Herbstgespräch 2024

Alle drei Monate stellt das KiB-Team die Gespräche hinter den Kulissen zwischen Freiburg und Berlin vor. Diesmal ging es um folgende Themen:

  • Vorgezogene Bundestagwahlen: wie besprechen NGOs die Situation?
  • SPD-Klimadialog in Berlin
  • Strategienetzwerk Klimaschutz
  • Gedanken zum Strommarkt nach unserem KSSE-Projekt
  • ETS 2 und das kommende Klimageld aus Brüssel
  • Wohnraumsuffizienz
  • Wie wird das Deutschlandticket in der Branche und Politik eingeschätzt.

Die Folien von Dr. Jörg Lange sind hier.

Einen Mitschnitt kann man hier sehen.

Klimaschutz braucht eine neue Wirtschaft

Am 19.11. von 19 – 20 Uhr ging es um eine Grundsatzdiskussion: Messen wir Wirtschaftswachstum richtig? Was macht unsere Vorstellung von wirtschaftlichem Erfolg mit unserer Gesellschaft und der Erde? Zu Gast waren:

  • Dr. Martin Oetting, Filmemacher. Sein aktueller Film “Purpose“ feiert am 25.11. auf deutsch seine Premiere in Berlin. Dr. Oetting hat einen Auszug gezeigt und mit uns diskutiert, wie es zu diesem Film kam. 
  • Prof. Dr. Hermann Ott, ehemaliger Bundestagsabgeordneter (Grüne). Er schob die Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität (2010-2013) voran und schrieb den Abschlussbericht der Projektgruppe, die sich mit der Entkopplung des Ressourcenverbrauchs beschäftigte (Drucksache 17/13300).

In Oettings Film geht es vor allem um zwei Personen: Lorenzo Fioramonti und Katherine Trebeck. Prof. Fioramonti hat in der italienischen Politik in den Jahren 2018 und 2019 als italienischer Vize- und dann Bildungsminister versucht, das Wohlergehen der Bürger*innen und der Umwelt (“well-being”) gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) stärker zu priorisieren. Trebeck ist politische Ökonomin; sie hat im Jahr 2018 wesentlich die Gründung der ‘Wellbeing Economy Governments’ vorangetrieben – ein Bündnis, welches in seinen Mitgliedsländern – Schottland, Neuseeland, Island, Wales und Finnland – die Arbeit mit neuen Fortschrittsindikatoren vorantreiben soll.

Mit Hermann Ott wollten wir einen Rückblick auf die nun 11 Jahre zurückliegende Enquete-Kommission werfen, die sich ähnliche Ziele gesetzt hatte. Wozu hat sie geführt? Und vor allem: Wie werden Änderungen an der Methodik fürs BIP heute in der Politik erörtert?

Da der mediale Mainstream hierzulande “Wachstum des BIP” weiterhin als nicht verhandelbare Grundlage allen politischen Handelns betrachtet, haben wir keine kritischen Stimmen für die einstündige Diskussion mit Fragerunde eingeladen. Der Moderator, Craig Morris (Vorstand von KiB), schreibt selbst seit zwei Jahrzehnten über neue Wirtschaftsformen und kennt die Kritik. Er hat einige Punkte zusammengefasst und zur Diskussion gestellt. Vor allem stellte sich eine Frage: Ist es wirklich so wichtig, dass wir das BIP anders messen?

Ziel des einstündigen Zooms war es nicht, ein Gegenmodell vorzustellen. Vielmehr ging es um die Frage, was der Traum vom endlosen Wachstum mit unserer Gesellschaft anrichtet und was ein gutes Gegenmodell bringen würde – ob der Klimaschutz ein anderes BIP braucht. Wenn ja, was ist unser nächster Schritt?

Ein Teil der Anwesenden hat beschlossen, sich nochmal dazu auszutauschen.

Zusammenfassung als PDF.

Wichtige Optionen zum Strommarktdesign gar nicht untersucht

Berlin, Deggendorf, Freiburg, Mauer, den 5.9.2024. Das BMWK hat ein Papier mit dem Titel „Strommarktdesign der Zukunft: Optionen für ein sicheres, bezahlbares und nachhaltiges Stromsystem“. Darin wird das Potenzial von lokalen Preisen unterschätzt.

Zusammen mit dem Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung e. V., OpenEMS, solares bauen, und StromDAO hat Klimaschutz im Bundestag e. V. deshalb einen Lösungsvorschlag erarbeitet.

Link zur Stellungnahme zum Strommarkt der Zukunft
https://klimaschutz-im-bundestag.de/wp-content/uploads/2024/09/Stellungnahme-zum-Strommarkt-der-Zukunft_2024_09_06.pdf

Einen Erläuterungsbericht Sie hier nachlesen.

Lösungsvorschlag: Lokale Preise und Einspeise(Kapazitäts-)versicherungspflicht

Aus Sicht der Praxis vor Ort sind für einen flexiblen netz- und systemdienlichen Betrieb von Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen lokal differenzierte Steuerungssignale erforderlich. Sie sollten zwei Informationen in der Vorhersage widerspiegeln. Zum einen die Information über den Zustand des Stromnetzes. Ist in den nächsten Stunden mit einer Überlastung zu rechnen, oder kann noch mehr Strom bezogen oder abgegeben werden? Vergleichsweise einfache mögliche Ansätze, wie die Netzlast in der Kaskade der verschiedenen Netzebenen bestimmt und wie darauf aufbauend Netzentgelte berechnet werden können, liegen vor.

Die zweite Information sollte die aktuell benötigte fossile Residuallast anzeigen, um danach Erzeugungsanlagen vor Ort treibhausgasarm betreiben zu können. Ein Signal dieser Art ist der bereits verfügbare regionale Grünstromindex.

Dadurch werden flexible und dezentrale Lösungen möglich, die auch Anreize für Maßnahmen zur Sicherung der Versorgung schaffen können. Dazu müssen sowohl die Mindestverfügbarkeit der fossilen und erneuerbaren Erzeugungskapazitäten als auch die Vermeidung von Netzengpässe (Stromlogistik) in den lokalen Stromkosten ihren Niederschlag finden. Gesetzliche Mindestanforderungen an Verfügbarkeit und Netzdienlichkeit in Form einer Kapazitäts- oder Einspeiseabsicherungsplicht, schaffen einen verlässlichen Rahmen. Auf dieser Basis können verschiedene Akteure wie Planer, Aggregatoren, Finanzdienstleister oder kommunale EVUs unter Ausnutzung des gesamten vor Ort nutzbaren Wissens Flexibilitätsoptionen anbieten, um die Absicherungspflichten kostengünstig zu erfüllen.

Claus-Heinrich Stahl, Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung e.V.

Craig Morris, Klimaschutz im Bundestag e.V.

Christof Wiedmann, OpenEMS Association e.V.

Gesucht: Sinnstiftender Klimaschutz

Die AfD hat bei Landtagswahlen in drei östlichen Bundesländern zugelegt. Seitdem überlegt sich die Klimablase, wie man die Klimakommunikation verbessern kann. Die Frage kann man besser formulieren. Von Craig Morris

Beginnen wir mit einer kurzen Frage: Wer hat Folgendes geschrieben, und vor allem wann? (Antwort steht am Ende des Textes – googeln ist mogeln!)

„Soweit unerwünschte Tatsachenwahrheiten in freien Ländern toleriert werden,
werden sie häufig, bewusst oder unbewusst, in Meinungen umgewandelt.“

Und jetzt zur Aktualität: Nach dem Erfolg der AfD in drei Landtagswahlen suchen Klimaschützer das richtige Framing für die Klimakommunikation. Framing ist nicht unwichtig, aber wenn das die Hauptlösung wäre, hätte man in den 80ern mit „die Schöpfung bewahren“ sehr viele Konservative überzeugt.

Oft heißt es, wir brauchen positive, optimistische Botschaften – wohl ein Grund, warum das Limit von 1,5°C nicht bereits für überschritten erklärt worden ist. Führende Klima-Expert*innen betonen, dass sie optimistisch seien (Claudia Kemfert vom DIW) und warnen davor, zu viel Pessimismus zu verbreiten (Hannah Ritchie von Our World in Data).

Aber der größte Durchbruch in den letzten Jahren kam wohl von Fridays for Future, und ihre Botschaft war wenig optimistisch: „Ihr wollt von uns jungen Menschen Hoffnung – How dare you!“ Die Menschen sind unterschiedlich: Manche mögen Schokolade, manche Vanille.

Vor allem basieren die Meinungen der Wissenschaftlerinnen Kemfert und Ritchie zur Klimakommunikation nicht auf der Wissenschaft, sondern das ist eher ihr Bauchgefühl. Was sagt die Sozialforschung zur Klimakommunikation?

Listen to the science

2017 fasste der US-Journalist David Roberts die peer-reviewed Forschungsergebnisse zusammen: „there’s unlikely to be any all-purpose emotional recipe that will satisfy all customers“. Zu Deutsch: Es gibt keine eierlegende Wollmilchsau bei der Klimakommunikation. 2018 betonte er (wie viele andere), dass die Menschen vor allem „fellowship“ wollen: Wir können Krisen meistern, wenn wir das Gefühl haben, dass alle an einem Strang ziehen. Nur dumm, dass die Gesellschaft immer gespaltener ist und wir uns immer einsamer fühlen.

Der konservative US-Podcaster und Gründer von Strong Towns, Chuck Marohn, setzt sich für 15-Minuten-Städte ein. Er sucht dabei nicht nach einem Framing. Wenn er in eine Gemeinde eingeladen wird, setzt er sich hin und hört zu. Wo drückt der Schuh in der Gemeinde? Erst wenn alle sich gehört und ernst genommen fühlen, redet er davon, wie man die Gemeinde stark machen kann.

Aktuelles deutsches Beispiel: Nam Duy Nguyen hat soeben in Sachsen für die Linke ein Direktmandat geholt – eines von nur zwei. Seine Taktik: Er hat an knapp 50.000 Türen geklopft und zugehört. Er fand heraus, dass vor allem drei Themen die Menschen dort beschäftigen: Mietpreise, ÖPNV (Preise und Anbindung), und Inflation. Nun könnte ein Klimaschützer leicht von Lösungen reden, die diese Probleme angehen – und nebenbei das Klima schützen.

Klimaschützer treten eher anders auf: Die Fakten sind auf unserer Seite, wir haben einfach recht – basta! Das kann unsympathisch rüberkommen. Man versteht die Reaktion „Meine Gefühle interessieren sich nicht für deine Fakten“ besser mit einem Spruch aus den USA: „they don’t care to know until they know you care.” Erst wenn die Menschen wissen, dass du sie ernst nimmst, sind sie offen für dein Wissen.

Dann stellt man fest, dass die Menschen beim Klimaschutz gar nicht so gespalten sind; Mehrheiten sind dafür, aber viele denken, die anderen wollen nicht (Umfrage von More in Common). Die Sozialwissenschaften sprechen von „pluralistischer Ignoranz“: Man fühlt sich alleine, auch wenn die eigene Meinung weit verbreitet ist. Man weiß es nur nicht, weil wir uns immer weniger treffen. Außerdem argumentiert More in Common, man müsse sich besser um das „unsichtbare Drittel“ kümmern: Menschen, die eben nicht in prekären Verhältnissen leben, sondern sich einsam fühlen und nicht wissen, wie sie sich wirksam einbringen können (Die andere deutsche Teilung).

Die Frage lautet also nicht (nur): Welches Framing für die Klimakommunikation? Sondern: Wie können wir uns wieder treffen und reden? Wie Rainald Manthe, Vorstand von Stiftung Bildung, sagt: „Gesellschaft braucht Orte, an denen sie einander begegnet.“ Begegnungsorte sind „dritte Orte“ neben Zuhause und Arbeit: Kirchen, Kneipen, Kinos, Parks, Buchhandlungen, Sportvereine usw. Diese Orte besuchen wir immer weniger; wir sitzen auf der Couch mit Netflix, das Essen wird geliefert. Dann treffen wir uns in unserer Blase, um darüber zu reden, wie man mit Anderen reden sollte, wenn man sie träfe – anstatt sie zu treffen.

Demokratie weiterentwickeln

Die Politik sollte die Richtung angeben, aber die Ampelkoalition zeigt bereits, dass das Parteiensystem an seine Grenzen kommt. Jetzt wird es noch schwieriger: Die CDU muss sich mit Sahra Wagenknecht arrangieren. Man befürchtet, dass uns die Demokratie abhandenkommt. So schrieb Jonas Schaible im Spiegel: „Die Zeit des demokratischen Siechtums ist die Zeit, in der wir leben.“

Das deutsche politische System war 1949 die beste verfügbare Technik – ein Bollwerk gegen den Faschismus. Kommt es in die Jahre? Wenn ja, wie könnte man es weiterentwickeln?

Expertise gibt es vor allem in den Ministerien. Es gibt Vorschläge, wie man dieses Wissen aus den verkrusteten preußischen Strukturen der Ministerien befreien könnte – die Welt lässt sich immer weniger in Einzelthemen einsortieren, die Namen der Ministerien werden immer länger –, aber generell wird nicht beklagt, dass Wissen fehlt. Wir streiten uns eher über die Ausgestaltung z.B. des Klimaschutzes: Wohin geht die Reise?

Das soll die Politik sagen. Auch wenn es nicht schadet, wenn Politiker*innen Expertise besitzen: Die Politik vertritt eher unsere Werte. Sind wir z.B. der Meinung, es sollte eine Maut auf der Autobahn geben, dann sagt das Verkehrsministerium mit seiner Expertise, wie das konform mit EU-Recht ginge – so jedenfalls sollte unser politisches System funktionieren. Aber mit den immer weiter gespreizten Koalitionen weiß die Politik nicht mal mehr, was sie will.

Einen Ausweg bieten Bürgerräte. Hier kommt eine Gruppe von zufällig ausgewählten Menschen zusammen, um miteinander und Expert*innen vertieft über ein gesetztes Thema zu sprechen und Lösungsvorschläge zu entwickeln. Dank dieser Expertise sind das keine Stammtischgespräche, und die Bürgerräte entkräften den Vorwurf, dass „die da oben“ entscheiden.

Hier treffen sich die Menschen außerhalb ihrer Blase, und die Gespräche sind konstruktiv. Es zeigt sich international, dass diese Vorschläge ehrgeiziger sind, als sich die Politik erlaubt. Noch nimmt die Politik solche Vorschläge zur Kenntnis, setzt sie aber nicht konsequent um. Man sollte Bürgerräte häufiger, vielleicht laufend als Dritte Orte, abhalten, und die Empfehlungen sollten als Auftrag an die Ministerien gehen, die dann untersuchen, wie man sie umsetzen kann.

Und nun des Rätsels Lösung

Obiges Zitat:

„Soweit unerwünschte Tatsachenwahrheiten in freien Ländern toleriert werden,
werden sie häufig, bewusst oder unbewusst, in Meinungen umgewandelt.“*

stammt von Hannah Arendt (Original auf Englisch) aus dem Jahr 1967 Wir denken, dass wir seit Kurzem im Zeitalter des Postfaktischem leben, aber Arendt hat das alles vor mehr als einem halben Jahrhundert analysiert. Sie ist nicht unumstritten. Dennoch: Was würde sie heute wohl sagen? Ich denke, zwei Sachen.

Erstens: Wahrheiten** wirken in der Politik tyrannisch; die Politik lebt von der Vielfalt der Meinungen. Dass bedeutet nicht, dass Fakten nicht mehr gelten, sondern dass man mit Meinungen anfängt. (Beispiel: Katja Diehls „willst Du oder musst Du Auto fahren“ kommt eher empathisch als belehrend rüber.)

Zweitens: „Die Vernunft ist nicht auf der Suche nach Wahrheit, sondern nach Sinn“ (Vom Leben des Geistes, posthum 1977). Arendt hat die Zeit vom Nazi-Regime bis in die 1970er Jahre hinein analysiert. Hitler gab vielen Menschen einen Sinn im Leben. Die AfD liefert auch eine Definition für dieses Deutschland – eine, die mir nicht gefällt. Unsere freiheitliche Wirtschaft liefert leider keine. Um Jacques Delors zu zitieren: „Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt“. Weltweit gehen Geburtenraten zurück, selbst wenn der Staat Familien mit Kindern besser finanziell unterstützt. Immer mehr junge Menschen fragten sich offenbar: Wozu Kinder kriegen in dieser sinnlosen Welt?

Wofür steht dieses Deutschland? Wie kann Klimaschutz zur Sinnstiftung beitragen?

Wenn es stimmt, dass uns der Sinn des Lebens zunehmend abhandenkommt, dann sind wir endlich im eisernen Käfig des Soziologen Max Webers angekommen: Wir interagieren miteinander nach den rationalen Regeln des Kapitalismus, aber ohne dass diese Begegnungen Sinn stiften. Oder wie der Anthropologe David Graeber gesagt hätte: Wir wollen eigentlich, dass der Bäcker sagt: Guten Morgen, heute wieder zwei Brötchen und ein Croissant? Der Markt hat uns früher zusammengebracht und zur Bildung einer Gemeinschaft beigetragen; er soll nicht nur effizient, sondern sinnstiftend sein. Stattdessen sitzt der Bäckermeister heute fernab in einer Halle, und an der Theke steht eine wechselnde Bedienung, die nur 4,97 Euro von uns will. Sobald wir bezahlt haben, sind wir quitt: Wir schulden einander nichts und müssen uns nicht wiedersehen. Eine Welt voller finaler Transaktionen ohne gesellschaftlichen Kitt – wie kommen wir da raus?

Beginnen wir die Sinnsuche wie Chuck Marone, indem wir uns treffen und aussprechen, z.B. an Dritten Orten und in Bürgerräten – wo drückt der Schuh? So bauen wir Vertrauen und Sympathie füreinander auf – Roberts „fellowship“. Dann suchen wir gemeinsam nach Lösungen. Diese sind wissenschaftsbasiert; die Fakten kommen erst hier rein. Oder wie jemand mal auf einer Veranstaltung gesagt hat: Die AfD erzählt faktische Lügen, aber emotionale Wahrheiten; wir erzählen faktische Wahrheiten, nehmen aber Sorgen und Emotionen zu wenig ernst.

Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass die Transformation des Klimaschutzes wohl der größte Umbau seit Gründung der Bundesrepublik sein wird. Bei Veränderungen gibt es Gewinner und Verlierer. Man muss den Leuten die Existenzangst nehmen. Wir müssen uns gegenseitig klarmachen, dass wir füreinander da sein werden. Ob die Transformation eine Chance oder eine Bedrohung ist, ist ein Gefühl – kein Fakt.

Lesen Sie zum selben Thema „ZuverZicht: It’s a Kulturkampf, stupid!“ vom Mai 2024.

Wer sich mehr mit wissenschaftsbasierter Klimakommunikation beschäftigen mag, findet bei Klimafakten viele wertvolle Ressourcen.

* Es gibt ein (weniger elegantes) Zitat auf Deutsch dazu von Arendt aus dem Jahr 1963: „Wo immer andererseits in der freien Welt unliebsame Tatsachen diskutiert werden, kann man häufig beobachten, daß man ihre bloße Feststellung nur darum toleriert, weil dies von dem Recht zur freien Meinungsäußerung gefordert werde….“

** Arendt unterscheidet (nach Leibniz) zwischen Vernunftwahrheiten (Logik) und Tatsachenwahrheiten (Empirie). Die Klimaforschung fällt unter Tatsachenwahrheiten.

Rechtsbereinigung: immer mehr, immer längere Gesetze. Wie kürzen?

Am 9. September 2024 ging es um die Rechtsbereinigung. Kommunen, Unternehmen, Verbände — alle beschweren sich über die wachsende Komplexität in der Gesetzgebung. Wir gingen der Frage nach, woran das liegt, und suchen mit unseren Podiumsteilnehmern nach Lösungen:

  • Thomas Heilmann, Bundestagsabgeordneter für die CDU und Vorsitzender der Klimaunion. Er hat erfolgreich gegen die voreilige Verabschiedung des Gebäudeenergiegesetzes und erfolglos gegen die schnelle Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes geklagt. Herr Heilmann sagte, er würde sich an den Juristenverband der CDU wenden und im bevorstehenden Hauptsacheverfahren vor dem Verfassungsgericht Vorgaben für die Politik durchzusetzen.
  • Andreas Grosse, Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei der Kanzlei Becker, Büttner, Held: er hat die Situation aus der Sicht eines Juristen beleuchtet und Vorschläge für eine Verbesserung gemacht.

Dabei muss zwischen Bürokratieabbau und Rechtsbereinigung unterschieden werden. Ziel ist es nicht, den Staat zu schwächen und dem Markt alles zu überlassen, sondern die Gesetze auf ein sinnvolles und handhabbares Maß zu reduzieren. Wir konzentrierten uns dabei und konkrete Beispiele aus der Energiewende und dem Klimaschutz.

Einen Mitschnitt können Sie auf YouTube sehen.

Folien von Craig Morris

Folien von Andreas Große

Braucht es lokale Strompreise und wenn ja welche?

Diskussionsbeitrag von Dr. Jörg Lange und Craig Morris

Im Juli entbrannte ein Streit in der FAZ. Los ging es mit einem Aufruf von 12 Ökonomen nach lokalen Strompreisen. An der schlichten Tatsache, dass der deutsche Spotmarkt in Leipzig die Physik in den Netzen nicht abbilden kann, komme man nicht vorbei.

Eine Woche danach sprachen sich allerdings 15 Verbände für die Beibehaltung der landesweiten Einheitspreiszone aus (wie z.B. in Frankreich oder Spanien). Auch der Bundesverband Erneuerbare Energien ist dafür. Die Verbände befürchten eine Abwanderung der Industrie aus hohen in niedrigere lokale Preiszonen. Beim BEE geht es um die Planbarkeit von neuen Wind- und Solarprojekten. Dennoch zeigten sich die Verbände offen für (nicht weiter definierte) lokale Preissignale unterhalb des bundesweiten Spotmarkt-Preises.

BMWK favorisiert Kapazitätsmarkt

Dann kam im August ein konkreter Vorstoß aus dem Wirtschafts- und Klimaministerium mit einem Optionenpapier zum „Strommarkt der Zukunft“ und einem „Überblick zur Ausgestaltung eines kombinierten Kapazitätsmarktes“.

Die Idee des bereits über viele Jahre diskutierten Kapazitätsmarktes nun neu in der Kombination mit einer dezentralen Komponente ist nicht unkompliziert: Zunächst würde es in der zentralen Komponente Ausschreibungen für neue Erzeugungsanlagen (wie Gaskraftwerke) geben. Die bezuschlagten Angebote bekämen Zahlungen für die Bereitstellung von Kapazität unabhängig von der erzeugten Strommenge. Später käme die zweite Komponente hinzu: Zertifikate aus der zentralen Komponente für (dezentrale) Bilanzkreisverantwortliche (also Stromhändler und -lieferanten).

Der „kombinierte Kapazitätsmarkt“ kompensiert (so die Ansicht des BMWK) schwindendes Vertrauen in den „Energy-Only Markt“ und die CO2-Bepreisung.

Die dezentrale Komponente des kombinierten Kapazitätsmarktes delegiert die Verantwortung für die Erschließung von Flexibilitätsoption auf der Ebene der Endkunden und des Verteilnetzes auf die etwa 900 Bilanzkreisverantwortlichen. Auf den ersten Blick scheint das plausibel, weil sie über Lastgänge größerer Endkunden verfügen und bereits heute einige Akteure auf deren Lastverhalten im Sinne eines effizienter zu führenden Bilanzkreises versuchen einzuwirken.

Aber verfügen sie auch über das Wissen, wie in den Unternehmen und vor allem in Gebäuden Flexibilitätsoptionen umgesetzt werden können? Wurden die Bilanzkreisverantwortlichen gefragt, ob sie die Verantwortung und Aufgabe übernehmen wollen und können?

Zu den vielen gesetzlichen Regelungen, die heute schon nicht konsequent am Klimaschutz und einer Versorgung mit fluktuierenden Erneuerbaren ausgerichtet sind, käme ein weiteres bürokratisch aufwändiges Zertifikatesystem hinzu, dessen Folgen kaum abschätzbar sind.

Nach Ansicht von Kritikern würde ein Kapazitätsmarkt zu höheren volkswirtschaftlichen Gesamtkosten führen. Eine effizientere Alternative wird in einer „Absicherungspflicht“ (Option 1, Kap. 3.2 im Optionspapier) gesehen, wie sie in der europäischen Strommarktrichtlinie vorgegeben ist, und die dem „Strommarkt-Plus“ der Plattform klimaneutrales Stromsystem (PKNS) entspricht (connect 2024). Vereinfacht bedeutet eine Absicherungspflicht, dass Stromversorger ihre Lieferverpflichtungen zum Beispiel am Terminmarkt absichern müssen und damit eine Nachfrage von emissionsarmen Ausgleichskapazitäten auslösen, wenn gleichzeitig der CO2-Preis entsprechend hoch ist. Derzeit müssen sich Unternehmen nicht absichern und gehen bei starken Preisschwankungen am Spotmarkt große Risiken ein, die zum Konkurs führen können.

Refinanzierung der Investitionskosten von Wind- und Solarkraftwerken

Neben dem Aspekt der Versorgungssicherheit und hierzu ggf. fehlender flexibler Kapazität stellt das Optionenpapier auch vier Vorschläge bezüglich der Refinanzierung der Investitionskosten von Wind- und Solarkraftwerken zur Debatte. Alle vier vorgeschlagenen Optionen basieren, wie bisher auch auf dem gleichen Grundprinzip: der Refinanzierung von Investitionen in Solar und Windstromanlagen über den Spotmarkt und Ausgleich der Differenz zu den Kosten über den Steuerhaushalt. Aufgrund europäischer Vorgaben wird in allen Optionen ein „Rückzahlungsinstrument“ eingeführt, so dass bei hohen Erlösen am Spotmarkt ein Teil des Steuerausgleichs wieder zurückfließt.

Solarstromkraftwerke und Windkraftwerke reagieren auf das Wetter und nicht auf Preise. Sie haben so gut wie keine Grenzkosten. Ihre Refinanzierung am Grenzkostenmarkt führt bei hoher erneuerbarer Stromerzeugung zu niedrigen oder negativen Strompreisen. Mit Strom aus Solar und Windkraftwerken wird am Spotmarkt immer dann wenig Geld erlöst, wenn sie gerade viel produzieren. Alternative Vorschläge zur Refinanzierung von volatilem Sonnen- oder Windstrom werden im Strommarkt der Zukunft nicht erwähnt – es wird auch nicht begründet, warum sie verworfen wurden.

Neuhoff et al. 2024 schlagen z.B. einen Erneuerbaren Energien Pool vor, der langfristige Absicherungsverträge (PPAs) zusammenfasst, die einerseits das Investitionsrisiko von Windkraft- und Solarprojekten reduzieren und andererseits über Verträge mit Endverbrauchern diese ebenfalls gegen Preisrisiken absichern. Damit würde am Ende der erneuerbar erzeugte Strom mittel- bis langfristig ganz aus dem bisherigen Grenzkostenmarkt herausgenommen und nur noch die Residuallastkapazitäten sich an den Grenzkosten orientieren.

Es fehlt an Flexibilität

Die vor mehr als 10 Jahren geäußerten These, der Netzausbau und Residuallasterzeugung über Gasturbinen wären gegenüber einem lokalen Ausgleich von Erzeugung und Verbrauch die weitaus kostengünstigste Lösung, stößt an seine Grenzen (These 4, 5 Agora 2013). Kosten für den Stromnetzausbau oder das Netzengpassmanagement (smard.de) und damit die Netzentgelte steigen mit noch unklarem Ausgang. Studien befürchten eine Verdopplung der Netzentgelte bis 2045 (Ruhr GmbH 2024). Die Hinweise nehmen außerdem zu, dass in einigen Fällen zusätzliche Wärmepumpen, Lade­sta­tionen und Solarstromanlagen wegen fehlender Netzkapazität nicht angeschlossen werden können. Bei bestehenden Solar- und Wind-Anlagen nehmen die Eingriffe der Netzbetreiber zu. Beispiele wie der Fall einer Metzgerei bei Freising in Bayern bleiben hoffentlich die Ausnahme. Hier wurde nicht nur die Überschusseinspeisung, sondern die gesamte Leistung der eigenen Solarstromanlage auf dem Dach der Metzgerei an vielen Stunden im Jahr auf Null heruntergefahren wird (Fernsehsendung quer vom 4.7.2024).

Der vielfach zitierte Grundsatz „So dezentral wie möglich, so zentral wie nötig“ würde hier helfen.

Lokale Signale statt immer mehr Eingriffe

Stromkunden sollten zukünftig neben der Eigenstromoptimierung auch die Netzdienlichkeit berücksichtigen können. Zu jeder Zeit sollte eine möglichst treibhausgasarme und kostengünstige Energieversorgung möglich sein. Dazu sind zwei lokale dynamische Preissignale notwendig, die Angebot von erneuerbaren Energien (EE), Residuallast (Stromlast abzüglich der Erzeugung aus Erneuerbaren) und Netzauslastung umfassen.

Das erste Signal muss die Information über Engpässe im Stromnetz enthalten. Vergleichsweise einfache mögliche Ansätze liegen vor (Zapf 2024).

Das zweite Signal muss die aktuell regional benötigte fossile Residuallast anzeigen, um danach Erzeugungsanlagen vor Ort treibhausgasarm betreiben zu können. Ein Signal dieser Art ist der bereits verfügbare regionale Grünstromindex.

Beide Signale lassen sich zu einem Signal, idealerweise zu einem Preissignal, miteinander verrechnen. Solange nur Wenige auf ein solches Signal reagieren, reichen Signale wie der Grünstromindex, die sich stündlich ändern. Am Ende der Entwicklung muss das Signal im Bereich von Sekunden zur Verfügung stehen, um überschießende Reaktionen vieler Akteure zu vermeiden. Wie eine Umsetzung in sekündlicher Auflösung erfolgen kann, zeigt das Projekt InterConnect (Walter et al. 2024).

Letztlich müssen die Regeln des Strommarktes der Zukunft abgestimmt werden auf den Instrumentenmix aus CO2-Bepreisung, Förderung von Transformation und ordnungsrechtlichen Vorgaben. Planbare hohe CO2-Preise sind notwendig, um dauerhafte Investitionen in z.B. H2-Elektrolyse und Speicherkraftwerke zu refinanzieren. Die Förderung unterstützt ihre Marktintegration, und das Ordnungsrecht gibt unflexiblen nicht regenerativen Technologien Auslaufpfade vor.

Eine effiziente Elektrifizierung kann nur gelingen, wenn die Politik mit einer modernen, grundlegenden Reform des Strommarktes (inkl. Netzentgeltreform) die geeigneten Anreize setzt, die sowohl auf der Angebots- wie auch der Nachfrageseite Flexibilitäten erzeugen, die Erzeugungskapazitäten und Netzausbau einsparen helfen.

Energiekunden sollten zukünftig ertüchtigt werden, ihr eigenes Energiemanagement leisten zu können. Neben den Kosten der Energieerzeugung sollte das Ziel auch die Minimierung der realen Kosten für Transport, Netzstabilisierung und Emissionen (Vollkosten) zur Versorgung des jeweiligen Verbrauchsorts sein.

Statt einem kombinierten Kapazitätsmarkt braucht es einfache, transparent nachvollziehbare und planbare Anreize für einen Flexibilitätsmarkt vor Ort, der auch den Aufwand für den Transport von Energie verursachergerecht refinanziert – und zwar abgestimmt auf planbare CO2-Preise.

Lokale Strompreise sind dafür ein sehr geeignetes Instrument. Sie unterstützen Planer und Projektentwickler dabei Flexibilitätsmaßnahmen auf der Erzeuger- und der Verbraucherseite auch betriebswirtschaftlich gegenüber den Investoren begründen zu können.

Warum ein CO2-Preis immer durch Ordnungs- und Förderrecht flankiert werden muss

Bis heute hätte die Bundesregierung die Emissionshandelsrichtlinie in nationales Recht umsetzen. Was jetzt geschehen muss, beschreiben Dr. Jörg Lange und Craig Morris.

Seit 2021 belegt das Bundesemissionshandelsgesetz (BEHG) die Inverkehrbringer von fossilen Energien in den Sektoren Wärme und Verkehr mit einem CO2-Preis. Mit dem ETS II wird ähnlich dem BEHG nun ab 2027 Wärme und Verkehr ein zweiter Emissionshandel parallel zum Emissionshandelssystem (ETS I) der EU entstehen, das seit 2005 Emissionszertifikate in den Sektoren Strom und Industrie ausgibt.

Bisher sind viele davon ausgegangen, dass das deutsche BEHG vom ETS II abgelöst wird. Doch es kommt darauf an, wie die nationale Umsetzung des ETS II in Deutschland aussieht. Ein Unterschied zwischen dem BEHG und dem ETS II ist die anfängliche Festsetzung des Preises für CO2. Beim BEHG wird der Preis für einen Zeitraum festgelegt (derzeit 45 Euro pro Tonne CO2) und steigt jährlich an. Beim ETS und ETS II wird der Preis von den Marktteilnehmern laufend ausgehandelt. Durch Hedging können sich jedoch Marktteilnehmer gegen zu hohe Preise absichern. Maßnahmen wie die Marktstabilitätsreserve schaffen auch eine Art Preiskorridor, indem die Anzahl der handelbaren Zertifikate nachjustiert wird. Flankierende nationale Klimaschutzmaßnahmen, wie z.B. das EEG, die ihrerseits den Ausbau der Erneuerbaren stärken, senken den Preis ohnehin.

Bislang gehen Abschätzungen zur Entwicklung des CO2-Preises im Gebäudebereich noch weit auseinander (vgl. Tabelle unten von FÖS). Die Spanne bis 2030 reicht von 48 bis 350 Euro pro Tonne CO2, ein Unterschied von rund 600%. Hier wird vor allem aus der Spalte „Ansatz“ klar, dass die EU-Kommission davon ausgeht, dass niedrigere CO2-Preise vor allem durch effiziente flankierende Klimaschutzmaßnahmen zustandekommen.

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Es wird auch daneben Förderungen geben, z.B. für Wärmepumpen und Dämmung. Wenn man nicht weiß, wie hoch der CO2-Preis sein wird, läuft man die Gefahr einer Unter- oder Überförderung bei solchen Maßnahmen. Befürchtet wird auch, dass es 2027 zu einem gewaltigen Preissprung beim Wechsel vom BEHG auf ETS II kommt (Agora Energiewende 2023).

Nationale CO2-Preise wie im BEHG dürfen explizit neben dem ETS II weiter bestehen (Stiftung Umweltenergierecht 2023). Diese Flexibilität eröffnet eine Chance. Es gibt aus der Wissenschaft zahlreiche Vorschläge, wie man den Emissionshandel z.B. durch Preisstabilitätsmechanismen in Richtung eines verlässlicheren CO2-Steuerkorridors gestalten könnte (vgl. z.B. Perino et al. 2021). Ein Preiskorridor entwickelt den Emissionshandel hin zu einer planbaren CO2-Steuer.

Der Vorteil ist dann, dass man auch andere effiziente Klimaschutzmaßnahmen, vor allem Förderinstrumente, nach dem CO2-Preis ausrichten oder an ihm orientieren kann. Aus Sicht des KiB e.V. kommt es ohnehin darauf an, Ordnungs-, Förder- und Bepreisungspolitik für Gebäude besser aufeinander abzustimmen:

  • Ökonomische Anreize (Bepreisung): Der Ausstoß an CO2 bzw. Treibhausgasemissionen ist bislang nicht das maßgebliche Bewertungskriterium im GEG (das Ziel ist 65% erneuerbare Wärme), sollte es aber werden.
  • Standards durch Ordnungsrecht setzen: Bei Neubauvorhaben, bei der Instandsetzung von Heizungsanlagen oder der Sanierung von Bestandsgebäuden sollten ordnungspolitische Vorgaben die CO2-Bepreisung unterstützen: z.B. Energiestandards, Auslaufpfade für fossile Anteile, Ausbaupfade für den Anteil an Erneuerbarer Wärme, oder noch besser Reduktionspfade für den Ausstoß von Treibhausgasen. Im GEG sind derzeit nur ein Betriebsverbot von Heizkesseln mit fossilen Brennstoffen ab 2045 und ein Pauschalwert von 65% erneuerbar Wärme vorgesehen.
  • Anreize durch gezielte Förderung und/oder Entlastungen gegenläufig zum Anstiegspfad des CO2-Preises setzen, wie z.B. über die BEG.

Eine politische Verständigung darüber wird allerdings nicht einfach. So würde SPD-Klimapolitiker Matthias Miersch vermutlich einen Instrumentenmix zwischen Förderung, Bepreisung und Ordnungsrecht begrüßen (FES 2020). Andere Parteien wie die FDP setzen ganz auf „harte“ Emissionsobergrenzen via Emissionshandel. Ob sie am Ende die hohen CO2-Preise eines harten Cap auch politisch durchhalten würden, kann jedoch bezweifelt werden.

Am Ende sollte also der Emissionshandel eher wie eine Steuer wirken, wenn es um die Planbarkeit geht. Auch wenn der ETS in der Politikblase sehr beliebt ist, ist der europäische Emissionshandel in seiner heutigen Form komplex und wenig transparent. Die kostenfreie Zuteilung, die Marktstabilitätsreserve, der Grenzsteuerausgleich, Strompreiskompensation, überschüssige Zertifikate u.v.m. macht den ETS zu einem für die allermeisten nicht verständlichen Instrument. Wer überschüssige Verschmutzungsrechte (Zertifikate) besitzt und aus welchem Grund auch immer verkauft (z.B. Spekulation), ist nicht öffentlich zugänglich. Und auch die genaue Ausgestaltung des Grenzausgleichs ist noch nicht abgeschlossen, wie z.B. die Frage, wie mit der Anerkennung von CO2-Preisen in Drittstaaten und deren Anrechnung auf die CBAM-Verpflichtungen umgegangen werden kann (vgl. UBA 2024).

Eine Umsteuerung vom Emissionshandel z.B. auf eine sehr viel einfachere fossile Kohlenstoffsteuer (nova institut 2021) im Rahmen des politischen Instrumentenmix zwischen Förder-, Bepreisungsmechanismen und ordnungspolitischen Vorgaben scheint jedenfalls politisch auf europäischer oder bundespolitischer Ebene längst nicht mehr durchsetzbar. Bis der EU-ETS II für die Bereiche Verkehr und Gebäude greift, sollte das Brennstoffemissionshandelsgesetz, ähnlich zu den Vorschlägen zu einer Preisstabilitätsreserve, so ausgestaltet werden, dass in Ergänzung zum EU-ETS II die CO2-Preise in einem kontinuierlich steigenden Korridor bleiben und somit planbar und verlässlich für Investitionsentscheidungen werden und nicht so stark schwanken wie beim EU-ETS I.

Letztlich bleibt die Feststellung, dass der Emissionshandel – trotz seiner Beliebtheit bei vielen Politikern und Wissenschaftlern in Europa – immer weniger das alles dominierende Instrument im Klimaschutz sein kann. Ökonomen bevorzugen solche „cap and trade“ Instrumente, weil sie in der Theorie CO2-Minderungsoptionen in der Reihenfolge ihrer Bezahlbarkeit – also effizient – abarbeiten. Die Theorie des ETS geht also davon aus, dass wir begrenzt Geld, aber genug Zeit und Ressourcen haben und das cap nur knapp genug gesetzt sein muss. Das mag Anfang der 1990er Jahre der Fall gewesen sein, doch die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2045 den Ausstoß von Treibhausgasemissionen auf Null gesenkt zu haben. Bis dahin sind es nur noch 21 Jahre. Immer mehr Autos, Fenster, Heizungen, Industrieanlagen u.v.m., die wir heute neu anschaffen, sind aber vermutlich 2045 noch im Gebrauch. Zunehmend müssen also alle Neuanschaffungen klimaneutral-ready sein. Da erscheint das Ordnungsrecht ein die CO2-Bepreisung notwendig ergänzendes Mittel – z.B. als Grenzwerte und Verbote für den Einsatz von Kühlmitteln mit hohem Treibhausgaspotential oder das Verbot im Gebäudeenergiegesetz, dass ab 2045 kein Kessel mehr mit fossilen Brennstoffen betrieben werden darf.

Weitere wertvolle Infos zum Emissionshandel finden sich in den Präsentationen der Vortragsreihe „Green Deal erklärt“ der Stiftung Umweltenergierecht unter https://stiftung-umweltenergierecht.de/vortraege-green-deal-erklaert/.

ZuverZicht: It’s a Kulturkampf, stupid!

In Berlin wird gerade viel über einen Zusammenhang zwischen Klimaschutz und dem aktuellen Rechtsruck der Wähler*innen geredet. Als Lösung wird eine sozial gerechtere Klimapolitik empfohlen. Das würde helfen, geht aber nicht weit genug. Wir müssen den Kulturkampf, der schon lange geführt wird, aufnehmen.

Ich bin 1968 in New Orleans auf die Welt gekommen. Der größte Fehler, den meine Generation gemacht hat, war der Glaube, dass Wirtschaftswachstum die Gesellschaft einen wird. Der Slogan von Präsidentschaftskandidaten Bill Clinton 1992 lautete: „It‘s the economy, stupid.“

Zwölf Jahre später stellte ein Professor diese Idee in seinem Buch „What‘s the Matter with Kansas?“ (Was ist mit Kansas los?) in Frage. Warum wählten so viele Menschen aus Kansas gegen ihre eigenen (wirtschaftlichen) Interessen. Die Antwort: Sie stimmten für ihre kulturellen Interessen. Der Kulturkampf ist mittlerweile in Deutschland angekommen. Das DIW sprach 2023 in einer Studie vom „AfD-Paradox: Die Hauptleidtragenden der AfD-Politik wären ihre eigenen Wähler*innen.“

Dabei stimmen diese Menschen für ihre kulturellen Werte. Immer mehr Bürger suchen nach Gruppenzugehörigkeit. Die neue europäische Partei für Parteien rechts der Konservativen heißt nicht umsonst Identität und Demokratie Partei. Den Adligen hinter den Reichsbürgern fehlt es vermutlich weniger an Geld; sie wollen eine andere Kultur.

Wir leben immer isolierter. Wenn ein Pilotprojekt wie 2019 in Pforzheim Nachbarn zu Gesprächen einlädt, wird von der „Wiederentdeckung der Nachbarschaft“ gesprochen. Um die Menschen aus ihrer jeweiligen Blase zu locken, hat Zeit Online 2017 Menschen aus unterschiedlichen Lagern in der Reihe „Deutschland spricht“ zusammengebracht. Damit Wähler*innen mehr über Gruppenzugehörigkeiten hinweg miteinander reden, werden immer mehr Bürgerräte organisiert; sie bringen repräsentative Bürgergruppen zusammen, um abgestimmte Empfehlungen für die Politik zu formulieren.

Die gute Nachricht: Auch links der Rechtsradikalen stellen viele Menschen ihre kulturellen Werte über das eigene Portemonnaie. Laut einer Studie der Uni Flensburg fordern Bürgerversammlungen europaweit mehr Suffizienz von der Politik: d.h., soziale Innovationen und Verhaltensänderungen statt nur technologischer Lösungen. Wir könnten das Potenzial heben, doch Klimaschützer*innen wollen ihre Vorschläge nicht als Kulturkampf verstanden wissen. Das Klimaschutz-Lager sagt, um Greta Thunberg zu zitieren: listen to the science.

Die Rufe aus der Klimablase nach Verhaltensänderungen werden daher eher wissenschaftlich als moralisch/kulturell begründet. Außerhalb der Klimablase werden diese Rufe trotzdem teils als Angriff auf die eigene Identität wahrgenommen. Schlägt man vor, wir könnten weniger Fleisch essen, teilt sich das Publikum in zwei feindliche Lager auf. So ergeht es aktuell den Autor*innen Hedwig Richter und Bernd Ulrich mit ihrem neuen Buch „Demokratie und Revolution: Wege aus der selbstverschuldeten ökologischen Unmündigkeit“. Auf Amazon hat das Buch 3 Sterne von 5; drei Viertel der Bewertungen sind 5 Sterne oder 1 Stern.

Bloß den Vorwurf des Verzichts nicht erregen: Ganze Studien werden unter der Annahme verfasst, dass sich unser Verhalten nicht ändern muss. Aktuelles Beispiel: Die neue Studie zu den Kosten der Verkehrswende von Agora Verkehrswende (hierbei wärmstens empfohlen) betrachtet Szenarien mit unveränderten Mobilitäts-Kilometern. Das ist eine wertvolle Untersuchung. Sollte aber nicht immer ein Szenario dabei sein, das untersucht, wie viel Verhaltensänderungen bringen würden?

Es fehlt natürlich nicht an Studien zu Suffizienz (wir empfehlen zum Einstieg die von Negawatt). In seiner letzten Stellungnahme zum Thema Suffizienz spricht der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) von einer „Strategie des Genug“ (Suffizienz bedeutet „genug“). Wichtig dabei ist die Erkenntnis, dass viele Bürger*innen nicht genug haben. Sie würden also mehr Wohlstand bekommen – mehr bezahlbaren Wohnraum, mehr Freizeit, mehr Mobilität, usw. Dafür müssten vor allem die Reichen und Superreichen auf manchen Luxus verzichten (auch wenn der SRU das eher implizit als explizit sagt).

Wie diese Idee ankommt, kann man in der Sendung von Markus Lanz vom 22.5. sehen. Das Video ist hier auf Reddit zu sehen, und ab 29:18 geht es darum, aus Milliardären Millionäre zu machen. Lanz will davon nichts wissen, und fragt: Darf man dann noch Porsche fahren? Impliziert wird: Lieber Zuschauer, die Gängelung fängt oben an, kommt aber irgendwann zu euch. Unter dem Video im Subreddit „Finanzen“ (wo sich Menschen über Geld austauschen, also eher keine grüne Ecke) sind die Kommentare aber lesenswert ausgewogen.

Es gibt vielleicht mehr Unterstützung für die Idee, als man vermuten würde. Deutschland setzt sich zusammen mit Brasilien, Frankreich, Spanien und Südafrika in der G20 für eine 2%-Steuer auf das Vermögen von Superreichen ein. Die Weltbank unterstützt die Idee. Präsident Biden plante eine „Milliardärsteuer“, traf aber bald auf Widerstand.

Wir sprechen also gerne von der Energiearmut, aber weniger davon, dass manche Menschen zu viel angehäuft haben, und unsere Staatskassen leer sind: z.B. für Kitaplätze, die seit 2012 eine kommunale Pflicht sind. Und auch für den Klimaschutz. Dieses Jahr ist eine neue Denkfabrik mit dem Namen Zukunft KlimaSozial gegründet worden. Die wird gute Arbeit leisten, vor allem beim versprochenen, aber nicht gelieferten Klimageld. Greenpeace beginnt gerade eine Kampagne fürs Klimageld. Sie können hier mitmachen. Neben sollten wir aber auch die gute Arbeit von Gruppen wie Netzwerk Steuergerechtigkeit stärken. Und gibt es überhaupt Orgs, die sich vorrangig mit Verhaltensänderungen befassen?

In den nächsten Monaten wollen wir bei KiB dem Thema Suffizienz mehr nachgehen. Am 6.6. geht es los: Mein Kollege Philipp George lädt zu einem Webinar zum Thema Wohnraumsuffizienz ein. Es gibt seit Jahrzehnten immer mehr Wohnraum pro Nase, und trotzdem ist es immer schwieriger, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Wie konnte das passieren, und wie kommen da raus? Infos zur kostenlosen Veranstaltung finden sie weiter unten und hier.

So viel vorab: Wir haben selten so viel Resonanz wie bei Philipps Webinar gehabt. Seit die Einladungen verschickt wurden, haben uns Stadträte und sogar das Büro unseres Wirtschaftsministers angerufen. Alle wollen wissen, was Kommunen machen können, um mehr bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen. Vorwiegend auf Neubau zu setzen, hat das Problem nicht gelöst, sondern uns in diese Situation gebracht. Philipp hat ein paar Expert*innen gefunden, die Lösungsansätze vorstellen, um den bestehenden Wohnraum besser zu verteilen.

Welche Suffizienz-Themen sind aus Ihrer Sicht wichtig? Schreiben Sie uns doch Ihre Idee an info@klimaschutz-im-bundestag.de. Wir schauen, welche wir in den nächsten Monaten behandeln können. Und: Wie finden Sie das Wortspiel „ZuverZicht“ als Oberbegriff?

Dieser Text ist bereits lang. Später haben wir Zeit für die Frage: Was meint ihr überhaupt mit „Kulturkampf aufnehmen“?

Webinar: Von Frankreich lernen

Deutschland setzt auf Wärmepumpen — dabei bauen die Franzosen seit Jahren die meisten Wärmepumpen von allen EU-Ländern ein. Was macht Frankreich besser? Können wir in der Wärmepolitik etwas von ihnen lernen? Und gibt es sonst Bereiche in der Wärme- oder Kommunalpolitik, wo Frankreich mit gutem Beispiel vorangeht?

Wir sprachen mit:

  • Alexandre Schütze, Projektleiter bei solares bauen GmbH (Vortrag)
  • Dr. Julia Plessing, Projektleiterin Deutsch-Französisches Zukunftswerk am RIFS (Vortrag)
  • Sven Roesner, Geschäftsführer des Deutsch-französischen Büros für die Energiewende (Vortrag)

Ein Mitschnitt ist auf unserem YouTube-Kanal zu sehen.

Das Wachstumschancengesetz als verpasste Chance

Berlin, 20.11.2023. Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.11.2023 fehlen 60 Milliarden Euro im Klimatransformationsfonds. Um das Loch wieder zu füllen, könnte der Bundestag klimaschädliche Subventionen abbauen. Leider passiert genau das nicht.

Am Freitag hat der Bundestag das Wachstumschancengesetz beschlossen. Es enthält 240 Millionen Euro für teure E-Fahrzeuge. Das Preislimit für dienstliche E-Autos wurde von 60.000 auf 80.000 angehoben. Davon können nur reichere Bürger profitieren. Laut einer Kurzstudie von Caritas, FÖS, und der Klima-Allianz findet man die Hälfte aller Dienstwagen bei den obersten zehn Prozent der Einkommensverteilung.

Hybrid-Fahrzeuge werden außerdem weiterhin bis zu einem Ausstoß von 50g/km gefördert. Was wie ein Deckel aussieht, umfasst jedoch sehr viele Hybride. Studien (siehe Fraunhofer ISI) haben allerdings gezeigt, dass diese Fahrzeuge deutlich mehr ausstoßen als angegeben. Leider wird die Berechnungsmethode erst 2025 verbessert.

Schließlich zeigt eine am Freitag erschienen Studie der Bertelsmann Stiftung, dass eine Reform der Dienstwagenbesteuerung zu 5,7 Milliarden Euro mehr Steuereinnahmen führen würde. Kombiniert man diese Reform mit der Abschaffung des Dieselprivilegs (6,8 Milliarden für PKW und LKW), hätte die Staatskasse 12,5 Milliarden Euro an Mehreinnahmen. Da die 60 Milliarden sich bis 2026 erstrecken, könnten diese zwei Maßnahmen alleine zwischen 2024-2026 die Lücke mehr als zur Hälfte füllen. „Die Bundesregierung muss zeigen, wie sie die fehlenden 60 Milliarden Euro für den KTS ersetzen will“, sagt Craig Morris, Vorstand von KiB. „Der Abbau von klimaschädlichen Subventionen würde gleichzeitig das Klima besser schützen und für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Dafür muss sich nun der Bundesrat beim Wachstumschancengesetz einsetzen.“