Seit 2013 arbeiten acatech, Leopoldina (die Universität Lüneburg) und die Akademieunion im Projekt Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) zusammen. Ziel ist es, Politik und Gesellschaft über Zukunftsszenarien zu informieren. Im Februar erschien die 224-seitige Studie „Szenarien für ein klimaneutrales Deutschland: Technologieumbau, Verbrauchsreduktion und Kohlenstoffmanagement“. Die 23 Autor:Innen gehen der Frage nach, wie die Klimaneutralität bis 2045 erreicht werden kann. „Der Fokus auf das Energiesystem ist daher nicht mehr ausreichend“, heißt es im Vorwort. Zunächst werden 16 externe Szenarien in einer Metaanalyse untersucht. In der Graphik links wird deutlich, wie stark die Annahmen in den externen Szenarien voneinander abweichen. In den zwei mit Suffzienz (UBA GreenLife und UBA GreenSupreme) sinkt die PKW-Zahl fast um die Hälfte, während der Bestand in anderen Modellen teilweise größer aber elektrifiziert wird. Eigens entwickelt wurden fünf „REMod-Szenarien“. In einigen wird die Klimaneutralität noch vor 2045 erreicht. Die ersten eigenen Berechnungen wurden 2021 durchgeführt – vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Deshalb wurde zusätzlich modelliert, um höhere Gaspreise zu berücksichtigen. Somit wird die Dekarbonisierung nicht nur aus der Klimaperspektive betrachtet, sondern „auch vor dem Hintergrund geo- und sicherheitspolitischer Bedenken…, um ein höheres Maß an Energiesouveränität zu gewährleisten“. In einem Szenario wird gezeigt, wie das Ziel bei einer ausgeglichenen globalen Pro-Kopf-Verteilung hierzulande aussehen könnte.
In allen Szenarien wird am Ende weniger Endenergie benötigt. Die Summe sinkt von 2,217 TWh im Jahr 2020 auf 1,056 bis 1,791 im Jahr 2045/2050. Während aber in den Sektoren Gebäude und Verkehr der Endenergieverbrauch immer zurückgeht, steigt in manchen Szenarien der Verbrauch in der Industrie. Neben klimaneutralen Prozessen braucht der Sektor eine Kreislaufwirtschaft und Materialeffizienz und -substitution. Grüner Wasserstoff spielt neben synthetischen Kraftstoffen immer eine „entscheidende Rolle“ gerade da, wo die Elektrifizierung nicht alles leisten kann: als Rohmaterial in der Stahl- und Chemieproduktion, im international Luftverkehr und „teilweise in schwer sanierbaren Gebäuden“. Der Strombedarf verdoppelt sich im Hauptszenario bis zur Jahrhundertmitte auf 1.300 TWh. CO2-Entnahme wird ausgeschlossen, wenn die Umweltauswirkungen „stark umstritten“ sind. Trotzdem untersucht die Studie sechs Optionen: Aufforstung, Biokohle, Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (BECCS), CO2-Entnahme aus der Luft mit anschließender CO2-Speicherung (DACCS) und beschleunigte Verwitterung. Die Bilanzierung der Landnutzung (LULUCF) wird als schwierig betrachtet. Technologien müssten „extrem ambitioniert“ umgebaut werden. Suffizienzmaßnahmen seien dabei hilfreich, um den Aus- und Umbaubedarf zu verringern. Die meisten solcher Studien scheuen das Thema, geht es schließlich um eine Verhaltensänderung der Menschen. In der Studie heißt es deshalb, dass die „Modellierungsmethoden und -parameter noch nicht etabliert sind“. Ein Beispiel für Suffizienz ist die „Stadt der kurzen Wege“ – auch 15-Minuten-Stadt genannt, weil sich die meisten Aufgaben wie Einkaufen innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Rad erledigen lassen. Auch durch regelmäßiges Home Office ließen sich die Emissionen aus dem Pendeln um 20 bis 25 Prozent reduzieren. Nur mit Suffizienz und Effizienz zusammen, so die Autor:Innen, schaffen wir die Klimaneutralität. Als Beispiel führen sie die Raumwärme an: Hier werden Effizienzgewinne zum Teil durch eine höhere Flächennutzung zunichte gemacht. Pro Person ist die Wohnungsfläche von 42,2 qm im Jahr 2008 auf 47,7 qm 2020 gestiegen (Rebound-Effekt). Insgesamt wird durch große Zahl der Szenarien ein tiefer Einblick in die Annahmen hinter den Modellen geliefert. |