Mit seinem wegweisenden Beschluss vom 29.4.2021 stellt das Bundesverfassungsgericht klar, dass Klimaschutz schon jetzt im Grundgesetz verankert ist und wir heute mehr für den Klimaschutz machen müssen, um die Freiheitsrechte nachfolgender Generationen nicht zu gefährden. Die Pflichtaufgabe Klimaschutz hat nun Verfassungsrang und muß im Recht weiter konkretisiert werden.
Als Mitglied des 20. Bundestages werde ich folgende Gesetzesinitiativen zum Klimaschutz einbringen oder unterstützen:
- Ein Verbot für das Inverkehrbringen fossiler Energieträger ab z.B. 2035, sofern andere Maßnahmen nicht den notwendigen Erfolg bringen.
- Verpflichtung zum Klimaschutz für Kommunen
- Verankerung des Klimaschutzes im Aktienrecht als Aufgabe von Unternehmen
- Beschlussvorlagen in Bund, Land und Kommunen müssen auf Klimarelevanz geprüft werden
- Gesetzliche Verankerung eines Klimabürger*innenrats oder einer Klimaversammlung.
Hintergrund: Beschreibung der Vorschläge im Detail
Klimaschutz muss als Pflichtaufgabe für Kommunen und Kapitalgesellschaften ins Grund- oder Klimaschutzgesetz aufgenommen werden, einschließlich einer Rückfallklausel (Verbot/Backstopp) zum Inverkehrbringen fossiler Energieträger in Deutschland.
Die Freiheit der einen Generation hört da auf, wo sie die Freiheit der nächsten Generation einschränkt. So könnte man den am 29.4.2021 veröffentlichten wegweisenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zusammenfassen. Der Schutz des Klimas und die Verpflichtung zur Minderung von Treibhausgasemissionen folgt, so das Gericht, unmittelbar aus Art 20a des Grundgesetzes, demzufolge die natürlichen Lebensgrundlagen für die künftigen Generationen zu schützen sind.
Aus Sicht des Gerichts konkretisiert das Pariser Klimaabkommen dieses Ziel dahingehend, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
Zudem umfasst Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ff. auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels, etwa vor klimabedingten Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Wald- und Flächenbränden, Wirbelstürmen, Starkregen, Überschwemmungen, Lawinenabgängen oder Erdrutschen zu schützen.
Das eigentlich Wegweisende an dem Urteil ist, dass diese Schutzverpflichtung für Gesetzgeber und ausführende Gewalten auch in Bezug auf künftige Generationen gilt. Eine Generation dürfe nicht unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde.
Damit reichen die Regelungen des Klimaschutzgesetzes vom 12. Dezember 2019 nicht aus, den Art. 20a des GG zu erfüllen. Der Gesetzgeber ist nun verpflichtet, „die Fortschreibung der Minderungsziele der Treibhausgasemissionen für Zeiträume nach 2030 bis zum 31. Dezember 2022 näher zu regeln.“ Damit ist klargestellt, dass der Klimaschutz im Grundgesetz bereits verankert ist, also Verfassungsrang hat. Nun wird es notwendig die Pflichtaufgabe Klimaschutz in den jeweiligen Gesetzen zu konkretisieren.
(1) Klimaschutz im Grund- oder Klimaschutzgesetz zur Neuausrichtung des gesetzlichen Rahmens im §20 GG konkretisieren.
Die zunehmende Komplexität unserer gesellschaftlichen Regeln erfordert in einigen sich besonders schnell ändernden Rechtsgebieten, wie z.B. dem Energierecht, eine vereinfachende Neuordnung (vgl. MP 10, MP 13).
Zur Neuordnung gehört die Ausrichtung an den Notwendigkeiten des Klimaschutzes. Als wichtiges Signal für Kommunen und Unternehmen gehört daher die Konkretisierung des Klimaschutzes ins Grundgesetz, auch als Selbstverpflichtung des Bundestages.
(2) Verbot des Inverkehrbringens von fossilen Energieträgern ab z.B. 2035 in Deutschland
Der vollständige Verzicht auf das Verbrennen fossiler Energieträger ist die notwendige Maßnahme, um die Vereinbarungen des Pariser Klimaabkommens einhalten zu können. Sollten die in den nachfolgenden Maßnahmenpaketen 2-19 vorgeschlagenen ordnungspolitischen, förderpolitischen oder ökonomischen Regelungen und ihre Nachsteuerung nicht ausreichen, ist ein Verbot des Inverkehrbringen von fossilen Energieträgern in Deutschland ab z.B. 2035 die notwendige gesetzliche Rückfall („backstop“)-Regelung. Damit wird der § 20a des Grundgesetzes zum „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen“ so konkretisiert, dass der Gesetzgeber bereits heute ein starkes Signal setzt, dass 1. Deutschland seine Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen einhalten will und 2. Investitionen in fossile Energien ohne Transformationspfad (MP 15) bereits heute als nicht mehr zukunftsfähige Investitionen („stranded investments“) betrachtet werden müssen.
(3) Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe
Viele Maßnahmen, die für den Klimaschutz notwendig sind, betreffen Kommunen. Mit den bisherigen Aufgaben der Daseinsvorsorge bei Bauen, Sozialem und Gesundheit sind viele Kommunen so ausgelastet, dass Klimaschutz meist zu kurz kommt – weil er keine Pflichtaufgabe ist. Mit der Pflichtaufgabe Klimaschutz würden auch die Forderungen nach Berlin und in die EU noch lauter, die Rahmenbedingungen zu verbessern, Klimaschutz zu finanzieren und vor allem die Umsetzung von Maßnahmen zu vereinfachen. Viele Kommunen begrüßen dies (Difu 2018), sofern die Finanzierung gesichert ist (vgl. MP 14), um ausreichend Personal für Klimaschutz bereit stellen zu können (Klimabündnis 2019). Einige gehen bereits voran (vgl. Tübingen, Münster, Konstanz, Kommunale Mitglieder des CO2 Abgabe e.V.).
(4) Klimaschutz ins Aktienrecht
Da Treibhausgase zum ganz überwiegenden Teil von Unternehmen beeinflussbar sind, muß Klimaschutz auch im Recht von Kapitalgesellschaften festgeschrieben werden. Auch dort kann die Erreichung der Treibhausgasneutralität (Reduktionspfad für fossile Energieträger auf Null mit entsprechenden Berichtspflichten) sowie ggf. weitere ökologische Kriterien (Schaffung von CO2-Senken, vgl. MP 18) mit entsprechenden Sanktionen (z.B. Vergütungshöhe für Vorstände und Aufsichtsräte) regulatorisch unterstützt werden (Ekardt 2015).
(5) Klimabürger*innenrat, Klimaversammlung
Die Begrenzung der Erderwärmung um durchschnittlich max. 2°C erfordert drastische Veränderungen. Die Unterstützung, politische Bildung und Mitwirkung der Bevölkerung kann durch einen repräsentativ ausgewählten „Klima-Bürger*innenrat“ gefördert werden (vgl. MP 2 (3)). Ein Klimabürger*innenrat leistet einen wichtigen Beitrag zur Rechtsbereinigung und zum Verständnis notwendiger Maßnahmen, wie das Beispiel der Klimaversammlung in England zeigt (Climate Assembly UK Report 2020). Diese bekam den Auftrag, Vorschläge zu entwickeln, wie das Vereinigte Königreich sein Ziel von Netto-Null-Treibhausgasemissionen bis 2050 erreichen kann. Die 108 Mitglieder der Versammlung kamen aus allen Bereichen des Lebens. Sie wurden repräsentativ für die britische Bevölkerung in Bezug auf Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Bildungsniveau, Wohnort in Großbritannien, städtische oder ländliche Umgebung und Grad der Besorgnis über den Klimawandel bestimmt. Die Versammlung wurde finanziert vom Unterhaus und zusätzlichen Mitteln von zwei philanthropischen Organisationen, der Esmée Fairbairn Foundation und der European Climate Foundation.
Aufbauend auf den Erfahrungen in Frankreich und England haben die Scientists for Future eine solche Bürger*innenversammlung im Dezember 2020 eingefordert. Daraufhin hat im Frühjahr, getragen von dem Verein BürgerBegehrenKlimaschutz, der erste „Bürgerrat Klima“ unter Schirmherr Horst Köhler, Bundespräsident a. D. seine Arbeit aufgenommen. Die Ergebnisse liegen inzwischen vor.
(6) Verpflichtung der Prüfung von Beschlussvorlagen auf Klimarelevanz in Bund, Ländern und Kommunen
Seit ein paar Jahren entscheiden sich immer mehr Kommunen, ihre Beschlussvorlagen vorab auf Klimarelevanz prüfen zu lassen. Das sollte zukünftig verpflichtend für alle Beschlussvorlagen gesetzlich geregelt werden (Difu 2018, KEAN 2020).
Erwartete Wirkungen auf Emissionen, Arbeitsmarkt und Finanzen
Die Kosten der gesetzlichen Änderungen sind zu vernachlässigen. Kostenintensiv sind die flächendeckend zu erstellenden und umzusetzenden Energieleitpläne, um der Pflichtaufgabe Klimaschutz in den Kommunen nachzukommen (Kostenansätze und Finanzierungsvorschläge vgl. MP 14).
Die Aufnahme des Klimaschutzes als Pflichtaufgabe hat Auswirkungen auf alle folgenden Maßnahmenpakete. Mit ihr bekommen grundsätzliche Reformen, wie die Verpflichtung zur Bilanzierung von Treibhausgasen bei der Produktion (vgl. Lieferkettengesetz MP 3) oder die Verpflichtung bei der Produktion „vom Produkt bis zum Produkt“ zu denken (vgl. Kreislaufwirtschaftsgesetz MP 4), die notwendige gesetzliche und gesellschaftliche Grundlage. Insgesamt verstärken sich viele der Maßnahmenpakete gegenseitig bezüglich der Minderung der Emissionen sowie der Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Vorschläge für die rechtliche Umsetzung
- Klimaschutz im § 20a Grundgesetz und/oder Klimasschutzgesetz konkretisieren.
- Klimaschutz als Pflichtaufgabe von Kommunen z.B. im Klimaschutzgesetz in Abstimmung mit dem Recht zur kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) und dem Aufgabenübertragungsverbot (Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG) verankern. Förderrecht entsprechend anpassen bzw. Finanzierung der Pflichtaufgabe Klimaschutz in den Kommunen absichern. Verpflichtung zur Erstellung von Energieleitplänen über die Länder mit entsprechenden Zielvorgaben (Voraussetzungen sind klare Absprachen und Vereinbarungen über die Finanzierung, vgl. MP 14)
- Änderung Kapitalgesellschaftsrecht (z. B. in §§ 76 oder 93 AktG58)
In § 87 Abs. 1 S. 2 AktG schrittweise die Erreichung der Treibhausgasneutralität (Reduktionspfad für fossile Energieträger aus Null) sowie ggf. weitere ökologische Kriterien (Schaffung von CO2-Senken) regulatorisch vorsehen - Vergütungshöhe des Vorstands und Aufsichtsgremien werden verpflichtend an die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen geknüpft. Als Sanktionen kommen neben (hohen) Bußgeldern kumulativ auch Abführungspflichten überhöht gezahlter Gehälter sowie Unterlassungsansprüche von Konkurrenzunternehmen in Betracht.
- Verankerung eines Klimabürger*innenrates oder Klimaversammlung im Grund- und/oder Klimaschutzgesetz
- Verpflichtung der Prüfung von Beschlussvorlagen auf Klimarelevanz in Bund, Ländern und Kommunen.