Vom Straßen- zum Lebensraum – Straße kann mehr als Auto

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Zur Bedeutung des „Ruhenden Verkehrs“

Der Verkehr ist ein Klimaschwergewicht – und gerade hier herrscht seit Jahren Stillstand. Denn die Emissionen, die wir mit unseren Autos und LKWs ausstoßen, sind heute nahezu genauso hoch wie noch 1990. Und das, obwohl die Motoren, die sie antreiben, immer effizienter werden. Grund ist: Wir fahren mehr, weiter und in schwereren Autos. Zur Arbeit, zum Einkaufszentrum und in den Urlaub. Unsere Innenstädte sind am PKW-Verkehr ausgerichtet. Autos nehmen zu viel Platz in Anspruch. Platz, den wir für Fahrradwege, ausgereifte Carsharing-Angebote und den öffentlichen Personennahverkehr benötigen. Oder den wir in Raum für Begegnung, Freizeit und  Grünflächen verwandeln könnten.


Als Mitglied des 20. Bundestages werde ich folgende Gesetzesinitiativen zum Klimaschutz einbringen oder unterstützen, durch die

  1. die „wahren“ Kosten der PKW-Stellplätze verursachergerecht umgelegt werden, damit öffentlicher Raum nicht mehr selbstverständlich und vorrangig ohne Gegenleistung für das Auto reserviert bleibt, wie es aktuell etwa durch kostenlose oder zu günstige Parkplätze in dicht besiedelten Städten geschieht,
  2. in den Städten die Wege zu wichtigen Infrastrukturen deutlich kürzer werden als heute,
  3. Städte und ihr Umland durch öffentlichen Verkehr (ÖV) und Radschnellwege besser verknüpft sind,
  4. Stadtautos der Zukunft klein sind, leise und elektrisch fahren und von mehreren Personen geteilt werden,
  5. Ruftaxis und -busse den öffentlichen Verkehr ergänzen (UBA 2017, UBA 2018),
  6. und sich dadurch die Funktionsvielfalt des öffentlichen Straßenraums als Aufenthaltsraum deutlich erhöht.

Hintergrund: Beschreibung der Vorschläge im Detail

Schon bei der Wahl des Wohnstandortes spielen Art und Umfang der Mobilitätsangebote vor Ort eine entscheidende Rolle. Zu Hause beginnen oder enden die meisten Alltagswege, und Entscheidungen über die Wahl des geeigneten Verkehrsmittels werden jeden Tag aufs Neue getroffen. Dies sind gute Gründe, dem Thema „Wohnen + Mobilität“ und damit dem ruhenden Verkehr bei der Normung und Planung besondere Aufmerksamkeit zu schenken.

PKW in Privatbesitz sind eher Steh- als Fahrzeuge, denn sie parken durchschnittlich 23 Stunden und fahren 36 km am Tag. Damit blockieren sie gerade in den Städten wertvolle Flächen.

Am 1.1.2021 sind rund 59 Millionen motorisierte KFZ in Deutschland zugelassen, davon 48 Mio. PKWs (Kraftfahrbundesamt 2020). Bei 83,2 Millionen Einwohner ergibt sich daraus eine PKW-Dichte von rund 580 PKW pro 1000 Einwohner, allerdings mit großen regionalen Unterschieden (destatis 2020). Besonders hohe Steigerungsraten in Bezug auf die Anzahl der zugelassenen PKW hatten größere Fahrzeuge, wie Wohnmobile mit +14,5 %, gefolgt von SUV mit +14,1 % und Geländewagen mit +6,9 %.

Immer mehr und immer größere Autos füllen den begrenzten Straßenraum (UBA 2020). Die negativen Folgen sind nicht mehr zu übersehen: Tägliche Staus, Falschparken auf Gehwegen, Radwegen und in Kreuzungsbereichen, minimale Fußwegbereiche und Gefährdung des Radverkehrs. Der innerörtliche ÖV wird langsamer und unzuverlässiger und die Straßen haben ihre Aufenthaltsqualität großenteils verloren. Eine Recherche der Correctivredaktion macht am Beispiel des Ruhrgebietes klar, worum es beim Stadtumbau im Sinne der Verkehrswende gehen muss (Die Verkehrswende im Ruhrgebiet).

Die entscheidende Frage ist: Bedeutet Wohlstand, dass auch zukünftig nahezu jeder 50-jährige ein eigenes Auto besitzen muss, um Arbeitsplätze und das Bruttoinlandsprodukt zu sichern? Ist Wohlstand, dass vor der Haustür ein Auto steht, für das Frau viele Stunden arbeiten und sich um Reifen- und Ölwechsel kümmern muss? Den wenigsten PKW-Besitzern ist klar, dass sich die monatlichen Vollkosten für Wertverlust, Betriebskosten, Steuern, Versicherung und Werkstattkosten eines PKW in der Golfklasse laut ADAC-Autokostenrechner auf mehr als 500 Euro pro Monat belaufen.

Oder kann Wohlstand auch bedeuten, zur Carsharing-Station einige Meter durch stellplatzarme zum Verweilen einladende Stadtlandschaften zu laufen, wenn man ein Auto wirklich braucht?

Und ist es nicht Wohlstand, wenn der eigene Kiez (Stadtteil) so organisiert ist, dass alle alltäglichen Besorgungen zu Fuß oder mit dem Fahrrad erledigt werden können und die eigenen Kinder zusammen mit den Nachbarskindern sicher zur nächsten Kita oder Schule kommen? Solche Szenarien zeigen, wie motorisierter Individualverkehrs verringert werden kann mit vielen positiven Synergien für die Lebensqualität. Die Umstellung von derzeit 58 Millionen motorisierten Kraftfahrzeugen in Deutschland auf Strom, Grünen Wasserstoff oder E-Fuels ist dagegen kaum realistisch und für viele auch keine wünschenswerte Option.

(1)  Nachweispflicht für einen PKW-Stellplatz an den Besitz eines PKW knüpfen

Mit der Reichsgaragenordnung des Jahres 1939! („Die Förderung der Motorisierung ist das vom Führer und Reichskanzler gewiesene Ziel.“) sollte sichergestellt werden, dass bei jedem Wohnhaus für potenzielle Fahrzeughalter Stellplätze zur Verfügung gestellt werden. Pro Wohneinheit wurde bereits damals die Errichtung eines Garagenplatzes gefordert. Hintergrund war die Einführung des Volkswagens. Die Kopplung des Stellplatzes an den Bau einer Wohnung war ein Schlüssel zur autogerechten Stadt in Deutschland. Noch immer ist in vielen Bauordnungen die Bindung des Baus eines Stellplatzes an den Bau einer Wohnung gebunden. In Städten in denen diese Bindung aufgehoben wurde wie z.B. in Berlin oder nie bestand, wie in Basel, ist die PKW Dichte geringer als anderswo. Eine Nachweispflicht für einen PKW-Stellplatz sollte deshalb an die Nutzung bzw. den Besitz eines PKWs geknüpft werden.

(2)  Wahre Kosten von Stellplätzen verursachergerecht umlegen

Die aktuelle Gerechtigkeitslücke ist nicht nur beim ruhenden Verkehr groß (UBA 2020), auch PKW-Stellplätze und damit das eigene Auto, werden bisher von denjenigen mitfinanziert, die entweder kein eigenes Auto haben wollen oder sich ein solches nicht leisten können.

Ca. 30 – 50% der Haushalte in städtischen Wohngebieten besitzen kein eigenes Auto, müssen jedoch entweder über Wohnungsmieten oder beim Kauf einer Wohnung und durch Steuern die grundstückseigene und öffentliche Infrastruktur zum Parken von Autos (Tiefgarage oder offene Stellplätze) mitfinanzieren. Mit der Bewirtschaftung von öffentlichen wie privaten Stellplätzen lässt sich das ändern. Jeder, der ein Auto nutzt, soll zukünftig auch die entsprechenden Stellplatzkosten tragen. Je nach Quelle werden für Parkflächen im öffentlichen Raum für die Unterhaltung zwischen 50 und 500 Euro pro Jahr und für Herstellungskosten 1.500 bis. 5.000 Euro (ebenerdige Stellplätze) angesetzt.

Gegen das „Stehfahrzeug“ (PKW) könnte unter anderem die Änderung des §12 der Straßenverkehrsordnung (StVO) helfen, indem sie das Halten und Parken von Kraftfahrzeugen grundsätzlich nur erlaubt, wenn dafür ausgewiesenen Flächen bereitgestellt werden

Die Parkgebühren könnten für die Inanspruchnahme des öffentlichen Raums auf das Niveau angehoben werden, das wir für Mieten veranschlagen. Bei einem Parkplatz mit durchschnittlich 25m2 mit Erschließung (13,5 m2 ohne Zufahrt) wären das bei einer Miete von 10 €/m2 und Monat 3.000 € (bzw. 1620 €) pro Jahr. Bisher werden für das Anwohnerparken vielerorts gerade mal 30 € pro Jahr verlangt. In der Diskussion steht eine Änderung der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) und in vielen Städten wird derzeit eine Erhöhung auf etwa 300 € pro Jahr für angemessen angesehen. Zum Vergleich: In Stockholm zahlen Anwohner bereits heute 827 € pro Jahr und in Amsterdam 535 € pro Jahr. Zudem reduziert Amsterdam bis 2025 die Zahl der Parkerlaubnisse für Anwohner*innen um jährlich 1.500 pro Jahr stadtweit seit dem 1.1.2019. Zudem wurden die Parkgebühren in Amsterdam für all jene ohne Anwohnerparkausweis erhöht. Sie stiegen im Zentrumsbereich von 5,00 Euro auf 7,50 Euro pro Stunde.

Eine aktuelle Bilanz der Umweltschadenskosten der verschiedenen Stellplätze (ebenerdig, oberirdisches Parkhaus, unterirdische Parkgarage) fehlt bislang. In eine solche Kostenbilanz müssten z.B. auch die Kosten einfließen, die im Zusammenhang mit dem Parken stehen. Nach einer Studie der Unfallforschung der Versicherer (UDV 2020) „steht fast jeder fünfte innerörtliche Unfall mit Personenschaden im Fußgänger- und Radverkehr im Zusammenhang mit dem Parken. Sogenannte Dooring-Unfälle und Unfälle mit Sichtbehinderungen durch parkende Fahrzeuge geschehen danach besonders häufig.“

(3) Die Funktionsvielfalt des öffentlichen Straßenraums erhöhen

Der Straßenraum ist nach wie vor weithin durch das Nutzungsprivileg des Autoverkehrs geprägt. So darf der „fließende Verkehr“ bisher nur beschränkt werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht. Dies erschwert die Einrichtung z.B. dringend benötigter Fahrradwege massiv. Zukünftig muss es möglich sein, dass Kommunen auch klimaschonenderen Verkehrsarten einen Vorrang einräumen können und Straßenraum auch (temporär) für nicht-verkehrliche Nutzungszwecke (z.B. Verkaufen, Essen und Trinken, Spielen) umgewidmet werden kann. Die Rückgewinnung des Straßenraums für mehr als nur den KFZ-Verkehr ist eine Voraussetzung für eine veränderte Mobilität und mehr Lebensqualität in unseren Städten und Dörfern.

Erwartete Wirkungen auf Emissionen, Arbeitsmarkt und Finanzen

Mit jedem Stellplatz weniger werden Fahrzeuge effizienter genutzt. Kosten und Emissionen für die Herstellung entfallen. Mit jedem heute produzierten batterieelektrischen PKW (PEV) weniger werden zwischen 10-25 t CO2e Emissionen für die Produktion einspart (vgl. VDI 2020, BMU 2019, UPI 2019, ISI 2019, Agora/IFEU 2019). Mit jedem weniger gefahrenen PKW-Kilometer sind es bei heutigem Strommix von ca. 400g/kWh etwa zwischen 60 und 120 g CO2e/km (ADAC 2021). Heute erfordert jeder mehr gefahrene Kilometer in der Regel noch die zusätzliche Stromerzeugung durch ein fossiles Kraftwerk mit durchschnittlich etwa 750 g/kWh.

Wieviel Emissionen durch die Verlagerung des Verkehrs von der Nutzung von Benzin- und Diesel-Fahrzeugen auf das Fahrrad eingespart werden können, hat das Forschungszentrum Jülich im Rahmen eines Förderaufrufs überschlägig berechnet (PtJ 2020).

Dass sich mehr Fuß- und Radverkehr in den Innenstädten positiv auf den Einzelhandel und damit auf Arbeitsplätze auswirken, ergeben Untersuchungen aus London (Transport for London, Stadtwandler 2020). Die möglichen Effekte der Verkehrswende mit weniger Autos auf die Beschäftigung in Deutschland finden sich in Sievers et al. 2019 und Schade et al. 2020 (vgl. MP 7).


Vorschläge für die rechtliche Umsetzung

Die Zielrichtung der Straßengesetze der Länder, jedweden Verkehrsbedarf zu bewältigen, stehen im Widerspruch zu den Zielen Verringerung und Verminderung von Verkehr (§ 1 Abs. 6 Nr. 9 BauG) und des Klimaschutzes (§ 1a Abs. 5 BauG) im Baugesetzbuch.

Das bisherige Verkehrsrecht und damit die Verkehrsplanung orientiert sich noch immer am (Flächen)-bedarf des fließenden motorisierten Individualverkehrs. Sowohl im Straßenverkehrsrecht als auch in den Straßengesetzen der Länder sowie den Landesbauordnungen sollte der begrenzte Stadtraum mit Vorrang denjenigen Verkehrsarten zur Verfügung stehen, die mit weniger Raumbedarf, Umwelt- und Umfeldbelastungen (Lärm, Emissionen) sowie mit weniger Sicherheitsgefahren verbunden sind (UBA 2020).

(1)    Aufgabe der grundsätzlichen Beschränkung des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) auf Belange der Sicherheit und Ordnung. Aufnahme von Zielen wie dem Schutz von Anwohnern, des Klima- und Umweltschutzes sowie der städtebaulichen Entwicklung. Integration der Gesetze zur Bevorrechtigung der Verwendung elektrisch betriebener Fahrzeuge (EMogG) und des Carsharinggesetzes – (CsgG).

(2)   Aufgabe der Straßenbaulast, die bei Zunahme des flächenzehrenden KFZ-Verkehrs die Träger der Baulast üblicherweise dazu zwingen, Straßen für den Autoverkehr zu Lasten anderer Nutzungen auszubauen. Die Baulastvorschriften sind an einer gemeinwohlverträglichen Verkehrsent­wicklung auszurichten.

(3)   Aufgabe der Alleinzuständigkeit des Bundesverkehrsministeriums für die Straßenverkehrs­ordnung (StVO)

(4)   Umfassende Öffnung der Möglichkeiten zur Parkraumbegrenzung und Parkraumbewirtschaftung als Regelfall (Agora Verkehrswende 2018)

(5)   Bemessung der Parkgebühren am wirtschaftlichen Wert des Parkens (§ 6a Abs. 6 StVG)

(6)   Änderung des §12 der Straßenverkehrsordnung (StVO): Halten und Parken von Kraftfahrzeugen wird grundsätzlich verboten und ausdrücklich nur dafür ausgewiesenen Flächen erlaubt.

(7)   Internalisierung externer Kosten in die Parkgebühren durch Anpassung der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt)

(8)   Verschärfung von Sanktionen beim Falschparken: Verwarnungsgelder liegen für viele Verstöße bei 10 bis 30 € so niedrig, dass sie von einem großen Teil der Autofahrenden nicht ernst genommen und angesichts der geringen Überwachungsdichte einkalkuliert werden.

(9)   Öffentliche Stellplätze für Carsharing

(10) Erlaubnispflicht für stationsunabhängiges Carsharing

(11)  Alle Landesbauordnungen ändern: Bindung des Nachweises eines PKW-Stellplatzes an den Besitz eines PKW.

(12) Abbau von ca. 5% der PKW-Stellplätze in den Städten pro Jahr. Damit stehen im Jahr 2030 im öffentlichen Raum eine Fläche von rund 50% der gegenwärtig bereitgestellten Stellplätze für eine alternative Nutzung (Bäume, Gärtnern in der Stadt, Aufenthaltsräume, Fahrrad u.v.m.) zur Verfügung.

(13) Erstzulassungssteuer mit Bonus-Malus-System (Ressourcenverbrauch, Energieverbrauch, Graue Energie, Fußabdruck) für den Kauf von Neufahrzeugen.

(14) Förderprogramm für automatische unterirdische Garagen mit ausgedehntem stationärem E-Carsharing-Angebot für z.B. die ersten 100 Quartiere, in denen sich die Hälfte der Bewohner*innen verpflichten, ihre eigenen PKW abzuschaffen.

(15) Rechtssicherheit für die organisierte Mitnahme in privaten PKWs (Mitfahrgelegenheiten / Vermittlungsplattformen)

(16) Förderung der Anschaffung von Bürgerbussen (§ 2 Abs. 6 PBefG)

(17) Verbesserung der Experimentierklausel zu innovativen neuen Verkehrsformen, wie Rideselling und Ridesharing (§ 2 Abs. 7 PBefG), vgl. MP 6

(18) Abschaffung des den fließenden Verkehr (und damit den MIV) bevorzugenden § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO („Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs dürfen nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.“)

(19) Ausdrückliche Möglichkeit der Widmung des Straßenraums auch für nicht-verkehrliche Nutzungszwecke (z.B. Musizieren, Theater, Spielen, Verkaufen, Essen und Trinken)

(20)       Ausdrückliche Möglichkeit für Kommunen, den Straßenraum auch klimaschonenderen Verkehrsarten den Vorrang einzuräumen bzw. widmen (Fahrradwege, gemischte Nutzungen sowohl für Aufenthalts- als auch für Verkehrszwecke usw.) und nicht nur aus Gründen der Verkehrssicherheit. Eine allgemeine Befugnis zur Beschränkung der zulässigen Verkehrsnutzungen zur Verfolgung öffentlicher Zwecke (Gemeinwohl) besteht bisher nicht. „Shared Space“ Projekte fördern

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