Braucht es lokale Strompreise und wenn ja welche?

Lokalestrompreise

Diskussionsbeitrag von Dr. Jörg Lange und Craig Morris

Im Juli entbrannte ein Streit in der FAZ. Los ging es mit einem Aufruf von 12 Ökonomen nach lokalen Strompreisen. An der schlichten Tatsache, dass der deutsche Spotmarkt in Leipzig die Physik in den Netzen nicht abbilden kann, komme man nicht vorbei.

Eine Woche danach sprachen sich allerdings 15 Verbände für die Beibehaltung der landesweiten Einheitspreiszone aus (wie z.B. in Frankreich oder Spanien). Auch der Bundesverband Erneuerbare Energien ist dafür. Die Verbände befürchten eine Abwanderung der Industrie aus hohen in niedrigere lokale Preiszonen. Beim BEE geht es um die Planbarkeit von neuen Wind- und Solarprojekten. Dennoch zeigten sich die Verbände offen für (nicht weiter definierte) lokale Preissignale unterhalb des bundesweiten Spotmarkt-Preises.

BMWK favorisiert Kapazitätsmarkt

Dann kam im August ein konkreter Vorstoß aus dem Wirtschafts- und Klimaministerium mit einem Optionenpapier zum „Strommarkt der Zukunft“ und einem „Überblick zur Ausgestaltung eines kombinierten Kapazitätsmarktes“.

Die Idee des bereits über viele Jahre diskutierten Kapazitätsmarktes nun neu in der Kombination mit einer dezentralen Komponente ist nicht unkompliziert: Zunächst würde es in der zentralen Komponente Ausschreibungen für neue Erzeugungsanlagen (wie Gaskraftwerke) geben. Die bezuschlagten Angebote bekämen Zahlungen für die Bereitstellung von Kapazität unabhängig von der erzeugten Strommenge. Später käme die zweite Komponente hinzu: Zertifikate aus der zentralen Komponente für (dezentrale) Bilanzkreisverantwortliche (also Stromhändler und -lieferanten).

Der „kombinierte Kapazitätsmarkt“ kompensiert (so die Ansicht des BMWK) schwindendes Vertrauen in den „Energy-Only Markt“ und die CO2-Bepreisung.

Die dezentrale Komponente des kombinierten Kapazitätsmarktes delegiert die Verantwortung für die Erschließung von Flexibilitätsoption auf der Ebene der Endkunden und des Verteilnetzes auf die etwa 900 Bilanzkreisverantwortlichen. Auf den ersten Blick scheint das plausibel, weil sie über Lastgänge größerer Endkunden verfügen und bereits heute einige Akteure auf deren Lastverhalten im Sinne eines effizienter zu führenden Bilanzkreises versuchen einzuwirken.

Aber verfügen sie auch über das Wissen, wie in den Unternehmen und vor allem in Gebäuden Flexibilitätsoptionen umgesetzt werden können? Wurden die Bilanzkreisverantwortlichen gefragt, ob sie die Verantwortung und Aufgabe übernehmen wollen und können?

Zu den vielen gesetzlichen Regelungen, die heute schon nicht konsequent am Klimaschutz und einer Versorgung mit fluktuierenden Erneuerbaren ausgerichtet sind, käme ein weiteres bürokratisch aufwändiges Zertifikatesystem hinzu, dessen Folgen kaum abschätzbar sind.

Nach Ansicht von Kritikern würde ein Kapazitätsmarkt zu höheren volkswirtschaftlichen Gesamtkosten führen. Eine effizientere Alternative wird in einer „Absicherungspflicht“ (Option 1, Kap. 3.2 im Optionspapier) gesehen, wie sie in der europäischen Strommarktrichtlinie vorgegeben ist, und die dem „Strommarkt-Plus“ der Plattform klimaneutrales Stromsystem (PKNS) entspricht (connect 2024). Vereinfacht bedeutet eine Absicherungspflicht, dass Stromversorger ihre Lieferverpflichtungen zum Beispiel am Terminmarkt absichern müssen und damit eine Nachfrage von emissionsarmen Ausgleichskapazitäten auslösen, wenn gleichzeitig der CO2-Preis entsprechend hoch ist. Derzeit müssen sich Unternehmen nicht absichern und gehen bei starken Preisschwankungen am Spotmarkt große Risiken ein, die zum Konkurs führen können.

Refinanzierung der Investitionskosten von Wind- und Solarkraftwerken

Neben dem Aspekt der Versorgungssicherheit und hierzu ggf. fehlender flexibler Kapazität stellt das Optionenpapier auch vier Vorschläge bezüglich der Refinanzierung der Investitionskosten von Wind- und Solarkraftwerken zur Debatte. Alle vier vorgeschlagenen Optionen basieren, wie bisher auch auf dem gleichen Grundprinzip: der Refinanzierung von Investitionen in Solar und Windstromanlagen über den Spotmarkt und Ausgleich der Differenz zu den Kosten über den Steuerhaushalt. Aufgrund europäischer Vorgaben wird in allen Optionen ein „Rückzahlungsinstrument“ eingeführt, so dass bei hohen Erlösen am Spotmarkt ein Teil des Steuerausgleichs wieder zurückfließt.

Solarstromkraftwerke und Windkraftwerke reagieren auf das Wetter und nicht auf Preise. Sie haben so gut wie keine Grenzkosten. Ihre Refinanzierung am Grenzkostenmarkt führt bei hoher erneuerbarer Stromerzeugung zu niedrigen oder negativen Strompreisen. Mit Strom aus Solar und Windkraftwerken wird am Spotmarkt immer dann wenig Geld erlöst, wenn sie gerade viel produzieren. Alternative Vorschläge zur Refinanzierung von volatilem Sonnen- oder Windstrom werden im Strommarkt der Zukunft nicht erwähnt – es wird auch nicht begründet, warum sie verworfen wurden.

Neuhoff et al. 2024 schlagen z.B. einen Erneuerbaren Energien Pool vor, der langfristige Absicherungsverträge (PPAs) zusammenfasst, die einerseits das Investitionsrisiko von Windkraft- und Solarprojekten reduzieren und andererseits über Verträge mit Endverbrauchern diese ebenfalls gegen Preisrisiken absichern. Damit würde am Ende der erneuerbar erzeugte Strom mittel- bis langfristig ganz aus dem bisherigen Grenzkostenmarkt herausgenommen und nur noch die Residuallastkapazitäten sich an den Grenzkosten orientieren.

Es fehlt an Flexibilität

Die vor mehr als 10 Jahren geäußerten These, der Netzausbau und Residuallasterzeugung über Gasturbinen wären gegenüber einem lokalen Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch die weitaus kostengünstigste Lösung, stößt an seine Grenzen (These 4, 5 Agora 2013). Kosten für den Stromnetzausbau oder das Netzengpassmanagement (smard.de) und damit die Netzentgelte steigen mit noch unklarem Ausgang. Studien befürchten eine Verdopplung der Netzentgelte bis 2045 (Ruhr GmbH 2024). Die Hinweise nehmen außerdem zu, dass in einigen Fällen zusätzliche Wärmepumpen, Lade­sta­tionen und Solarstromanlagen wegen fehlender Netzkapazität nicht angeschlossen werden können. Bei bestehenden Solar- und Wind-Anlagen nehmen die Eingriffe der Netzbetreiber zu. Beispiele wie der Fall einer Metzgerei bei Freising in Bayern bleiben hoffentlich die Ausnahme. Hier wurde nicht nur die Überschusseinspeisung, sondern die gesamte Leistung der eigenen Solarstromanlage auf dem Dach der Metzgerei an vielen Stunden im Jahr auf Null heruntergefahren wird (Fernsehsendung quer vom 4.7.2024).

Der vielfach zitierte Grundsatz „So dezentral wie möglich, so zentral wie nötig“ würde hier helfen.

Lokale Signale statt immer mehr Eingriffe

Stromkunden sollten zukünftig neben der Eigenstromoptimierung auch die Netzdienlichkeit berücksichtigen können. Zu jeder Zeit sollte eine möglichst treibhausgasarme und kostengünstige Energieversorgung möglich sein. Dazu sind zwei lokale dynamische Preissignale notwendig, die Angebot von erneuerbaren Energien (EE), Residuallast (Stromlast abzüglich der Erzeugung aus Erneuerbaren) und Netzauslastung umfassen.

Das erste Signal muss die Information über Engpässe im Stromnetz enthalten. Vergleichsweise einfache mögliche Ansätze liegen vor (Zapf 2024).

Das zweite Signal muss die aktuell regional benötigte fossile Residuallast anzeigen, um danach Erzeugungsanlagen vor Ort treibhausgasarm betreiben zu können. Ein Signal dieser Art ist der bereits verfügbare regionale Grünstromindex.

Beide Signale lassen sich zu einem Signal, idealerweise zu einem Preissignal, miteinander verrechnen. Solange nur Wenige auf ein solches Signal reagieren, reichen Signale wie der Grünstromindex, die sich stündlich ändern. Am Ende der Entwicklung muss das Signal im Bereich von Sekunden zur Verfügung stehen, um überschießende Reaktionen vieler Akteure zu vermeiden. Wie eine Umsetzung in sekündlicher Auflösung erfolgen kann, zeigt das Projekt InterConnect (Walter et al. 2024).

Letztlich müssen die Regeln des Strommarktes der Zukunft abgestimmt werden auf den Instrumentenmix aus CO2-Bepreisung, Förderung von Transformation und ordnungsrechtlichen Vorgaben. Planbare hohe CO2-Preise sind notwendig, um dauerhafte Investitionen in z.B. H2-Elektrolyse und Speicherkraftwerke zu refinanzieren. Die Förderung unterstützt ihre Marktintegration, und das Ordnungsrecht gibt unflexiblen nicht regenerativen Technologien Auslaufpfade vor.

Eine effiziente Elektrifizierung kann nur gelingen, wenn die Politik mit einer modernen, grundlegenden Reform des Strommarktes (inkl. Netzentgeltreform) die geeigneten Anreize setzt, die sowohl auf der Angebots- wie auch der Nachfrageseite Flexibilitäten erzeugen, die Erzeugungskapazitäten und Netzausbau einsparen helfen.

Energiekunden sollten zukünftig ertüchtigt werden, ihr eigenes Energiemanagement leisten zu können. Neben den Kosten der Energieerzeugung sollte das Ziel auch die Minimierung der realen Kosten für Transport, Netzstabilisierung und Emissionen (Vollkosten) zur Versorgung des jeweiligen Verbrauchsorts sein.

Statt einem kombinierten Kapazitätsmarkt braucht es einfache, transparent nachvollziehbare und planbare Anreize für einen Flexibilitätsmarkt vor Ort, der auch den Aufwand für den Transport von Energie verursachergerecht refinanziert – und zwar abgestimmt auf planbare CO2-Preise.

Lokale Strompreise sind dafür ein sehr geeignetes Instrument. Sie unterstützen Planer und Projektentwickler dabei Flexibilitätsmaßnahmen auf der Erzeuger- und der Verbraucherseite auch betriebswirtschaftlich gegenüber den Investoren begründen zu können.

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