Der deutsche Atomausstieg hat sich letzten Monat gejährt – ein guter Anlass, auf den aktuellen Stand der Energiewende zu gucken.
Dass der Atomausstieg eine gute Entscheidung war und bleibt, liegt auf der Hand: Strom aus Atomkraft ist teuer, keineswegs klimaneutral, unflexibel, krisenanfällig, umweltschädlich und schafft neue Abhängigkeiten. Der Ausstieg spart uns eine Menge Subventionen (die französischen Atomunternehmen hatten 70 Milliarden Euro an Schulden, die durch den Staat aufgefangen werden mussteni) und hat laut Bundesnetzagentur die Strompreise nicht beeinflusstii. Weder ein Weiterbetrieb noch ein Neubau von Atomkraftwerken ist wirtschaftlich oder ökologisch sinnvoll – selbst die Betreiber haben daran kein Interesseiii. Auch EU-weit wäre ein mittelfristiger Atomausstieg sinnvoll. Der NGO-Zusammenschluss „European Environmental Bureau“ (EEB) beschreibt die Situation so: „Die bestehende Nuklearflotte kann zusammen mit den fossilen Brennstoffen aus dem Betrieb genommen werden, wobei die EU-Länder den Übergang zu einem drastisch effizienteren Energiesystem vollziehen“iv. Dieses „drastisch effizientere Energiesystem“ beruht natürlich auf erneuerbaren Energien (EE), Speichern und Flexibilisierung.
Wo stehen wir in der Energiewende?
Fragt man die Bundesregierung, läuft alles super: Letztes Jahr machten Erneuerbare das erste Mal über die Hälfte des deutschen Strommixes aus, und die Zielwerte der jährlichen gesamten Emissionsminderungen wurden übererfülltv.
Das alles stimmt zwar, beweist aber noch nicht, dass wir inzwischen ausreichenden Klimaschutz betreiben. Die relativ hohen CO2-Einsparungen wurden nicht vorwiegend durch eine gute Klimaschutzpolitik erreicht: Nur rund 15% der Emissionsminderungen sind langfristig gesichertvi. Der Rest ist auf andere Faktoren zurückzuführen. V.a. in der Industrievii, aber auch in anderen Bereichen gab es konjunkturbedingt eine geringere Energienachfrageviii. Damit sank der deutsche Strombedarf deutlich und erreichte den tiefsten Punkt seit 30 Jahrenix. Diese geringe Stromnachfrage ermöglichte auch erst den hohen Anteil der EE am Strommix. Das heißt auch, dass mit einer wirtschaftlichen Erholung der CO2-Ausstoß erstmal wieder steigen wird.
Die Prognosen, die einer Übererfüllung der Kilmaziele für 2030 vorhersagen, lesen sich laut Spiegel eher wie ein best-case-Szenariox, in dem alle (auch bisher nicht erprobte) Instrumente wirken wie geplant, in dem Förderungen einkalkuliert sind, die eigentlich schon ausgelaufen sindx, etc. Dazu kommen noch die jetzt abgeschafften Sektorziele des Klimaschutzgesetzes, die es den Problemkind-Sektoren Verkehr und Gebäude ermöglichen, Maßnahmen weiter aufzuschieben, die später unwahrscheinlicher greifen werden.
Alles in allem ist das mit dem Klimaschutz also durchmischt. Wie sieht es denn mit den einzelnen Maßnahmen im Energiesektor aus?
Ausbau der erneuerbaren Energien (EE)
Die Bundesregierung sagt selbst, dass sich die Ausbaugeschwindigkeit der EE verdreifachen muss, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollenxi. Entsprechend hat der Photovoltaik-Ausbau (14,4 GW in 2023) den bisherigen Rekord aus 2012 deutlich geknacktviii. Das kam teils durch gesetzliche Vereinfachungenxii – darunter welche zu Balkonsolarkraftwerken, wofür wir uns gemeinsam mit anderen erfolgreich stark gemacht haben (siehe https://klimaschutz-im-bundestag.de/balkonsolar/).
Anders sieht es aus bei der Windkraft: hier bleibt der Ausbau (2,9 GW Windkraft an Land in 2023) deutlich hinter dem benötigten Ausbau zurückviii. Immerhin: die Menge der Genehmigungen stieg um 75% gegenüber dem Vorjahr (jedoch nur 9% davon im Süden, wo sie dringend benötigt würdenxii). Im Bereich der Biomasse fehlt noch immer die klare Strategie, die eigentlich schon letzten Sommer hätte fertig sein sollen. Bisher wurde aber nur ein Entwurf aus dem Herbst geleaktxiii und seitdem gab es keine Neuigkeiten mehr dazu (unsere Position dazu finden Sie hier). Dafür wurde im Dezember eine Stromspeicher-Strategie des BMWK vorgelegt, die den Bau von (Groß-)Stromspeichern erleichtern sollxiv. Einige Großspeicherprojekte laufen langsam an, aber auch hier bleibt noch viel zu tun: Laut dem Fraunhofer ISE muss die Batteriespeicherkapazität bis 2030 fast ver-200-facht werdenxv. Auch das Stromnetz muss für ein erneuerbares und effektives Stromsystem dringend ausgebaut und weiterentwickelt werden.
Für all das fallen natürlich Kosten an. Vertreter der IHK beschwerte sich im März über die hohen Strom- und Gaspreise in Deutschland, für die Unternehmen verstärkt durch den Wegfall des geplanten Stromnetzentgeltzuschusses und die Abschaffung des Spitzenausgleichs bei Gaslieferungen. Die resultierende Forderung: eine schnelle Ausweitung des Stromangebots und eine Beteiligung des Bunds an den Kosten für den Stromnetzausbauxvi. Tatsächlich zahlen Verbraucher*innen in Deutschland den höchsten Strompreis in Europa, was größtenteils durch Netzentgelte und Abgaben bedingt istxvii. Atomkraft könnte hier aufgrund der hohen Kosten sowie der Verstopfung der Netze für Erneuerbare aufgrund von Inflexibilität übrigens auch nicht weiterhelfen.
Umgestaltung des Stromsystems
Abgesehen von einem konsequenten Ausbau von EE, Stromnetz und Speichern müssen wir auch über eine Anpassung des Strommarkts reden. Aktuell bezahlen Endverbraucher*innen immer gleich viel für den Strom, unabhängig davon, wann und wo sie ihn verbrauchen. Das suggeriert, dass die Verfügbarkeit konstant ist (früher war sie das vielleicht) und dass es beim „Transport“ von Strom keine Verluste und Netzengpässe gibt („Kupferplatte Deutschland“). Bei jeder anderen Ressource würde das als marktwirtschaftlicher Unsinn abgetan – wer nah an eine Ressource verbraucht, bezahlt weniger und wer dann kauft, wenn es weniger Nachfrage gibt, bezahlt auch weniger. Das lässt sich auch im Strommarkt umsetzen mit örtlich und zeitlich flexiblen Strompreisen und Netzentgeltexviii. Laut Agora Energiewende lassen sich so bis 2035 jährlich 100 TWh flexibilisieren und 4,8 Milliarden Euro einsparenviii. Erste Schritte sind hier schon getan: Mit dem Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende vom Mai 2023 sind alle Stromlieferanten ab 2025 dazu verpflichtet, auch Tarife anzubieten, die sich an den kurzfristigen Großhandelspreisen orientieren; außerdem hat der Smart-Meter-Rollout in Deutschland endlich angefangenviii. Trotzdem hinken wir im internationalen Vergleich stark hinterher: „Während etwa die Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten bereits die 80 Prozent-Schwelle der Verfügbarkeit von Smart Metern bei Endkonsumenten erreicht hat, liegt die Verbreitung in Deutschland bei lediglich einem Prozent“viii.
Ausblick
Insgesamt gehen wir bei der Energiewende also schon in die richtige Richtung – nur eben deutlich zu langsam. Dass es schneller geht, wird nicht von allein kommen – es braucht weiterhin eine aktive Zivligesellschaft aus NGOs, Institutionen, sozialen Bewegungen und Einzelpersonen, die sich dafür einsetzen. Die Gegner*innen der Energiewende versuchen oft, die wahrgenommene Akzeptanz für entsprechende Maßnahmen kleinzuhalten. Daher müssen wir immer wieder die bestehende breite gesellschaftliche Unterstützung für mehr Klimaschutz sichtbar machen. Die zentrale Frage in der Energiewende ist für die allermeisten nämlich nicht das ”ob” sondern das ”wie”xix. More in Common hat dazu im Februar viele Menschen vor allem im Osten gefragt und entsprechende Empfehlungen für eine verbindende Energiewende entwickelt – Erstens muss das Vertrauen gestärkt werden, indem der Staat solide Rahmenbedingungen schafft, indem diversere Perspektiven in die Debatte eingebracht werden und indem (lokale) Vertrauensleute wie z.B. Klempner eingebunden und überzeugt werden (für die kommunale sektor- und spartenübergreifende Energieleitplanung haben wir genau dazu ein Projekt: https://klimaschutz-im-bundestag.de/ksse/). Zweitens braucht es die Möglichkeit für regionales Ownership – z.B. durch Optionen wie Balkonkraftwerke, Bürger*innengenossenschaften oder einfach gute und aufsuchende Beteiligungsprozesse. Gleichzeitig wünschen sich die Menschen klare Regeln – nur eben begleitet durch ermöglichende und unterstützende Maßnahmen. Drittens braucht es mehr Attraktivität der Maßnahmen durch ein sehr klares, positives Zukunftsbild, Bezahlbarkeit sowie eine Anerkennung von Problemen statt eines Schönredens.
Zum Abschluss ein Zitat und Apell aus dem entsprechenden Impulspapier von more in commonxix:
“Allen demokratischen Akteuren sei gesagt, dass sie angesichts dieses Gestaltungs-Imperativs langfristig die Menschen nur dann überzeugen können, wenn sie allesamt starke programmatische Entwürfe entwickeln und die Klima- bzw. Energiepolitik nicht als isolierten „Zankapfel“, sondern als Querschnittsthema verstehen, das in einer größeren Erfolgs- und Zukunftsgeschichte für unser Land Platz finden muss. Schließlich ist das Thema perfekt anschlussfähig an Fragen der Daseinsvorsorge und Infrastruktur, der wirtschaftlichen Entwicklung, der sozialen Gerechtigkeit, der öffentlichen Gesundheit und vieler anderer Aspekte. Die Menschen wollen gute Vorschläge und gute Lösungen. Sie sind in ihrer Mehrzahl keine Gegnerinnen, sondern Bündnispartner (in spe) eines ganzheitlich durchdachten Klimaschutzes. Wer sie überzeugen kann, stärkt den Zusammenhalt. Und damit überdies auch noch die Demokratie im Ganzen” (Seite 14).
Quellen
[i] https://www.zeit.de/wirtschaft/2024-03/atomkraft-frankreich-energieversorgung-strompreise-subventionen
[ii] https://www.zeit.de/2023/47/atomenergie-strommarkt-strompreise-import-energiewende
[iii] https://www.ardaudiothek.de/episode/hintergrund-deutschlandfunk/atomkraft-in-deutschland-eine-rueckkehr-scheint-kaum-denkbar/deutschlandfunk/13268989/
[iv] https://www.cleanenergywire.org/factsheets/qa-germanys-nuclear-exit-one-year-after
[v] https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/faq-energiewende-2067498
[vi] https://www.agora-energiewende.de/fileadmin/Projekte/2023/2023-35_DE_JAW23/A-EW_317_JAW23_WEB.pdf
[vii] https://www.spiegel.de/wissenschaft/umweltbundesamt-klimaplan-2023-ueberfuellt-schwache-konjunktur-als-grund-fuer-erfolg-a-16194290-60e2-4c55-93d4-73f31ba59599
[viii] https://www.agora-energiewende.de/publikationen/die-energiewende-in-deutschland-stand-der-dinge-2023#c709
[ix] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/164149/umfrage/netto-stromverbrauch-in-deutschland-seit-1999/
[x] https://www.spiegel.de/wissenschaft/umweltbundesamt-klimaplan-2023-ueberfuellt-schwache-konjunktur-als-grund-fuer-erfolg-a-16194290-60e2-4c55-93d4-73f31ba59599
[xi] https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/faq-energiewende-2067498
[xii] https://www.fachagentur-windenergie.de/veroeffentlichungen/ausbauentwicklung/genehmigungen/
[xiii] https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/entwurf-der-biomassestrategie-birgt-grosses-konfliktpotenzial
[xiv] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/stromspeicherstrategie-231208.pdf?__blob=publicationFile&v=6
[xv] https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/energie/rekordverdaechtig-deutschland-plant-riesige-batteriegrossspeicher/
[xvi] https://background.tagesspiegel.de/energie-klima/mit-dem-ende-der-ermaessigten-mehrwertsteuer-wird-gas-teurer
[xvii] https://www.rnd.de/politik/strompreise-sind-in-deutschland-im-europa-vergleich-am-hoechsten-GNCWJG7HVVHKHKPU5N6DINDY5E.html
[xviii] https://klimaschutz-im-bundestag.de/massnahmen-pakete/verursachergerechte-lokale-strompreise/
[xix] https://www.moreincommon.de/energiewende/