Ungeahnte Möglichkeiten

Angesichts der Pandemie scheint vieles plötzlich möglich, was vorher noch undenkbar schien. So werden derzeit Unmengen an Geldern zur Stützung der Wirtschaft und des Gesundheitssystems während der Krise mobilisiert. Bereits jetzt umfassen die Zusagen der Bundesregierung über 1.000 Milliarden Euro. Und weitere konjunkturelle Hilfen sind geplant, um nach der Krise alles wieder in Gang zu bringen wie vorher.

Würde man die Klimakrise mit ähnlich disziplinierten und konsequenten Maßnahmen bekämpfen wie die Corona-Krise, was wäre in Sachen Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens plötzlich möglich? Warum sollte es im Wohlstandsland Deutschland nicht möglich sein, die milliardenschweren Rettungsschirme und angedachten Konjunkturprogramme an sinnvolle Bedingungen im Sinne des Klimaschutzes zu knüpfen?!! Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE 2020 hat kürzlich ausgerechnet, dass die gesamten Mehraufwendungen für den Klimaschutz in Deutschland (Szenario Suffizienz) bei lediglich 440 Mrd. Euro verteilt auf drei Jahrzehnte liegen könnten, um 95 % der Treibhausgasemissionen bis 2050 zu reduzieren. Ein Bruchteil dessen was unseren Enkeln an Folgekosten aufgebürdet wird, wenn wir nicht umsteuern. Dies wäre ein überschaubarer Mehraufwand gegenüber den milliardenschweren Hilfen, die seitens der Regierung zur Bewältigung der Pandemie zur Verfügung stehen.

Auch wenn die aktuelle Pandemie vielen Menschen das Leben bereits gekostet hat und noch kosten wird, wird sie für die meisten Infizierten als Krise mit glücklichem Verlauf bezeichnet werden können. Dass die Klimakrise für viele Enkel einen ähnlichen Verlauf nimmt, dafür bleibt noch viel zu tun.
Aber bereits mit dieser Pandemie wird deutlich, dass auch in der vermeintlich „weit entwickelten westlichen Welt“ alle Lieferketten, die über Jahrzehnte scheinbar so verlässlich – wenn auch immer auf Kosten Dritter – die Menschheit Tag für Tag und immer umfassender mit Energie, Nahrung, Medikamenten und Sicherheit versorgten, unter Druck geraten. Was, wenn in der zunehmenden Klimakrise die Lieferketten für unser Enkel*innen nicht nur unter Druck geraten, sondern schlicht ausfallen?

Wir sollten uns längst alle sorgfältiger überlegen, wem und für was der Staat und wir Geld geben und für was wir Steuern zahlen wollen und für was nicht. Banken und Unternehmen sollten nur noch in die Produkte investieren können, die Grundlagen für viele Arten einschließlich des Menschen auf unserem Planeten zu erhalten, statt ihn auszuplündern und langfristig unbewohnbar zu machen. Die Bürgerwende Finanzwende setzt sich dafür ein. Mitinitiator Gerhard Schick erklärt in einem SWR- Interview wie und warum.

In vielen weiteren Bereichen stehen wir vor ähnlichen persönlichen und unternehmerischen Fragen und Richtungsentscheidungen. So fordert beispielsweise der Chef der Internationalen Energieagentur (IEA), Fatih Birol, dass parallel zur Eindämmung der Pandemie die Akutmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftstätigkeit gleichzeitig mit Regeln und Anreizprogrammen zur Senkung der Treibhausgase erfolgen müssen. Insbesondere Investitionen in erneuerbare Energien hätten den „doppelten Effekt, die Wirtschaft zu stimulieren und den Umbau der Energiewirtschaft zu beschleunigen“, so wird der Chef der beim Industrieländerclub OECD angesiedelten Organisation in „Neues Deutschland“ zitiert.

Die Pandemie zeigt auch, dass einige Unternehmen in der Lage sind schnell umzudenken und ihre Produktionen innerhalb kürzester Zeit auf aktuelle Bedarfe umstellen können (FFP3-Masken, Beatmungsgeräte u.v.m.) um. „In den 50er Jahren wollten die Menschen Tonbänder, und wir haben Tonbandgeräte für sie gebaut. Dann wollten die Menschen Autos, und wir haben Antriebe und Steuerungen für sie gebaut. Schließlich wollten die Menschen Kaffeeautomaten, und wir haben Mahlwerke gebaut. Wenn nun die Menschen Ökologie und CO2-Neutralität wollen – und dies sehr zu recht –, dann bauen wir auch das für sie und für eine saubere Umwelt. Nachhaltigkeit ist ohne Alternative!“ so der Präsident des WVIB Thomas Burger (Geschäftsführer der und der Burger Group in Schonach) schon in einem Beitrag der Badischen Zeitung vom 14.11.2019. Wir sollten solche Unternehmer beim Wort nehmen!

Am Beispiel Digitalisierung stellt sich die Frage: Nutzen wir sie auch nach der Krise für Videokonferenzen, um Reisen mit dem Auto dem, Flugzeug oder auch der Bahn einzusparen und damit auch Emissionen zu vermeiden, oder doch lieber zur Buchung der nächsten Fernreise und zum noch stärkeren Videostreaming?

Die Einschätzungen der Menschen, in welche Richtung wir uns während und nach der Pandemie bewegen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Aber vielen ist inzwischen klar, dass nicht wieder zur alten Tagesordnung übergegangen werden darf. Die Möglichkeiten, die sich durch die Corona-Krise offenbaren, sollten nicht ungenutzt bleiben.

Autor: Dr. Jörg Lange

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