Senkenökonomie 1.0
Wälder und Moore sind natürliche Speicher für Kohlenstoff. Deswegen müssen sie für den Klimaschutz erhalten bleiben und beispielsweise durch Wiedervernässung renaturiert werden. Um die Erderwärmung auf max. 2°C zu begrenzen, müssen allerdings weitere und neue CO2-Senken geschaffen werden.
Dazu gehören Aufforstungen neuer Wälder, die Renaturierung ehemaliger Moore, der Aufbau von Humus in unseren Böden (wodurch organischer Kohlenstoff gebunden wird) sowie die Umwandlung von Biomasse in Pflanzenkohle oder die Abscheidung von CO2 aus dem Abgas von Biomasseverbrennung.
Schon heute stehen uns auch rein technische Verfahren zur Verfügung, um CO2 direkt aus der Luft abzuscheiden. Weil hierfür Energie benötigt wird, ist das allerdings erst sinnvoll, wenn dafür überschüssige, erneuerbare Energie zur Verfügung steht.
Der Aufbau von natürlichen und technischen CO2-Senken ist notwendig, um die Klimaziele zu erreichen, kann den Ausstieg aus der fossilen Energiewirtschaft dabei allerdings nur ergänzen und nicht ersetzen.
Als Mitglied des 20. Bundestages werde ich folgende Gesetzesinitiativen zum Klimaschutz einbringen oder unterstützen, durch die
- natürliche Kohlenstoffsenken wie Wälder und Moore dauerhaft erhalten bleiben,
- Regeln für eine verbindliche und transparente Bilanzierung von Senkenleistungen eingeführt werden, die international überwacht werden. Dies ist auch notwendig, um einheitliche Standards zu schaffen, mit denen Senkenleistungen in der CO2-Bilanz bei der Berichterstattung von Staaten angerechnet werden können,
- eine allgemeine Abgabe eingeführt wird für den Erhalt natürlicher Senken und den Aufbau von zusätzlichen bilanzierbaren Senken.
Hintergrund: Beschreibung der Vorschläge im Detail
Senken sind kein Ersatz (Kompensation) für den Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Energieträger. Sie sind aber eine notwendige Ergänzung zur Verringerung der Treibhausgasemissionen, um die Chance zu bewahren, die menschengemachte Erwärmung auf ein für den Menschen erträgliches Maß begrenzen zu können.
Beides muss nun parallel so schnell wie möglich umgesetzt werden. Zu den naturnahen Verfahren, Senken zu schaffen, gehören z.B. Aufforstung, zusätzliche Festlegung von organischem Kohlenstoff im Boden (Humusaufbau) oder die Umwandlung von Biomasse über Pyrolyse in Pflanzenkohle. Hinzu kommen geologische Verfahren (Enhanced Weathering) und technische Verfahren, wie die Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff aus Biomasse oder direkte Abscheidung aus der Luft und Speicherung, sobald überschüssige Erneuerbare Energien zur Verfügung stehen sollten. Als Leistung, die dem Gemeinwohl dient, müssen hierzu verbindliche Regeln erlassen werden, wie die Senkenleistungen bilanziert und überwacht werden. Zur Finanzierung von Senken könnte ähnlich den Netzentgelten für den Aufbau von Infrastruktur bei Strom oder Wärme eine allgemeine Abgabe für den Erhalt natürlicher Senken und den Aufbau von zusätzlichen Senken, z.B. als ein Teil der Umsatzsteuer, eingeführt werden.
Anerkannte, verbindliche, vom Staat kontrollierte Regeln müssen sicherstellen, dass die Senkenleistung z.B. durch eine klimagerechte Landnutzung dauerhaft und korrekt bilanziert wird, ohne dass an anderer Stelle ökologischer oder sozialer Schaden entsteht (ISO 14064-02, 2019). Unter Berücksichtigung solcher Standards kann die Vergütung im Rahmen freiwilliger Engagements von Privatpersonen, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen nur ein erster Schritt sein.
Der zweite Schritt sind verpflichtende Anforderungen zu erarbeiten, um ausreichend Senken zu schaffen und natürliche Senken zu erhalten. Der Wert dieser Senkenleistung muss gesellschaftlich erkannt und die Erbringer entsprechend vergütet werden.
Der Wert, der in der Kohlenstoffsenken-Ökonomie vergütet wird, entsteht nicht durch die Nutzung organischer oder fossiler Substanz unter Freisetzung von Treibhausgasen (z.B. durch energetische Nutzung), sondern durch die dauerhafte Bindung des Kohlenstoffs aus der Atmosphäre. Die Dauer der Bindung entscheidet über den Wert der Senke.
So macht es einen erheblichen Unterschied, ob ein Baum, der hoffentlich durch seinen erwarteten Zuwachs an Holz über 30 Jahre eine Tonne Kohlenstoff aus der Atmosphäre bindet, einem Waldbrand zum Opfer fällt, in einem Holzgebäude stofflich genutzt wird, als Holzhackschnitzel zur Wärmeerzeugung verbrannt oder zum Teil pyrolisiert in Form von Pflanzenkohle dauerhaft in Asphalt oder Beton eingelagert oder zum Humusaufbau genutzt wird.
(1) Stoffliche Nutzung von Holz gegenüber der Verbrennung fördern und Jagdgesetz für eine bessere Naturverjüngung reformieren (Forstwirtschaft)
Laut der Kohlenstoffinventur 2017 entlastete der Wald in Deutschland als natürliche Senke die Atmosphäre jährlich um rund 62 Mio. Tonnen Kohlendioxid (ca. 7% der territorialen Emissionen). Die Entwicklung der Jahre 18/19 und 20 (Dürre, Borkenkäferschäden etc.) werden sich erst in der kommenden Kohlenstoffinventur 2022 widerspiegeln. Eine Rekonstruktion zeigt, dass die Abfolge der jüngsten europäischen Sommerdürren seit 2015 in den letzten 2.100 Jahren beispiellos ist (Büntgen et al. 2021). Und gemäß der Waldzustandserhebung 2020 ist damit zu rechnen, dass die Senkenleistung des Waldes in den letzten Jahren stark abgenommen hat.
Laut der Kohlenstoffinventur 2017 liegt der jährliche Holzzuwachs bei Buchen im bundesweiten Durchschnitt bei etwa 9 Kubikmetern pro Hektar und Jahr. Dabei werden von den Buchen (oberirdisch und in den Wurzeln) etwa 12 Tonnen CO2 pro Jahr und Hektar gebunden. Wenn die Wirkung von Wäldern als natürliche CO2-Senke berechnet wird, geht es um den gebundenen Kohlenstoff der durch das Wachstum der Bäume zusätzlich gebunden wird. Ein Großteil der entnommenen Bäume wird jedoch als Brennholz (Pellets, Hackschnitzel oder Scheitholz) verbrannt.
Als zusätzliche Senke bleibt dann unter dem Strich nur der Teil übrig, der z.B. als Holz in Möbeln, Häusern oder Pflanzenkohle über längere Zeit stofflich gebunden bleibt. Die stoffliche Nutzung muss daher zukünftig Vorrang vor der energetischen Nutzung haben.
Neben der Förderung der stofflichen Nutzung von Holz ist das Jagdgesetz anzupassen, um durch entsprechende konsequente Bestandsregulierung den Wildverbiss zu verhindern. Wild geht vorrangig erst dann an die Knospen von jungen Bäumen, wenn die „nährstoff- und mineralstoffreichen“ Bodenpflanzen nicht mehr ausreichen. Das Schaffen von kleineren lichten Flächen fördert das selbstständige Nachwachsen.
(2) Pflanzenkohle
Pflanzenkohle (engl. Biochar) ist ein poröses, kohlenstoffhaltiges Material, das durch pyrolytische Verkohlung pflanzlicher Ausgangsstoffe hergestellt wird. Die Pyrolyse zur Herstellung von Pflanzenkohle ist die thermochemische Umwandlung von organischen Verbindungen, insbesondere Biomasse, in sauerstoff-limitierter Umgebung bei hohen Temperaturen (whitepaper 2020, co2abgabe 2020). Bei der Pyrolyse kann in Abhängigkeit der Verfahrenstemperatur ein Teil des Kohlenstoffs energetisch genutzt und ein anderer Teil verbleibt als Pflanzenkohle gebunden. Für die meisten bilanzierbaren und nach internationalen Standards zertifizierbaren und damit dauerhaften Senken sind noch keine Geschäftsmodelle bekannt. Ausnahme ist die Pflanzenkohle mit einer Produktion in Europa von 17.000 Tonnen pro Jahr, die sich nach Erwartungen des European Biochar Industry Consortiums (EBI 2020) aufgrund der im Bau und Planung befindlichen Anlagen in 2021 nahezu verdoppeln wird (Mitteilung Lerchenmüller 2021). Pro Tonne trockene Pflanzenkohle werden etwa 2,4 t CO2 gebunden. Die Preise für Pflanzenkohle beginnen derzeit bei etwa 800 € pro Tonne. Damit ergeben sich rein rechnerisch CO2-Sequestrierungskosten von etwa 333 € pro Tonne CO2. Durch den primären Nutzen der Pflanzenkohle z.B. als Zusatz bei der Tierfütterung oder beim Anpflanzen von Stadtbäumen reichen jedoch derzeit etwa 100 € pro Tonne CO2 aus, um zertifizierter Kohle zu deutlich größerer Marktdurchdringung zu verhelfen. Das EBI geht einerseits davon aus, dass sich zukünftig die Herstellkosten der Pflanzenkohle durch Weiterentwicklungen in der Anlagentechnik und durch innovative Geschäftsmodelle deutlich reduzieren lassen und dass andererseits mittel- bis langfristig mit einem Anstieg des Wertes von dauerhafter Kohlenstoffsequestrierung zu rechnen ist. So geht das EBI davon aus, dass die Vergütung für die Senkenleistung zukünftig bis zu 50% der Kosten für die Kohle übernehmen kann, und die übrigen Kosten über den Anwendungsnutzen getragen werden.
(3) Bioenergy with carbon capture and storage (BECCS)
BECCS ist die Abscheidung und geologische Lagerung von CO2, das bei der Verbrennung von Biomasse entsteht. Da Biomasse bei nachhaltigem Anbau und Nutzung als Reststoff weitgehend CO2-neutral ist, wird dadurch langfristig CO2 aus der Atmosphäre entnommen. Der Einsatz von BECCS ist durch die Menge der nachhaltig verfügbaren Biomasse sehr begrenzt. BECCS kann damit erst sinnvoll zum Einsatz kommen, wenn alle Möglichkeiten der vorherigen stofflichen Nutzung von Biomasse und Pyrolyse erschöpft sind. Eine neuere Untersuchung geht von einem maximalen sinnvoll nutzbaren Potenzial von 2,5 Gt pro Jahr (Hansen 2020).Die Berücksichtigung von Nutzungskonkurrenzen insbesondere der trockenen Biomasse, z.B. für die Pyrolyse kann hier noch zu starken Einschränkungen des Potentials führen.
(4) Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS)
DACCS bezeichnet die Abscheidung von CO2 direkt aus der Luft und seine anschließende Einlagerung in geeigneten geologischen Formationen. Durch Ventilatoren wird die Umgebungsluft eingesaugt und durch ein Sorptionsmittel gebunden. Der Energieaufwand und die Kosten für DACCS sind deutlich höher als für BECCS. Diese Technik kann daher erst zum Einsatz kommen, wenn überschüssiger erneuerbarer Strom verfügbar ist, der nicht bereits auf andere Weise emissionsmindernd eingesetzt werden konnte.
(5) Grünes Naphtha und stoffliche Bindung von CO2 in Polymeren (CCU)
Mit aus der Luft über Direct Air Capture entnommenem CO2 oder Biomasse werden mit aus Erneuerbaren Energien erzeugtem Wasserstoff zum Beispiel mittels FischerTropschSynthese „grünes“ Naphtha oder andere Kohlenwasserstoffe hergestellt. Diese werden zu Polymeren und im Weiteren zu Kunststoffen verarbeitet. Auch diese Technologie ist aufgrund des hohen Energiebedarfs erst bei einer Vollversorgung bzw. überschüssigen Strom aus Erneuerbaren Energien und einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft der hieraus entstandenen Polymere sinnvoll.
Erwartete Wirkungen auf Emissionen, Arbeitsmarkt und Finanzen
Das theoretische maximale Potenzial der Kohlenstoffspeicherung durch ein entsprechendes Landmanagement (vgl. MP 16) wird global mit 23,8 Gt. CO2e pro Jahr abgeschätzt (Griscom et al. 2017) und für die Vereinigten Staaten (USA) mit 1,2 (0,9 bis 1,6) Gt CO2e pro Jahr angegeben (Fargione et al. 2018). Etwa die Hälfte der Maßnahmen würde sich zu Kosten von bis zu 100 USD/t CO2e realisieren lassen (National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine 2019). Aufgrund von Nutzungskonkurrenzen mit der Waldbewirtschaftung, der Lebensmittelproduktion, der Verfügbarkeit von Biomasse und auch der Biodiversität sowie politischen Rahmenbedingungen in den meisten Ländern wird das umsetzbare Potenzial deutlich kleiner ausfallen.
Für Deutschland wird das Potenzial an Senkenleistung durch Pflanzenkohle bis 2030 auf 10 Mio. CO2 und bis 2050 auf 50 Mio. Tonnen abgeschätzt (Mitteilung Lerchenmüller). Angaben zu den Beschäftigungspotentialen durch Pflanzenkohle konnten bisher nicht gefunden werden.
Vorschläge für die rechtliche Umsetzung
Bisher gibt es zwar vielversprechende Ansätze für angemessene Regelungen einer bald wachsenden Senkenökonomie (carbonfuture, EBI 2021). Da die benötigten Volumina enorm sein werden, ist es notwendig baldmöglichst folgende Fragen gesetzlich zu regeln:
(1) Wer stellt auf transparente Weise sicher, dass eine Senkenleistung umweltverträglich umgesetzt wird und nach anerkannten Standards keine Sekundärschäden verursacht.
(2) Wie fließen die bislang freiwilligen Senkenleistungen unter Ausschluss jeglicher Doppelzählung in die nationale Berichterstattung zu den Treibhausgasen ein.
(3) Anpassung Düngemittelverordnung: Bisher ist in Deutschland zur Düngung nur Holzkohle aus naturbelassenem Holz erlaubt, nicht aus anderer Biomasse. Die bisherigen Erkenntnisse belegen das Potenzial von Biokohlen zur Verbesserung von Bodenfunktionen (z.B. Nährstoff- und Wasserhaushalt, Bodenreaktion, Bindung von Schadstoffen, Ertragsfähigkeit) vor allem in solchen Böden, die entsprechende Defizite aufweisen. Neben einer Bodenverbesserung fördern besonders Pyrolysekohlen aufgrund ihrer hohen Stabilität auch die C-Sequestrierung in Böden. Potenzielle Risiken durch organische Schadstoffe oder Schwermetalle sind durch entsprechende Grenzwerte und Kontrollen zu minimieren. Es sollte ein Reduktionspfad für die Verbrennung von Biomasse erarbeitet werden, ggf. mit der Auflage bestimmte Mindestmengen der Biomasse, die nicht stofflich genutzt werden kann, z.B. in Form von Pflanzenkohle in eine dauerhafte Senke zu verwandeln.