Umbau des Erdgasnetzes in ein „Grünes“ Wasserstoffnetz

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Umbau Erdgasnetz in ein „Grünes“ Wasserstoffnetz in Abstimmung mit Umbau und Neubau von Wärmenetzen

Wasserstoff gilt für einige als das Erdöl von Morgen. Das leichteste aller Elemente lässt sich durch Elektrolyse aus Wasser gewinnen, für den Prozess benötigt man Strom. Dann ist es vielfältig Einsetzbar: In der Industrie, etwa bei der Herstellung von Stahl, in Brennstoffzellen um Kraftfahrzeuge anzutreiben oder als Grundstoff für viele unterschiedliche Folgeprodukte wie etwa Ammoniak, Methanol oder auch Kunststoffe.

Grün nennt man Wasserstoff, wenn er aus Erneuerbaren Energien und damit Klimaneutral erzeugt wurde. Damit ist Wasserstoff auch ein geeigneter saisonaler Speicher für die Energie aus den fluktuierenden, erneuerbaren Energien.

Weil die Anwendungsmöglichkeiten von Wasserstoff so vielfältig sind, er aber nur begrenzt zur Verfügung steht, ist bis heute noch nicht klar, wofür und in welchen Mengen er zuerst eingesetzt werden soll. Grundsätzlich gilt: Weil die Erzeugung von Wasserstoff Energie verbraucht, ist es immer sinnvoller, den Strom aus den Erneuerbaren vorrangig direkt zu verwenden. Klar ist aber auch: Ohne Wasserstoff wird die Wende zur fossilfreien Energiewirtschaft nicht gelingen. Denn am Ende der Entwicklung muss fossiles Erdgas vollständig durch grünen Wasserstoff ersetzt werden, in den Erdgasleitungen und in den Wärmenetzen für unsere Gebäudeheizungen. Um den grünen Wasserstoff zu transportieren, müssen jetzt die Gasnetze umgebaut und ausgebaut werden, damit sie höhere Wasserstoffanteile aufnehmen können.


Als Mitglied des 20. Bundestages werde ich folgende Gesetzesinitiativen zum Klimaschutz einbringen oder unterstützen, durch die

  1. im Regulierungsrahmen eine längerfristige Nutzung von Erdgas ausgeschlossen wird bzw. das Erdgasnetz nicht zur längerfristigen Nutzung von fossilem Erdgas ausgebaut wird,
  2. die direkten Nutzung von Erneuerbaren Energien in Form von Strom und Wärme gegenüber der Wasserstofferzeugung den Vorrang behält,
  3. die Nutzung von grünem Wasserstoff in der Kraft-Wärme-Kopplung während der kalten Dunkelflaute gefördert wird,
  4. der reine Betrieb von Heizkesseln mit grünem Wasserstoff ausgeschlossen wird,
  5. die Nutzung und der Transport von regenerativ erzeugten Gasen (insbesondere grünem Wasserstoff) in der vorhandenen Infrastruktur gefördert wird, um fossile Energieträger zunehmend zu ersetzen und
  6. ordnungsrechtlich ein verpflichtender Anteil (z.B. 2-5%) an grünem Wasserstoff im Erdgasnetz festgelegt wird, um den Hochlauf der entsprechenden Technologieentwicklung zu fördern.

Hintergrund: Beschreibung der Vorschläge im Detail

Eine längerfristige Nutzung von fossilen Energieträgern, auch von Erdgas, ist wegen des hohen Treibhausgaspotenzials und die zum Teil hohen Leckagen bei Gewinnung und Transport des Erdgases (Methan) auszuschließen. Die über Satelliten inzwischen gut lokalisierbaren Leckagen sind weltweit schnellstmöglich einzudämmen (ESA 2020). Die Laufzeiten der mit Erdgas betriebenen Anlagen der Strom und Wärmeerzeugung sind perspektivisch auf die Zeiten zu begrenzen, wenn Erneuerbare Energien nicht ausreichend Energie liefern, und effizient auszugestalten (Stichwort Kraft-Wärme-Kopplung). Die Förderprogramme und Energieleitpläne (vgl. MP 14) sind danach auszurichten und durch hohe CO2-Preise, dynamisierte Energiepreise vor Ort sowie einer Verpflichtung zu einem kontinuierlich steigenden regenerativen Anteil (EE-Wärme-Gesetz) in Gas-, Wärmenetzen und Gebäudeheizungen, zu unterstützen.

Auch Wärmepumpen werden die heutigen Öl- und Erdgasheizungen nur dann treibhausgasneutral ersetzen, wenn auch während der kalten Dunkelflaute (Zeiten mit geringem Dargebot an Wind- und Sonnenenergie und niedrigen Temperaturen, also gleichzeitig hohem Wärmebedarf) genug Strom aus gespeicherten Erneuerbaren Energien zur Verfügung steht.

Grüner Wasserstoff ist sowohl Energieträger als auch Energiespeicher in chemischer Form und kann als Grundstoff für viele unterschiedliche Folgeprodukte, wie etwa Ammoniak, Methanol oder auch Kunststoffe, stofflich genutzt werden. Der vollständige Ersatz von Erdgas durch Grünen Wasserstoff steht am Ende einer stetigen Entwicklung.

Vorrangig, da effizienter, sind Erneuerbare Energien direkt zu nutzen. Relevanter Maßstab ist die schnellstmögliche Reduktion der Treibhausgase. Für den Transport zunehmend aus erneuerbaren Quellen hergestellter Gase bietet sich aus Kostengründen der entsprechende Umbau des Erdgasnetzes an.

Die Wissenschaft hat seit langem erkannt, dass langfristig zur Abdeckung des Energiebedarfs während kalter Wintertage ohne oder wenig Sonne und Winddargebot in Europa (der kalten Dunkelflaute) kein Weg um Grünen Wasserstoff (hergestellt aus erneuerbaren Energien) als Energieträger vorbei führen wird (Winter & Nitsch 1989).

Die Einschätzungen (Szenarien) darüber, wieviel und in welchen Anwendungsfeldern Grüner Wasserstoff in Zukunft benötigt wird, gehen weit auseinander. Ebenso wenig ist absehbar, wieviel und wie Grüner Wasserstoff importiert, gespeichert und transportiert werden muss und kann. In keinem Fall dürfen die Energieimporte zu Lasten der Menschen in den produzierenden Ländern gehen (z.B. Energiearmut). Es hängt u.a. von sehr vielen Entscheidungen zur Suffizienzentwicklung ab, wieviel und wie Wasserstoff wir zukünftig benötigen. So macht es z.B. einen entscheidenden Unterschied, ob zukünftig von 570 PKW oder nur noch von 200 PKW pro 1.000 Einwohner ausgegangen wird und wie viele davon elektrisch, über E-Fuels oder über Wasserstoff angetrieben werden. Entsprechend gehen auch der Bedarf an benötigter Endenergie und der zugrundliegenden erneuerbaren Primärenergien und der Aufwand an Rohstoffen in den einschlägigen Szenarien sehr weit auseinander (vgl. z.B. Abb. 14 in Lemoine Stiftung 2020).

Die Nationale Wasserstoffstrategie sieht die Notwendigkeit von Grünem Wasserstoff vor allem in Anwendungen, welche nur schwer direkt mit erneuerbarem Strom versorgt werden können. Der Strategie zur Folge soll Wasserstoff maßgeblich in der Industrie und im Verkehr eingesetzt werden. Bei der direkten Wärmeerzeugung wird sein Einsatz erst nachrangig gesehen.

Unabhängig aber davon, wieviel wir langfristig an Grünem Wasserstoff brauchen und in Deutschland, Europa oder anderswo produzieren, sollte in jedem Fall der Umbau des Erdgasnetzes in ein zunehmend grünes und vor allem möglichst dichtes Netz für Wasserstoff und andere grüne Gase bereits jetzt rechtlich und wirtschaftlich ermöglicht, geplant und mit dem Ausbau begonnen werden. Denn wenn in Zukunft Grüner Wasserstoff zur Verfügung steht, ist der Umbau des Erdgasnetzes die kostengünstigste Variante zu seiner Verteilung und saisonalen Speicherung.

Bereits heute sind überall dort, wo es keine Einschränkungen durch spezifische Anwendungen gibt, Beimischungen von knapp zehn % Wasserstoff in das vorhandene Gasnetz möglich. Im Regelwerk des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) soll bis zum Jahr 2030 etwa 20 Volumenprozent möglich sein [Tenge & Brandes 2019, Dörr et al. 2016]. Darüber hinaus können Teile des vorhandenen Erdgasnetzes zu einem 100% Wasserstoffnetz (oder auch Ammoniaknetz) umgebaut und erweitert werden (FNB 2020). Ebenso wird derzeit im Rahmen von Pilotanlagen getestet, ob sich Wasserstoff aus dem Erdgasnetz über Membranen abtrennen lässt (DVGW 2020).

Die Entwicklung und Integration einer Grünen Wasserstoffwirtschaft und entsprechender Infrastruktur im Rahmen der bestehenden fossilen Erdgasinfrastruktur ist, parallel zu Suffizienz und dem ambitionierten Ausbau erneuerbarer Energien, der letzte fehlende Baustein, um das Ziel, vollständig auf fossile Energieträger zu verzichten, umsetzen zu können. Wieviel Grüner Wasserstoff notwendig sein wird, entscheidet sich iterativ mit den Entscheidungen vor Ort im Rahmen verbindlicher kommunaler Energie- und Mobilitätsleitpläne (vgl. MP 14) und im Rahmen von Differenzverträgen mit Industrieunternehmen (vgl. MP 12). In jedem Fall wird für ein treibhausgasneutrales Deutschland ein Teil des Grünen Wasserstoffs in KWK-Anlagen effizient zur Strom- und Wärmeversorgung während Perioden der kalten Dunkelflaute zum Einsatz kommen (Hasler 2021, Energy brainpool 2017).


Erwartete Wirkungen auf Emissionen, Arbeitsmarkt und Finanzen

Auch Wasserstoff kann durch indirekte Effekte (Steigerung der Lebensdauer von Methan in der Atmosphäre, Ozonbildung, Wasserdampf, geschätzte Größe des Treibhauspotenzial (GWP) von 5 zur Erwärmung beitragen (Sand et al. 2020). Als Konsequenz daraus darf auch Grüner Wasserstoff nicht in größeren Mengen in die Atmosphäre entweichen und ist immer nur als letztes Mittel zu betrachten. Vorrangig sind die Erneuerbaren Energien immer direkt zu nutzen. Mit CO2-Vermeidungskosten (Agora 2020, S.35) von rund 170 bis 430 €/Tonne CO2 (2030) beziehungsweise 110 bis 360 €/t CO2e (2050) wird Grüner Wasserstoff aus 100 % erneuerbarem Strom ohnehin ohne „Förderung“ z.B. über Contract for Differences (CCfD) kurz und mittelfristig auch bei einem absehbar deutlich höheren CO2-Preis-Niveau nicht auskommen.

Welche Rolle neben der Elektrolyse auch die Plasmalyse und die Methanpyrolyse oder biologische Verfahren der Wasserstoffsynthese spielen werden, kann derzeit nicht abschließend bewertet werden. Die Kosten des Umbaus des Erdgas- in Wasserstoffnetzes sind mit etwa 0,5 Mrd. € pro Jahr bis 2050 gegenüber den Erzeugungskosten des grünen Wasserstoffs überschaubar (bbh 2020). Das THG-Einsparpotenzial beträgt in Abhängigkeit der Suffizienz bis 2030 8-14 Mio. Tonnen CO2 (Wasserstoffbedarf 30-50 TWh), bis 2050 95 Mio. Tonnen CO2 (Wasserstoffbedarf 350 TWh).

Deutschland ist derzeit noch der größte Exporteur von Elektrolyseanlagen. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und dem Beratungsunternehmen Frontier Economics geht für Deutschland von einem Potenzial von bis zu 470.800 zusätzlichen Beschäftigungsverhältnissen aus (IW & Frontiers 2018). Die Hydrogen Roadmap Europe gibt an, dass Unternehmen normalerweise pro eine Million Euro Umsatz zwischen sieben bis 15 neue Arbeitsplätze schaffen – und die Wasserstoffwirtschaft in Europa bereits bis 2030 über eine Million Arbeitsplätze generieren könnte.


Vorschläge für die rechtliche Umsetzung

(1) Änderung des Regulierungsrahmens im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) und Änderung der Gasnetzzugangsverordnung (GasNZV) zur möglichen Integration der Wasserstoffinfrastruktur in das bestehende Erdgasnetz und Finanzierung des entsprechenden Um- und teilweise Rückbaus. (bbh 2020, Verbändevorschlag 2020) Risikoausgleich über Contract for Differences (CCfD) zur Überbrückung von Kostennachteilen für Investoren in die Wasserstoffelektrolyse inkl. der Erzeugung erneuerbarer Energien über den gesamten Lebenszyklus ihrer Anlagen.

(2) Förderung der grünen Wasserstoff Kraft-Wärme-Kopplung im Rahmen eines Gesamtkonzeptes, dass den kontinuierlichen Übergang von einem Erdgasnetz zu einem grünen Wasserstoffnetz ermöglicht.

(3) Ein ordnungsrechtlich verpflichtender Anteil (z.B. 2-5%) an grünem Wasserstoff im Erdgasnetz könnte den Hochlauf der entsprechenden Technologieentwicklung befördern.

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