Im Falle der Klimakrise sind alle Bundestagsabgeordnete aufgerufen, sich nicht hinter den Positionen ihrer Parteien, Wahlprogramme oder Fachpolitiker zu verstecken, sondern sich selbst eine Meinung zu bilden und zu vertreten. Denn sie sind nach Art 38 (1) Grundgesetz „…nur ihrem Gewissen unterworfen“ und als Teil des Gesetzgebers nach GG Art. 20a verpflichtet, „…auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen …“ zu schützen.
Klimaschutz und die konsequente Umsetzung der völkerrechtlich verbindlichen Vereinbarungen von Paris sind kein „nice to have“, sondern eine partei- und akteursübergreifende Verpflichtung, die keinen weiteren Aufschub mehr duldet.
Seit dem am 29.4.2021 veröffentlichten wegweisenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist klargestellt, dass der Klimaschutz auch generationsübergreifend im Grundgesetz bereits verankert ist. Zur Durchsetzung Umwelt- und klimapolitischer Ziele verfügt der Staat über zahlreiche Instrumente, die sich in drei Kategorien einteilen lassen:
- das Ordnungs- und Planungsrecht,
- die Förderpolitik
- und die Bepreisung (Internalisierung externer Kosten).
Die Kunst der Politik ist es, die geeignete Abstimmung zwischen Ordnungs-, Planungs, Förder- und Steuerrecht (Bepreisung) zu finden.
Welche Regeln wir dabei für notwendig erachten, stellt Klimaschutz im Bundestag gebündelt in 19 auf einander abgestimmten Maßnahmenpaketen zur Diskussion (vgl. auch Veranstaltungsreihe Klimaschutz im Bundestag). Mit der Verbreitung und geeigneten Kommunikation der Vorschläge hofft Klimaschutz im Bundestag, viele Menschen zu motivieren, den Druck auf Kandidat*innen durch persönliche Ansprache so zu erhöhen, dass es im nächsten Bundestag eine breite politische Mehrheit für die Umsetzung der klimapolitischen Notwendigkeiten gibt. Darüber hinaus steht die Kommunikation und Vermittlung solcher Inhalte in der Breite und im Gesamtzusammenhang noch weitgehend aus. Klimakommunikation und Wissensmanagement auf der einen Seite und Empathie für Klima, Umwelt, Tiergesundheit, intakte Lebensräume, nachfolgende Generationen u.v.m. auf der anderen Seite müssen miteinander verbunden werden (vgl. MP 2).
Mehr als die Hälfte der Emissionen an Treibhausgasen, für die die Menschheit verantwortlich ist, wurden in den vergangenen dreißig Jahren ausgestoßen. Seit mehr als dreißig Jahren wissen wir aber auch, welche Auswirkungen auf unsere Lebensgrundlagen diese Emissionen haben und was zu tun ist. Wir sind also spät dran.
Die guten Nachrichten:
- Wir haben sowohl die finanziellen Mittel als auch das Know-how für wirksamen Klimaschutz und ständig kommen neue Lösungsoptionen hinzu.
- Die Umsetzung der notwendigen Maßnahmen erfordert jede Menge Arbeit und erzeugt Beschäftigung.
- Je schneller wir handeln, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, den Wettlauf mit der Erwärmung zu unseren Gunsten zu entscheiden und desto geringer sind die Risiken, Schäden und Kosten.
Die Handlungsnotwendigkeiten der Transformation sind klar: Selbstverständlich müssen wir auch über Suffizienz reden, der Fleischkonsum in Deutschland erheblich verringert werden sowie Flugverkehr und Schiffsreisen auch nach Corona deutlich reduziert bleiben. Und auch die von einigen propagierte Hoffnung, man könne weiter so viele Autos (oder noch mehr) produzieren und fahren wie bisher, nur eben elektrisch, kann die Klimakrise nicht ausreichend entschärfen. Weder synthetische Kraftstoffe noch E-Mobilität werden unseren motorisierten Individualverkehr im bisherigen Ausmaß ermöglichen und gleichzeitig die Klimakrise entschärfen.
Unsere aktuelle Lebensweise halten wir auf Kosten anderer aufrecht, indem wir beispielsweise den Verbrauch von Rohstoffen und Land sowie die Entsorgung von Abfällen teilweise in andere Länder auslagern. Ernsthafter Klimaschutz bedeutet jedoch die volle Verantwortung für alle Emissionen unseres Wirtschaftens zu übernehmen, auch die, die wir außerhalb von Deutschland verursachen.
Auch die Bundesregierung erkennt in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie 2021 erstmals an, dass in zentralen Politikfeldern eine grundlegende Transformation einzuleiten ist. Die sechs zentralen Bereiche sind die Energiewende, der Klimaschutz, die Kreislaufwirtschaft, nachhaltiges Bauen, die Verkehrswende sowie nachhaltige Agrar- und Ernährungssysteme (vgl. Nachhaltigkeitsrat 2020).
Eine Vielzahl auch jüngst erschienener Szenarien bestätigen die Grundaussagen vieler Studien der letzten 30 Jahre: Eine sozialökologische Transformation wird nicht an der wirtschaftlichen oder technischen Machbarkeit scheitern.
In jedem Fall ist es preiswerter, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten, als sie zu ruinieren.
Es geht um große Veränderungen: Es wird nicht ausreichen, wenn nur einzelne anders entscheiden. Es geht um die Durchsetzung geeigneter Rahmenbedingungen (Regeln) für alle ohne Ausnahmen.
Eine weitere gute Nachricht ist, dass Notwendigkeiten zunehmend überzeugen und mehrheitlich Zustimmung erfahren, seien es ehrgeizige Klimaschutzziele, ein Tempolimit oder der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Die Aufgabe und Kunst von Politik ist es, den regelnden Rahmen und Grenzen so zu gestalten, dass die Menschen, Unternehmen und Kommunen ins Handeln kommen, ohne überfordert zu sein.
Das Beispiel der neuseeländischen Ministerpräsidentin Jacinda Ardern gibt Hoffnung, dass ein innovatives Wissensmanagement (Lebenslanges Lernen), mit Empathie vorgetragen, dazu beitragen kann, für Handlungsnotwendigkeiten und den dafür notwendigen Regelungsrahmen auch politische Mehrheiten zu bekommen.
Bisher machen wir uns wirksames Handeln unnötig schwer: Für erneuerbaren Strom, der unmittelbar vor Ort erzeugt oder gespeichert werden könnte, muss man erhebliche Abgaben bezahlen, komplexe Messtechnik einbauen und viel Bürokratie in Kauf nehmen. Das muss nicht so sein, wenn die Verantwortlichen erkennen, dass eine dezentrale flexible Abdeckung der nachgefragten elektrischen Leistung mit immer höheren Anteilen erneuerbaren Stroms vergleichbar ist mit einer Energieeinsparung. Sie führt volkswirtschaftlich zu geringeren Kosten und handlungsbereiteren Unternehmen, Kommunen und Bürger*innen.
Die 19 aufeinander abgestimmten Maßnahmenpakete schlagen zur Bewältigung der Klimakrise einen regulatorischen Rahmen vor, der sich am Notwendigen orientiert. Er schafft Transparenz für Unternehmen, Kommunen und Haushalte, belässt aber ausreichend Freiräume, um so zum Handeln zu motivieren. Es werden bisherige Hemmnisse und Fehlanreize durch einfache, verlässliche und technologieoffene Rahmenbedingungen ersetzt.
Der Philosoph Bernward Gesang spitzt die eigentliche Schwierigkeit menschlichen Handelns in seinem Kommentar in der Taz vom 4.1.2021 zum Konsumverzicht zu: „Genieße deine Spaßfahrt im SUV und tue gleichzeitig alles, damit die Politik allen Akteuren, also auch dir, solche Spaßfahrten verbietet.“ Das klingt widersprüchlich und ist es auch, aber es nimmt menschliches Verhalten ernst und fordert dazu auf, von der Politik an Notwendigkeiten angepasste gesellschaftliche Regeln einzufordern, an die sich alle halten müssen und können.
Ein zentraler Lösungsansatz ist, dass wir unseren Alltagsprodukten überall dort, wo und sobald wir es können, ihren „wahren Preis“ transparent mitgeben. Das bewegt Konsument*innen dazu, die Alternativen zu erkennen, und Produzent*innen, in der Lieferkette Emissionen und ggf. Kosten einzusparen. Dazu braucht es unsere Fähigkeiten, soziale und ökologische Werte und Risiken der Geschäftsmodelle in der Unternehmensbilanz richtig zu bewerten, zu bilanzieren und in den Buchhaltungsprogrammen bis zum Endprodukt (Stichwort Digitaler Produktpass) mitzuführen.
Ein zweiter Lösungsansatz, der die im Folgenden ausgeführten Maßnahmenpakete miteinander verbindet, ist Grenzen dann zu setzen, wenn die wahren Preise alleine zur Steuerung nicht ausreichen. Dahinter steckt die Erfahrung erfolgreicher Umweltpolitik, die vor allem durch die Verschärfung von Grenzwerten zum Erfolg führte, sei es bei dem verpflichtenden Ausbau von Kläranlagen, der Entschwefelung von Abgasen, dem Verbot von Substanzen, die die Ozonschicht schädigen oder dem Verbot von Glühbirnen per Ökodesignrichtlinie der EU. Die Regelungen dienen im Kern dazu, Geschäftsmodelle der Vergangenheit, die auf der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen aufbauen (z.B. durch Verbrennung fossiler Energieträger), durch Geschäftsmodelle zu ersetzen, die unsere Lebensgrundlagen nicht nur erhalten, sondern das Gemeinwohl fördern und für alle ermöglichen.
Ob wir diese Transformation schaffen, hängt nicht vom technischen oder ökonomischen Potenzial ab, sondern davon, ob Menschen, die bisher keine Notwendigkeiten sahen, diese nun erkennen und eine Gesetzgebung einfordern, die schnelle Veränderungen ermöglicht. Wirksamer Klimaschutz wird nur mit neuen Regeln funktionieren, die als überwiegend vorteilhaft gleichermaßen von Unternehmen und Verbraucher*innen wahrgenommen werden.
Eine vom Umweltbundesamt veröffentlichte Studie (UBA 2020) zeigt eindrücklich, wieviel Einfluss die Änderungen unseres Lebensstils einerseits und ressourceneffiziente Ansätze (Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie) andererseits auf die Treibhausgasemissionen und die Ressourcen an Rohstoffen haben. So spart der ambitionierteste Transformationspfad gegenüber einem weniger ambitionierten Pfad bis 2050 insgesamt 4,8 Mrd. Tonnen CO2e bis 2050 und 5,7 Mrd. Tonnen Primärrohstoffe ein (vgl. Rescue Studie 2019). Die Studie zeigt eindrücklich, wie stark eine Transformation hin zu einer rohstoffeffizienten und treibhausgasneutralen Gesellschaft innerhalb der planetaren Belastungsgrenzen in vielfältiger Weise von der sparsamen Nutzung natürlicher Ressourcen in Kreisläufen abhängt.
Wie schnell die notwendige sozialökologische Transformation umgesetzt werden kann, hängt im Wesentlichen am politischen Willen, in notwendige Veränderungen persönlich und finanziell zu investieren. Um Menschen dafür zu gewinnen, ist ein umfassendes generationenübergreifendes Motivations-, Aus- und Weiterbildungsprogramm, man könnte es auch Wissensmanagement nennen, notwendig. Es soll Menschen in die Lage versetzen, aus Arbeitsbereichen wie der Automobilindustrie oder der Chemieindustrie in andere Bereiche wie z.B. die Bioökonomie, Gebäudesanierung, Heizungsbau, Erneuerbare Energien, Gesundheit und Pflege oder die Digitalisierung zu wechseln.
Bei Klimaschutz im Bundestag geht es darum, die Bundestagsabgeordneten mit ökologischen Mindestanforderungen (Rahmenbedingungen) für zukünftige Geschäftsmodelle zu konfrontieren und glaubwürdig dafür zu gewinnen, diese zu vertreten, Gesetzesinitiativen zu entwickeln oder zu unterstützen und umzusetzen.
In den weiteren Hintergrundbeiträgen wird gezeigt, dass wir uns bereits mitten in der Klimakrise befinden und welche Mittel wir haben, sie für Kinder, Enkel und spätere Generationen in einem erträglichen Rahmen zu halten.
Es ist Angebot und Einladung an alle, die Vorschläge weiter zu entwickeln und mehr Klimaschutz im 20. Bundestag umzusetzen, insbesondere an die Verantwortlichen selbst.
Es geht dabei nicht darum, die Vorschläge für konkrete Maßnahmenpakete eins zu eins zu übernehmen, sondern anhand der formulierten Vorschläge und Begründungen erstens den Ernst der Lage zu erkennen und zweitens die Offenheit für parteiübergreifende Lösungen zu stärken. Denn die Klimakrise ist nur (partei-) übergreifend von allen zu lösen.
Abgeordnete die die konkreten Vorschläge der Initiative #klimaschutz-im-bundestag für nicht zielführend halten, werden aufgefordert Alternativen zu formulieren. Ob sie überzeugen und welche Mehrheiten sich im 20. Bundestag durchsetzen entscheiden die Bundestagsabgeordneten.