In den USA führen Debatten um die „debt ceiling“ (Schuldenbremse) seit 1994 immer wieder dazu, dass der neue Haushalt nicht rechtzeitig vereinbart wird. Beamte werden dann nicht bezahlt, und öffentliche Einrichtungen wie Ämter und auch Nationalparks bleiben geschlossen. In Deutschland passiert das wegen der „vorläufigen Haushaltsführung“ (Art. 111 Grundgesetz) nicht. Hierzulande wird der alte Haushalt fortgeführt – jedenfalls um bereits im Haushalt versprochene Ausgaben zu decken.
Die deutsche Schuldenbremse wurde 2009 – kurz nach der Finanzkrise – beschlossen. Sie kappt die Kreditaufnahme bis auf Notsituationen wie die Pandemie oder die Energiekrise nach Putins Einmarsch in die Ukraine. Da der Notlagentopf für die Pandemie nicht komplett aufgebraucht wurde, hat die Bundesregierung nicht abgerufene Gelder umgewidmet und im Klima- und Transformationsfonds (KTF) eingestellt.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Dezember 2022 den Eilantrag der CDU/CSU mit der Begründung abgelehnt, die Folgen des Eilantrags könnten zu schwer sein, wenn die Umwidmung der Corona-Hilfen sich doch als rechtens erweisen sollte. Das Gericht hat die Koalition damit hoffen lassen, der Vorgang sei zumindest nicht so eindeutig falsch wie nun doch festgestellt wurde. Möglicherweise wären uns die Folgen des Eilantrags lieber gewesen als die noch nicht abschätzbaren Folgen des Urteils. Der Blick in die USA zeigt, dass die dortige Schuldenbremse die politische Diskussion vergiftet und den Staat lähmt.
Doch nun hat das Verfassungsgericht im November geurteilt, dass die Umwidmung von Coronageldern weder im Sachzusammenhang mit der in 2021 begründeten Notlage stehe, noch sich auf mehrere Haushaltsjahre erstrecken dürfe. Die 60 Milliarden fallen damit nicht unter die verfassungsgemäße Ausnahme der Schuldenbremse in Notlagen, wie einer Pandemie. Damit fehlen ca. 60 Milliarden Euro im KTF. Doch diese Summe erstreckt sich bis 2026.
Für 2023 hat die Bundesregierung inzwischen mit einem Nachtragshaushalt reagiert. Laut dem Entwurf sind für 2023 nunmehr Ausgaben in Höhe von 461,21 Milliarden Euro vorgesehen. Dem stehen Steuereinnahmen in Höhe von 389,74 Milliarden Euro gegenüber. Die für die Schuldenregel relevante Kreditaufnahme liegt laut Entwurf nun bei 70,61 Milliarden Euro und damit 44,8 Milliarden Euro über der zulässigen Kreditaufnahme. Die erhöhte Kreditaufnahme wird mit einer Notlage im Sinne der Schuldenregel begründet (fortwirkende Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auf die Energiemärkte im Jahr 2023 sowie auf die anhaltenden Folgen der Flutkatastrophe in Westdeutschland im Sommer 2021).
Für 2024 geht der Finanzminister von einer mit der Schuldenbremse nicht gedeckten Finazierungslücke von 17 Milliarden aus. Um das Loch für 2024 und die Folgejahre zu füllen, gibt es sechs Optionen:
- Steuererhöhungen bzw. eine Steuerreform z.B. durch den Abbau von Subventionen;
- Kürzungen im Haushalt;
- der Begründung einer weiteren Notlage;
- die Abschaffung der Schuldenbremse;
- ein in der Verfassung geregeltes Sondervermögen, zum Beispiel für Klimaschutzinvestitionen ähnlich dem Sondervermögen von 100 Mrd. für die Bundeswehr, und
- eine Anpassung der Schuldenregel z.B. durch die Formulierung weiterer Ausnahmen z.B. für Investitionen in die Infrastruktur oder Klimaschutz
Man kann diese Optionen natürlich kombinieren. Optionen 4-6 sind nur mit einer 2/3 Mehrheit im Bundestag umsetzbar. Zu den Optionen im Einzelnen:
Steuererhöhungen / Steuerreform / Abbau klimaschädlicher Subventionen: Steuererhöhungen wären sofort effektiv und könnten progressiv gestaltet werden. Die Bundesrepublik hatte nach dem Zweiten Weltkrieg einen Spitzensteuersatz von 95% auf sehr hohe Einkommen. FDP und CDU/CSU lehnen derzeit Steuererhöhungen ab. Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) hat im November darauf hingewiesen, dass eine Reform der Dienstwagenbesteuerung zu 5,7 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen jährlich führen würde. Kombiniert man diese Reform mit der Abschaffung des Dieselprivilegs (6,8 Milliarden für PKW und LKW), hätte die Staatskasse 12,5 Milliarden Euro an Mehreinnahmen. Doch eine Umstellung dieser und anderer solcher Regelungen zum 01.01.2024 sind zeitlich und politisch kaum umsetzbar und würde viele Bürger unvorbereitet treffen.
Haushaltskürzungen: So richtig sieht man hier keine aussichtsreichen Kandidaten fürs Einsparen. Jede geplante Maßnahme wird derzeit von mindestens einer Partei verteidigt – von Intels Chip-Fabrik bis zu Wasserstoff-Projekte und die Förderung von Wärmepumpen.
Ausnahme der Schuldenregel aufgrund einer Notlage. Eine erhöhte Kreditaufnahme über die Schuldenregel hinaus für den KTF ist nicht mit einer Pandemie-Notlage zu begründen. Im Sinne der Schuldenregel ist aber auch die Klimakrise keine unvorhergesehene Naturkatastrophe, sondern menschengemacht und damit absehbar. Die Klimasschutzziele müssen damit im Rahmen der verfassungsgemäßen Haushaltsführung erreicht werden.
Die Abschaffung der Schuldenbremse: Wenn die Not zum Dauerzustand wird, wird die Schuldenbremse in Frage gestellt. Nach 2009 hat sie Deutschland wie ein fiskalischer Fels in der Eurobrandung erscheinen lassen. Doch es gab und gibt Kritiker. Laut des Prinzips der antizyklischen Finanzpolitik hätte Deutschland damals – in einer relativ guten wirtschaftlichen Phase – „Rücklagen“ für schlechte Zeiten bilden sollen, die sie nun in dieser fortdauernden Notsituation ausgeben könnten. Die Bremse sorgte zwar dafür, dass der Bund sich damals nicht mit Krediten übernahm, könnte aber nun dringend nötige Investitionen im Sinne zukünftiger Generationen, für die die Schuldenbremse u,a, gedacht war, verhindern. Das ist unwahrscheinlich. Ganz abschaffen kann Deutschland die Schuldenbremse ohnehin nicht; EU-Länder dürfen sich nur bis zu 3% des jeweiligen BIPs neu verschulden.
Die beiden Optionen ein in der Verfassung geregeltes Sondervermögen und die Anpassung der Schuldenregel unter z.B. die Formulierung weiterer Ausnahmen z.B. für Investitionen in die Infrastruktur oder Klimaschutz gehen in eine ähnliche Richtung, trotz Schuldenbremse wichtige zukunftsfähige Investitionen über Kredite finanzieren zu können. Die Schuldenbremse würde somit auf die "Konsumausgaben" des Staates wie z.B. Beiträge zur Rente und Sozialleistungen eingeschränkt.
Für die letztgenannten Optionen ist eine Zweidrittelmehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat nötig und derzeit politisch nicht absehbar.
Man könnte versucht sein zu sagen, die handwerkliche Unfähigkeit der Ampel-Koalition ist die eigentliche Dauernotlage.
Wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Zeitpunkt, sich parteiübergreifend auf eine geeignete Kombination der Optionen zu verständigen, um notwendige Klimaschutzmaßnahmen langfristig zu sichern. |