Die aktuelle Publikation von Stay Grounded (in Kooperation mit Robin Wood) zum Thema Klimagerechtigkeit und Flugverkehr gibt einen guten Überblick über die Faktenlage und praktische Ratschläge, wie man gegen Greenwashing effektiv und kreativ vorgehen kann.
Wenn man die Emissionen des gesamten Flugverkehrs mit denen der größten Industrienationen vergleicht, wird schnell klar wie massiv das Problem ist. Sie schlagen mit 1 Gt CO2e zu Buche (Klöwer 2021). Das ist etwas weniger als die territorialen Emissionen Japans (1,149 Gt CO2e , Reuters 2021), aber mehr als die territorialen Emissionen Deutschlands (0,762 Gt CO2e, UBA 2022). Da die Emissionen in großer Höhe ausgestoßen werden und darüber hinaus das Entstehen von Cirruswolken begünstigen, die kaum Sonne reflektieren, aber die Wärmeabstrahlung absorbieren, ist die Klimawirkung des Flugverkehrs deutliche höher und wird auf 4% geschätzt (Klöwer 2021) – andere Quellen gehen sogar von bis zu 5,9% aus (Stay Grounded 2020).
Neben der Klimaproblematik spielen auch die Lärmemissionen eine entscheidende Rolle. Allein in der Nähe der größten europäischen Flughäfen sind 3,2 Mio Menschen davon betroffen – 1,4 Mio Menschen leiden deswegen unter Schlafstörungen (EASA) . Die gesundheitlichen Implikationen sind gravierend und vielfältig: Epidemiologisch kann eine Häufung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen, Bluthochdruck und sogar Demenz nachgewiesen werden (Correia 2013, Weuve 2020, Beutel 2020). Eine weitere Studie fand heraus, dass Fluglärm zu Entwicklungsverzögerungen bei Kindern führen kann (Stansfeld et al. 2015).
Während die Leidtragenden vor allem Menschen aus benachteiligten sozial-ökonomischen Verhältnissen sind (leben in der Nähe von Flughäfen oder im Globalen Süden und sind von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen), zählen die Verursachenden meist zu den Top-Verdienenden aus dem Globalen Norden. Es wird geschätzt, dass 1% der Menschheit für 50% des gesamten Flugaufkommens verantwortlich ist (Gössling 2020). 80% der Menschheit hat noch nie ein Flugzeug betreten (CNBC 2017). Dieses Transportmittel ist also vor allem ein Spielzeug für Reiche, während der Rest der Gesellschaft mit den negativen Auswirkungen zurechtkommen muss.
Global gesehen ist der Flugverkehr eine riesige Industrie: Allein mit dem Passagierverkehr haben die Airlines 2019 607 Mrd USD umgesetzt (Statista 2022). Das erklärt zu Teilen die starke Lobbyposition der Luftfahrtindustrie, die dazu führt, dass der Sektor trotz der massiven Externalitäten für die Gesellschaft weiter auf Expansionskurs ist. Für die kommenden Jahre sind 423 neue Flughäfen geplant, davon entfallen allein 216 auf China (Stay Grounded, Airport Technology 2018). Die Lobby hat sich außerdem vielfältige Steuerprivilegien erkämpft. Am eklatantesten wird das an der Steuerbefreiung von Kerosin sichtbar – eine extrem klimaschädliche (indirekte) Subvention. Aber auch die Mehrwertsteuerbefreiung von internationalen Flügen stellt eine unverhältnismäßige Bevorzugung dieses Transportmittels dar (vlg. Maßnahmenpaket 9).
Aber nur weil die Flugindustrie heute zu massiven Schäden bei Mensch und Natur sorgt, muss das in Zukunft nicht so bleiben, oder? Das ist das berühmte Narrativ, dass Airlines, Flugzeughersteller und teilweise auch Politiker*innen und Wissenschaftler*innen bemühen, um diese Industrie künstlich am Leben zu halten. Neben neuen Flugzeugen, die deutlich weniger CO2 emittieren und deutlich leiser sein sollen, wird vor allem über die CO2-neutralen Kraftstoffe argumentiert. Das Problem ist nur, dass es diese Kraftstoffe nicht gibt. Und auch wenn die Produktion von E-Fuels, in den nächsten Jahren zunehmen sollte, sind sie schon jetzt doppelt und dreifach vergeben. Es muss klar sein, dass diese Kraftstoffe auf absehbare Zeit ein knappes Gut sein werden und priorisiert werden muss, in welchen Bereichen sie zuerst eingesetzt werden. Dazu zählen Anwendungen, die die Primärbedürfnisse der Menschen abdecken, u.a. in der Landwirtschaft, der Wärme und der Chemie. In der Abbildung unten sieht man, dass die Flugindustrie in der Vergangenheit schon mehrfach versprochen hat die Emissionen durch den Einsatz von E- bzw. Biofuels drastisch zu senken. Man sieht das Anspruch und Realität weit auseinander klaffen. In Anbetracht der geringen Zeit, die uns bei der Abwendung der Klimakrise noch bleibt, ist es ausgeschlossen, dass die Flugindustrie in dem heutigen Umfang weiter existiert.
Durch die coronabedingte Krise im Flugverkehr bestand ein Handlungsfenster, das von der Regierung nur unzureichende genutzt wurde. Lufthansa wurde mit mit einem Rettungspaket, das Anleihen, Sicherheiten und Anteile i.H.v. 9 Mrd euro umfasste, vor der Insolvenz bewahrt (tagesschau 2021). Der Staat ist in Folge dessen mit 14% größter Anteilseigner. Dieser Einfluss müsste genutzt werden, um den Konzern langfristig stark zu schrumpfen. Warum? Wie wir oben gesehen haben gibt es keine klimafreundliche Luftfahrtindustrie. Im Zuge der sozial-ökologischen Transformation müssen umweltschädliche Industrien herunter- und transformationsdienliche Sektoren hochgefahren werden. Dies gelingt nur, wenn in einem hohen Tempo den Arbeitnehmer*innen der Ausstieg aus einem klimaschädlichen und der Einstieg in einen klimafreundlichen Sektor ermöglicht wird. Naheliegend wäre der Wechsel zur Bahn oder zu den Betrieben des ÖPNV, aber auch der Bau-, Sanierungs-, Energie-, Wärme-, Handwerks- und Landwirtschaftssektor sind händeringend auf der Suche nach neuen Arbeitskräften. Darüber hinaus hätte die Regierung Auflagen ähnlich wie in Frankreich erlassen können, wo die Regierung Air France dazu verpflichtet hat innerfranzösische Flüge bis 2024 um 50% zu reduzieren (Taz 2020).
Ein weiteres Problem ist die fehlende Rechenschaft für die Emissionen von internationalen Flügen. Laut dem Pariser Klimaabkommen sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, alle relevanten Treibhausgasemissionen zu melden. Trotzdem gehen in die deutsche Emissionsbilanz nur die nationalen Flüge ein. Diese machen jedoch nur 7% (2,2 Mt CO2e) der Gesamtemissionen (32,2 Mt CO2e) im deutschen Flugverkehr aus (Transport and Environment 2022). Die Kontrolle und Regulierung hier vorrangig internationalen Verbänden zu überlassen, die weder demokratisch legitimiert sind noch ein Interesse haben den Flugsektor zu verkleinern, ist eine fragwürdige Strategie.
Hier geht es zum „Kurswechsel Klimagerechtigkeit: Ein Klimakommunikations-Handbuch für eine sichere Landung des Flugverkehrs und einen gerechten Planeten“ von Stay Grounded (Projektpartnerin für die deutsche Version: Robin Wood).