man dann noch Porsche fahren? Impliziert wird: Lieber Zuschauer, die Gängelung fängt oben an, kommt aber irgendwann zu euch. Unter dem Video im Subreddit „Finanzen“ (wo sich Menschen über Geld austauschen, also eher keine grüne Ecke) sind die Kommentare aber lesenswert ausgewogen.
Es gibt vielleicht mehr Unterstützung für die Idee, als man vermuten würde. Deutschland setzt sich zusammen mit Brasilien, Frankreich, Spanien und Südafrika in der G20 für eine 2%-Steuer auf das Vermögen von Superreichen ein. Die Weltbank unterstützt die Idee. Präsident Biden plante eine „Milliardärsteuer“, traf aber bald auf Widerstand.
Wir sprechen also gerne von der Energiearmut, aber weniger davon, dass manche Menschen zu viel angehäuft haben, und unsere Staatskassen leer sind: z.B. für Kitaplätze, die seit 2012 eine kommunale Pflicht sind. Und auch für den Klimaschutz. Dieses Jahr ist eine neue Denkfabrik mit dem Namen Zukunft KlimaSozial gegründet worden. Die wird gute Arbeit leisten, vor allem beim versprochenen, aber nicht gelieferten Klimageld. Greenpeace beginnt gerade eine Kampagne fürs Klimageld. Sie können hier mitmachen. Neben sollten wir aber auch die gute Arbeit von Gruppen wie Netzwerk Steuergerechtigkeit stärken. Und gibt es überhaupt Orgs, die sich vorrangig mit Verhaltensänderungen befassen?
In den nächsten Monaten wollen wir bei KiB dem Thema Suffizienz mehr nachgehen. Am 6.6. geht es los: Mein Kollege Philipp George lädt zu einem Webinar zum Thema Wohnraumsuffizienz ein. Es gibt seit Jahrzehnten immer mehr Wohnraum pro Nase, und trotzdem ist es immer schwieriger, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Wie konnte das passieren, und wie kommen da raus? Infos zur kostenlosen Veranstaltung finden sie weiter unten und hier.
So viel vorab: Wir haben selten so viel Resonanz wie bei Philipps Webinar gehabt. Seit die Einladungen verschickt wurden, haben uns Stadträte und sogar das Büro unseres Wirtschaftsministers angerufen. Alle wollen wissen, was Kommunen machen können, um mehr bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Vorwiegend auf Neubau zu setzen, hat das Problem nicht gelöst, sondern uns in diese Situation gebracht. Philipp hat ein paar Expert*innen gefunden, die Lösungsansätze vorstellen, um den bestehenden Wohnraum besser zu verteilen.
Welche Suffizienz-Themen sind aus Ihrer Sicht wichtig? Schreiben Sie uns doch Ihre Idee an info@klimaschutz-im-bundestag.de. Wir schauen, welche wir in den nächsten Monaten behandeln können. Und: Wie finden Sie das Wortspiel „ZuverZicht“ als Oberbegriff?
Dieser Text ist bereits lang. Später haben wir Zeit für die Frage: Was meint ihr überhaupt mit „Kulturkampf aufnehmen“?