Ist es rechtens, dass die EU Gas und Atomkraft als „ökologisch nachhaltig“ bezeichnet?

Eu Taxonomie

„Vielleicht ist es das Beste, diesen delegierten Rechtsakt einzustampfen“, dies erklärte der umweltpolitische Sprecher der größten Fraktion im Europäischen Parlament (EVP, Christdemokraten) Dr. Peter Liese anlässlich der Vorlage eines Expertenberichts zum delegierten Rechtsakt zur „grünen Taxonomie“. In der EU-Taxonomie Verordnung, die im Juli 2020 in Kraft getreten ist, wurde festgelegt, dass die EU-Komission per delegiertem Rechtsakt „technische Bewertungskriterien“ festlegen kann, welche Investitionen als „ökologisch nachhaltig“ gelten können und welche nicht. Die Europäische Kommission hat am 31.12.2021 einen Entwurf für eine offizielle Liste von Investitionen vorgelegt, wonach Kernenergie und Erdgas unter bestimmten Bedingungen als ökologisch nachhaltig gelten sollen. In einem von der EU-Komission noch in der Sylvesternacht angefragten Stellungnahme kommen Experten der Platform on Sustainable Finance zu einem deutlichen Ergebnis: „Die Strom- und Wärmeerzeugung aus fossilem Gas und Kernenergie kann nicht als „ökologisch nachhaltig“ angesehen werden. … „Der Entwurf ist nichts anderes als institutionelles Greenwashing und hätte dramatische Folgen, wenn er angenommen würde„. (ECOS 2022)

In dem detaillierten Bericht werden die wissenschaftlichen Hintergründe und Argumentationen erläutert und darüber hinaus argumentiert, dass der Entwurf mit den Bestimmungen der Taxonomie-Verordnung, insbesondere Artikel 10.2 und Artikel 19 nicht vereinbar ist. So schlägt die Kommission vor, die in der Taxonomie-Verordnung festgelegte Definition von „Übergangstätigkeiten“ auf die Bereiche Kernenergie und Gas anzuwenden. Nach der Verordnung kann es sich jedoch nur dann um Übergangstätigkeiten handeln, wenn es keine kohlenstoffarmen Alternativen gibt. Im Falle der Strom- und Wärmeerzeugung gibt es jedoch zahlreiche wettbewerbsfähige dekarbonisierte Optionen: Erneuerbare Energien machen bereits heute rund 80 % der Investitionen in neue Stromerzeugungsanlagen aus. In ihrem Entwurf wendet die Kommission fälschlicherweise Artikel 10 Absatz 2 der Taxonomieverordnung an, um fossiles Gas und Kernenergie einzubeziehen.

Darüber hinaus wird in Artikel 19 der Taxonomie-Verordnung betont, dass die Liste „wissenschaftlich fundiert“ sein muss und die Umweltleistung von Tätigkeiten aus einer „Lebenszyklus-Perspektive“ bewertet werden muss. Die Kommission vernachlässigt jedoch beides. Die Stellungnahme verweist dabei darauf, dass die Strom- und Wärmeerzeugung – unabhängig von ihrer Quelle – unter dem wissenschaftlich begründeten Lebenszyklus-Schwellenwert von 100g CO2/kWh liegen muss, um berücksichtigt zu werden. Dies schließt – so die Plattform – „jede Form der ungebremsten fossilen Gasproduktion aus“. „In der Taxonomie ist kein Platz für fossile Brennstoffe. Dies würde nicht nur Geld in die falschen Investitionen lenken, sondern auch die ökologische Glaubwürdigkeit der gesamten Taxonomie untergraben und einen Präzedenzfall dafür schaffen, dass andere schmutzige Aktivitäten, wie z. B. die Müllverbrennung, als grün bezeichnet werden können.“

Zur Kernenergie wird im Bericht erläutert, dass auch der Bau neuer Kernkraftwerke und der Betrieb der bestehenden Anlagen nach den von der Kommission vorgeschlagenen Kriterien nicht gewährleisten kann, dass erhebliche Umweltschäden vermieden werden und somit ebenso gegen die Taxonomie Verordnung verstößt.

Schließlich so die Plattform sind Tätigkeiten, die nicht in der Taxonomie aufgeführt sind, sind nach wie vor legal und können weiterhin Investitionen erhalten. Sie sind lediglich nicht ökologisch nachhaltig (im Sinne der Taxonomieverordnung) und können daher nicht als solche bezeichnet werden.

Deutsche Stellungnahme

Auch Deutschland hat sich gegen die Einstufung von Atomenergie als „ökologisch nachhaltig“ und für die Einstufung von Erdgas als nachhaltige „Brückentechnologie“ zur Erreichung von Klimaneutralität ausgesprochen. Darüber hinaus merkt sie in der deutschen Stellungnahme an: „Angesichts der sehr grundsätzlichen und politischen Bedeutung der hier behandelten Fragen, wäre aus Sicht der Bundesregierung ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren und eine öffentliche Konsultation angemessen, weil dies angemessene Einflussmöglichkeiten der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments gewährleistet hätte.“

Österreich hat eine Klage gegen den delegierten Rechtsakt angekündigt. U.a. stellt sich die Frage, ob nach Art. 290 des Vertrages über Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die EU Komission europarechtlich überhaupt  ermächtigt ist, über die politisch hochumstrittene Frage der ökologischen Nachhaltigkeit, z.B. von Atomenergie, zu entscheiden.

Endgültige Version liegt vor

Inzwischen hat die EU-Komission am 2.2. die endgültige Version des die Taxonomie-Verordnung ergänzenden Rechtsaktes veröffentlicht.

Im endgültigen Entwurf sind sogar einige Anforderungen zur Aufnahme von Investionen in Erdgas gegenüber dem Entwurf von Sylvester sogar noch gestrichen bzw. gelockert worden, wie z.B die Zwischenziele beim nachzuweisenden Anteil von treibhausgasarmen Gasen in neuen Gaskraftwerken (ab 2026 sollten Gaskraftwerke Gemische mit einem Anteil von 30 Prozent kohlenstoffarmer Gase verwenden und bis 2030 einen Anteil 55 Prozent). Berlin hatte diese Pläne als „unrealistisch“ bezeichnet. Geblieben ist lediglich die Forderung auf eine 100-prozentige Umstellung auf kohlenstoffarme Gase im Jahr 2035. Wie diese jedoch bei erst einmal gebauten Kraftwerken im Nachhinein garantiert werden kann, sagt die EU-Kommission nicht.

Kritik von vielen Seiten

Kritik zum ergänzenden Rechtsakt gab es von allen Seiten, so z.B. von großen Vermögensverwaltern, die sich wegen der Klimaschädlichkeit von Gas gegen dessen Aufnahme in die EU-Taxonomie ausgesprochen hatten, wie z.B. Stephanie Pfeifer, CEO, Institutional Investors Group on Climate Change (IIGCC): „Als Eckpfeiler der EU-Agenda für nachhaltige Finanzen würde die Einbeziehung von Gas die Glaubwürdigkeit der Taxonomie sowie die Verpflichtung der EU zur Klimaneutralität bis 2050 untergraben. Auch wenn Gas als kurzfristige Überbrückung in einer Übergangsphase einen Platz hat, kann es nicht ernsthaft als grün eingestuft werden.“

Weiteres Verfahren

Bevor die Ergänzung wie von der Kommission beabsichtigt am 1. Januar 2023 in Kraft tritt kann innerhalb der nächsten 4-6 Monate der Rat den Rechtsakt mit einer Mehrheit von mindestens 20 Mitgliedsstaaten, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der EU vertreten, stoppen (gilt als aussichtslos) oder das Parlament kann ihn mit einer Mehrheit von mindestens 354 der 705 Abgeordnete ablehnen (hierzu fehlen noch etwa 100 Stimmen).

Petition

Petition: Rettet Europas Energiewende – Stoppt das Greenwashing von Atomkraft und Gas!

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